Rekonfigurierbare Systeme schaffen mehr Flexibilitaet

18.11.1994

Ueber den "Wettbewerbsfaktor Information" ist viel geschrieben und referiert worden. Dennoch scheint das Problem, Informationen schnell und gewinnbringend zu verwerten, nach wie vor ungeloest. Datenverarbeitung wird zu Verwaltungs- und Automationszwecken genutzt, weniger als Instrument, ein Unternehmen in moeglichst kurzer Zeit an veraenderte Marktbedingungen anzupassen. Weder Manager noch IS-Beauftragte nutzen die Potentiale, die der Wettbewerbsfaktor Information fuer ein Unternehmen birgt. Die renommierten US-Professoren Goldman, Nagel und Preiss (siehe Kasten), deren Konzepte eines "wandlungsfaehigen Wettbewerbers" oder der "virtuellen Company" internationalen Ruf geniessen, standen unseren US-Kollegen von der "Computerworld" Rede und Antwort.

CW: Sie propagieren das "wandlungsfaehige Unternehmen", das durch permanente Veraenderung gekennzeichnet ist. Inwiefern betrifft dieser Wandel Informationssysteme und IT-Personal?

Preiss: Immer wenn ich mit Unternehmen ueber das Konzept einer wandlungsfaehigen Company gesprochen habe, galt die geringe Flexibilitaet der Informationssysteme als eine der groessten Barrieren. Auch wurde staendig kritisiert, das IT-Personal habe zuwenig Kenntnis vom eigentlichen Geschaeft des Unternehmens. Im Vergleich dazu wuerden die Maschinen und Systeme, die im Produktionsbereich zum Einsatz kommen, viel besser genutzt.

Um die Wendigkeit eines Unternehmens zu verbessern, muessen Informationssysteme leicht und schnell zu rekonfigurieren sein. Ausserdem ist eine stoerungsfreie, problemlose Interaktion zwischen den bestehenden Systemen unabdingbar. Trends wie offene Systeme und Objekttechnologie unterstuetzen IT-Experten dabei, diese Ziele zu erreichen. Allerdings muessen die Tools richtig eingesetzt werden - naemlich fuer die Schaffung dynamisch rekonfigurierbarer Systeme, die eine groesstmoegliche Flexibilitaet eroeffnen. Heute werden Objekte noch oft dazu genutzt, inflexible Systeme zu bauen. Mir scheint, die richtigen Tools sind bereits da, doch es fehlt am strategischen Verstaendnis, sie vernuenftig einzusetzen.

Nagel: Informationsspezialisten halten den Schluessel in Haenden, mit dem Firmen Beweglichkeit in die Praxis umsetzen und zu einem strategischen Faktor machen koennen. Dazu aber muessen sie wissen, was die strategischen Ziele ihres Unternehmens sind und wie sie selbst dazu beitragen koennen, diese zu erreichen. Sie muessen sowohl dem Management als auch dem Kunden klarmachen, welches Potential bestimmte Informationen fuer eine Organisation bergen.

CW: Wer wird denn kuenftig gebraucht: Informations- oder Informationssystem-Spezialisten?

Nagel: Die Zukunft gehoert denen, die sowohl die Information kennen als auch die Systeme, durch die sie eingeholt und weitergegeben wird. Heute reicht es ja auch nicht aus, wenn der Produktionschef isolierte Kenntnisse ueber seine Fertigungssysteme hat. Er muss auch wissen, welche Rolle die Produktion fuer das gesamte Unternehmen spielt. Dasselbe gilt fuer den IS-Verantwortlichen.

Preiss: Es gibt heute sehr vielfaeltige Informationen, die schnell veraltet sind. Ihre Genauigkeit und Aktualitaet ist so wichtig, dass systematische Methoden erforderlich sind, um diese Informationen zu nutzen und auf dem neuesten Stand zu halten.

CW: Was ist DV-technisch konkret zu unternehmen, um ein "wandlungsfaehiger Wettbewerber" oder eine "virtuelle Company" zu werden?

Nagel: Firmen muessen damit anfangen, Informationen ueber ihre Kunden zu sammeln. Nur so kann man deren Beduerfnisse erkennen und verstehen. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafuer, einen Zusatznutzen zu bieten.

Kunden wollen individuell bedient werden. Sie verlangen zunehmend Produkte, die sich selbst erklaeren, die dem Anwender mitteilen, wie er mit ihnen ein Hoechstmass an Effektivitaet erzielen kann. Ausserdem ist ein Wechsel von Commodity- zu hochspezialisierten Erzeugnissen unuebersehbar. Das kann durchaus bedeuten, dass individualisierte Produkte auf der Basis vorgefertigter Standardkomponenten entstehen.

Goldman: Auch die Aufgabe, in vernuenftigen Mengen zu ordern und zu produzieren, wird durch entsprechende Informationssysteme einfacher - nicht nur die informationstechnisch kontrollierte Fertigung selbst. Sowohl auf dem Produktions- als auch auf dem Marketing-Level ist Information das wichtigste Rohmaterial, um dem wandlungsfaehigen Unternehmen einen zusaetzlichen Nutzen zu verschaffen.

CW: Welche Informationstechniken sind erforderlich, um Ihre Vorstellungen des neuen Unternehmens zu realisieren?

Preiss: Am wichtigsten sind Netztechnologien einschliesslich Groupware, weil die Arbeit in Teams sehr wichtig ist. Eine weitere Sonderrolle kommt der Recherche nach Information zu - nicht nur in der eigenen Firma, sondern in weltumspannenden Netzen. In diesem Zusammenhang werden Techniken wie die der Software-Agenten interessant, die in heterogenen Netzen Informationen zu bestimmten Schluesselbegriffen aufspueren koennen. Dies erfordert eine Menge Standardisierungsarbeit. In dem Masse, in dem sich IT-Mitarbeiter von Standards entfernen, behindern sie die Flexibilitaet ihres Unternehmens. Und je offener Systeme sind, desto bessere Moeglichkeiten eroeffnen sich.

Nagel: Informationssysteme ermoeglichen es, die Arbeitskraefte zu organisieren und individuelle Gueter und Dienstleistungen zu kreieren. Sie ermoeglichen eine 100prozentige Auffindbarkeit von Information. Deswegen stehen auch Datenbanken im Vordergrund.

CW: Welche Qualitaeten muessen Datenbanken aufweisen?

Nagel: Sie muessen so flexibel und flink sein, dass Informationen in einer Weise genutzt werden koennen, die beim Design der Datenbank noch gar nicht vorgesehen war.

CW: Sind Client-Server und verteilte Datenverarbeitung der geeignete Weg, um Unternehmen in Ihrem Sinne zu veraendern?

Preiss: Es geht nicht um die Client-Server- oder Objekttechnik selbst, es geht darum, wie diese Dinge genutzt werden. Systeme sind so zu gestalten, dass sie schnell und permanent veraendert und rekonfiguriert werden koennen. Ausserdem muss der umfassende Informationsaustausch in Unternehmen zu einer Routineangelegenheit werden.

CW: In Ihrem Buch* prophezeien Sie, der Weg zu profitablen Maerkten werde immer schwieriger und sei nur unter Schmerzen erreichbar. Welche Schmerzen haben IT-Manager und Profis zu erwarten?

Preiss: All das, was wir beschrieben haben, ist nicht leicht zu implementieren. Die Standardisierung voranzubringen ist nicht einfach, Systeme rekonfigurierbar zu machen ebenfalls nicht.

Goldman: Die Dezentralisierung der Kontrolle und der maximale Zugriff auf Unternehmensinformationen birgt weitere Schwierigkeiten. Es wird darauf ankommen, die richtige Balance zu finden zwischen optimalem Datenzugriff fuer jedermann und dem Schutz der Kerninformationen. Welche Informationen unternehmensrelevant sind und welche nicht - diese Frage stellt sich in einem sich dynamisch veraendernden Wettbewerbsumfeld staendig aufs neue. Die Balance muss immer wieder hergestellt werden, Informationsspezialisten haben zunehmend hoeheren Anforderungen zu genuegen.

CW: Wie muss sich das IS-Management verhalten, um dies zu erreichen?

Preiss: Fuer IS-Manager ist es wichtig, die veraenderten Bedingungen des internationalen kommerziellen Wettbewerbs zu kennen. In vielerlei Hinsicht verfuegen sie ueber die Mittel, mit denen Firmen in der Lage sind, den Uebergang zu einem wandlungs- und damit konkurrenzfaehigen Unternehmen zu schaffen.

* Agile Competitors and Virtual Organiszations: Strategies for Enriching the Costumer, New York, Van Nostrand Reinhold, 29,95 Dollar.

Virtuelle Unternehmen reagieren schneller

Anfang der 90er Jahre stellte sich in den rezessionsgeschwaechten USA die Frage nach der Position ihrer Industrie im Weltmarkt. Wie koennte man gegenueber den Europaeern und Asiaten wieder die Fuehrerschaft in der Fertigungsindustrie erlangen? Auf der Suche nach einer Antwort wandten sich der US-Kongress sowie das Verteidigungsministerium an Wissenschaftler und Industrieexperten des renommierten Iacocca Institute at Lehigh University in Bethlehem, Pennsylvania. Dort lehrten die Professoren Steven Goldman, Roger Nagel und Kenneth Preiss, die 1991 gemeinsam den sehr einflussreichen Report "21st Century Manufacturing Enterprise Strategy: An Industry-led View" veroeffentlicht hatten.

In ihrem Bericht machten die Wissenschaftler ihre Konzepte der "Agile Competition" und der "Virtual Company" populaer. Man kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Verbesserung der Massenproduktionssysteme in der herstellenden Wirtschaft nicht mehr ausreichte, um Unternehmen wettbewerbstauglicher zu machen. Statt dessen sollte die US-Industrie neue Wege zur Konkurrenzfaehigkeit einschlagen - Wege, die erst durch den Einsatz moderner Informationstechnik gangbar seien.

"Agile Wettbewerber" verwenden ihre Energie darauf, neue und flexible Fertigungstechniken zu nutzen, um hochwertige, stark individualisierte Produkte zu geringen Kosten herzustellen - die Produktionsmengen spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Der Wert eines Produktes fuer den Kunden haengt zunehmend davon ab, ob und in welchem Umfang ihm Informationen oder informationsbasierte Services hinzugefuegt wurden.

Als "virtuelle Companies" bezeichnen die Professoren Zusammenschluesse mehrerer Firmen, die durch weitreichende Kooperationsvereinbarungen in der Lage sind, komplementaere Gueter, Services und Skills zwecks Herstellung bestimmter Produkte oder Services zusammenzulegen. Diese Wettbewerber sind hoechst flexibel, sie koennen hohe Profitmargen erzielen, indem sie in kuerzester Zeit das bereitstellen, was der Markt akut fordert.