Für die Aktualisierung eines 15bändigen Nachschlagewerks

Redaktion bearbeitet Texte und Stichwörter mit einem DBMS

18.10.1991

Im Bertelsmann Lexikon Verlag ergab sich die Notwendigkeit, eine effiziente neue Redaktionsumgebung für die "Große Bertelsmann Lexikothek" zu schaffen.

Das Standardwerk, das 15 alphabetisch geordnete Bände und 15 Sachbände umfaßt, hat in Deutschland mit über zwölf Millionen verkauften Bänden einen Marktanteil von 70 Prozent.

Bei der Aktualisierung und Pflege der Daten spielt das Informations-Management-System eine zentrale Rolle. Für Medienunternehmen haben Werterhaltung und Wertsteigerung ihrer verlegerischen Substanzen, sprich: der Datenbestände, natürlich einen hohen Stellenwert. Ganz besonders gilt das für enzyklopädische Werke und Lexika. Hohe Anforderungen an die Druckqualität, gekoppelt mit anspruchsvollen inhaltlichen und gestalterischen Strukturen verlangen immer mehr nach leistungsstarken, integrierten elektronischen Redaktionssystemen.

Kostensenkung als wichtiger Faktor

1988 startete unter der verlegerischen Leitung von Hans Kreutzfeld und der DV-Leitung von Herbert Lutterbach das Projekt Bees (Bertelsmann Encyclopedia Editorial System). Lutterbach erinnert sich: "Es war ganz einfach an der Zeit sich von der herkömmlichen manuellen Bestandspflege mit Karteikarten zu trennen und durch elektronische Substanzbeherrschung zur langfristigen Werterhaltung beizutragen. Gleichzeitig war der Faktor Kostensenkung für uns von entscheidender Bedeutung."

Nach mehreren Benchmark-Tests fiel die Entscheidung für die Datenbankumgebung zugunsten der DEC-Systemarchitektur. Im Einsatz ist gegenwärtig eine VAX 6310 mit 32 MB Hauptspeicher und zirka 3 GB Plattenspeicher. In der Endausbaustufe sollen einmal 50 Arbeitsplätze über Decnet PCSA verbunden sein.

Betriebssystem ist VMS. Als programmierbarer Editor fungiert ein angepaßter VAX TPU, das Masken-Management erledigt DECforms, und das Programm "Ppcomp" eines Kölner Softwarehauses dient als Satzkomponente. Die tragende Komponente der Bees-Gesamtlösung ist ein relationales Datenbanksystem mit integrierten Volltext-Retrieval -Funktionen, nämlich "Basisplus" von Information Dimensions in Frankfurt.

Für DV-Leiter Lutterbach mußte das optimale Datenbank-Management-System einige Voraussetzungen erfüllen: "Neben den üblichen Anforderungen wie Verläßlichkeit, hohe Performance oder Tool-Sets war für uns vor allem eines entscheidend: Das System sollte relationale Datenbankanforderungen erfüllen und gleichzeitig Volltext-Funktionen zur Textrecherche bieten. Die Lösung dieses sogenannten NF-Datenbankproblems sehe ich auch als eine zentrale Aufgabe für die Zukunft."

Da die Informations-Management-Software von zentraler Bedeutung für das gesamte Projekt ist, machte man sich bei Bertelsmann die Entscheidung nicht leicht. Lutterbach: "Es stellte sich sehr bald heraus, daß nur wenige Anbieter unsere Forderungen erfüllen konnten. Nach mehreren Benchmark-Tests an verschiedenen Standorten und intensiver Beobachtung einiger Anwendungen, auch im Ausland, haben wir uns dann für Basisplus entschieden, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt die erste große Anwendung in Deutschland verwirklichten. Nicht zuletzt die Tatsache, daß der Entwickler des Programms,

Information Dimensions, eine Tochter des renommierten Battelle-Instituts ist, hat uns dazu bewogen."

In der letzten Phase des Projekts werden mehr als 30 Mitarbeiter mit dem Bertelsmann Encyclopedia Editorial System arbeiten. Zur Zeit sind über 200 000 Stichwörter und die dazugehörigen Texte gespeichert. Das System steuert mehrere Datenbanken mit mehr als 35 verschiedenen Relationen. Je nach Art der Aufgabe kann es durchaus sein, daß ein einzelner Benutzer auf mehrere tausend Aufrufe pro Tag kommt", so DV-Leiter Lutterbach. Die Datenbankzugriffe laufen über eine Programmschnittstelle (DLI-, künftig über DHI-Schnittstelle).

Nicht nur für die Substanzpflege wird das Informations-Management-System eingesetzt, auch als Produktionssystem findet es Anwendung. So ist es beispielsweise möglich, daß sich ein lexikalisches Stichwort ändert und im Anschluß über einen Laserdrucker innerhalb weniger Sekunden eine Korrekturfahne zur Kontrolle produziert wird. Lutterbach kann sich darüber hinaus für die Zukunft Anwendungen besonders im Archivbereich vorstellen.

Eines der Hauptprobleme in einem Lexikon-Verlag ist die ständige Aktualisierung. Bei einem 15bändigen Werk wie der Bertelsmann Lexikothek ist das natürlich ein gewaltiger Aufwand. Besonders die jüngste deutsche Geschichte hat da natürlich enorme Auswirkungen. Lutterbach erläutert die Problemstellung: "Nehmen wir nur mal das Stichwort Chemnitz - das hieß ja bis vor kurzem Karl-Marx-Stadt. Da die Stadt nun wieder ihren alten Namen führt, muß der Text geändert werden. Ebenso müssen sämtliche Querverweise, in denen das Stichwort auftaucht, überprüft und bei Bedarf umgeschrieben oder gelöscht werden. In unserem 15bändigen Lexikon findet man über 200 000 Stichwörter, die müßte man theoretisch alle nachlesen. Diese Querverweisprüfung war bisher einer der zeitintensivsten Arbeitsabläufe. Mit Hilfe unseres neuen Redaktionssystems und der integrierten Volltext-Retrieval-Funktionen konnten wir einiges an Effizienz dazugewinnen."

Zu beachten ist natürlich auch, daß die Aktualisierung nicht auf Kosten des gesamten Umbruchs geht. Noch einmal Lutterbach: "Im Prinzip sollten geänderte Texte in etwa ihren Umfang behalten. Schließlich können wir wegen einer Änderung nicht den gesamten Band neu umbrechen. Und bei Erweiterung des Bandes sind drucktechnische Gegebenheiten wie Anzahl der zu druckenden Seiten und die Weiterverarbeitung durch den Buchbinder zu berücksichtigen - man kann nicht einfach eine Seite mehr drucken."

Mit seiner komplexen Anwendung hat der Bertelmann Lexikon Verlag in gewisser Weise eine Vorreiterrolle in Deutschland übernommen. So erkundigen sich viele Unternehmen nicht nur aus dem Bertelsmann Konzern über den Einsatz des Datenbanksystems. Lutterbach empfiehlt es auch weiter, "ruhigen Gewissens und nicht ganz ohne Hintergedanken. Schließlich hat eine steigende Anzahl von Installationen auch einen erweiterten Support seitens des Herstellers zur Folge, und davon profitieren letztendlich auch wir." Für die Zukunft des Informations-Managements hat Lutterbach vor allem zwei Visionen. "Ich glaube, daß SQL-Erweiterungen im konzeptionellen Bereich zur Lösung komplexer Problemstellungen unumgänglich sein werden. Außerdem wünsche ich mir Datenbanksysteme eine komfotftable Bedieneroberfläche, ähnlich wie beim Macintosh. Da ich mit diesem Wunsch nicht allein bin, glaube ich auch fest daran, daß dies nicht mehr allzu lange auf sich warten läßt.