Klassische Auktionshäuser im Clinch mit Web-Konkurrenz

Rechtsunsicherheit macht Ricardo.de zu schaffen

03.09.1999
Von CW-Mitarbeiterin Riem Sarsam HAMBURG - Angetreten war Ricardo.de mit Internet-Auktionen, die dem Besucher neben einem bunten Warensortiment auch Spaß und Unterhaltung bieten sollen. Doch nun ist erstmal Schluß mit lustig. Den Hamburgern wird vorgeworfen, gegen die Gewerbeordnung verstoßen und sogar Schweigegeld gezahlt zu haben, um den Börsengang im Juli nicht durch ein laufendes Gerichtsverfahren zu gefährden.

"Eierkocher im Internet" titelte "Der Spiegel" unlängst und zitierte ein Mitglied des Vereins Hamburger Auktionatoren, der dem Unternehmen dunkle Machenschaften vorwarf. Es seien "Schmiergelder" in Form von Ricardo-Aktien für eine Million Mark über den Tisch gegangen, damit der Verein seine juristischen Attacken gegen die Internet-Konkurrenz einstelle. Und dies, so raunte das "Handelsblatt" gleich hinterher, geschah offensichtlich mit Wissen des Konsortialführers Deutsche Bank, der Ricardo.de an die Börse bringen sollte. "Die Zeit" sah bereits das gesamte Börsensegment Neuer Markt in Verruf gebracht ("Hort der Gierigen").

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Mit der Idee, im Internet über live moderierte Auktionen Güter jeglicher Art zu versteigern, hatte die Ricardo.de GmbH im August vergangenen Jahres ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen. Mit Geldern von Venture-Kapitalisten und einer Förderung der Stadt Hamburg gründeten die drei Betriebswirte Stefan Glänzer, Christoph Linkwitz und Stefan Wiskemann das Online-Auktionshaus Ricardo.de und brachten in ihrem sogenannten Business-to-privat-Channel ein Sortiment von Gebraucht- und Neuwaren - auch die vom "Spiegel" monierten Eierkocher - unter den virtuellen Hammer. Wer Glück hat, kann dort ein neues Produkt ab zehn Prozent des Ladenpreises erwerben - sehr zum Ärger der klassischen Auktionatorenszene der Hansestadt.

Diese hatte im Februar über die lokale Presse von ihrem Online-Mitbewerber erfahren und zeigte sich erbost über den Umstand, daß offensichtlich online erlaubt war, was offline verboten ist: die Versteigerung von neuen Produkten. "Wenn ich Neuwaren versteigern dürfte, könnte ich ein Vielfaches umsetzen", sagt Ralf-Matthias Kuball.

Der Auktionator beim Hamburger Auktionshaus Schopmann fühlt sich durch Ricardo.de ernsthaft geschädigt. Hinzu komme die Gefahr, daß seine Zulieferer vor Ort zur Online-Konkurrenz abwanderten. Kurzerhand beantragte der Verein der Hamburger Auktionatoren eine einstweilige Verfügung. Damit sollte Ri- cardo.de an der Versteigerung von Neuwaren gehindert werden, da dies nach geltender Gewerbe- und Versteigerungsordnung verboten ist und der elektronische Auktionator demnach wettbewerbswidrig handle.

Beim Online-Auktionshaus hatte man jedoch ein reines Gewissen, da die Hamburger Wirtschaftsbehörde im März bescheinigt hatte, die "Verkaufstätigkeit im Internet" sei keine Versteigerung im herkömmlichen Sinn. Ricardo.de müsse sich daher auch nicht an besagte Versteigerungsordnung halten. Da es noch kein Gesetz zum E-Commerce gibt, berief sich das Amt auf eine Anweisung der Bund-Länder-Kommission vom Oktober 1996. Sie besagt, daß Online-Auktionen lediglich als "Sammeln von Kaufangeboten" zu werten seien. "Solche Anweisungen" , so Bernd Meyer, Sprecher der Wirtschaftsbehörde Hamburg, "gelten innerhalb aller Behörden als rechtsverbindlich".

Das Landgericht Hamburg, das vom Auktionatorenverein mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung konfrontiert worden war, widersprach jedoch der Argumentation der Bund-Länder-Kommission. Bei Online-Auktionen, so die Auffassung der Richter, handle es sich sehr wohl um Versteigerungen im Sinne der Gewerbeordnung. Ricardo.de könne jedoch kein Vorwurf gemacht werden; das Unternehmen habe sich schließlich zu Recht auf die Auslegung der örtlichen Wirtschaftsbehörde - die allerdings in Zweifel zu ziehen sei - verlassen. Erst eine Rechtsprechung höherer Instanzen beziehungsweise "eine eindeutige Klarstellung des Gesetzgebers" könne in dieser Sache feste Grundlagen schaffen, betonte das Gericht. Damit wurde die Klage abgewiesen, die Kosten für den Prozeß mußte der Verein tragen.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens hätte Ricardo.de jedoch geschadet, da das Unternehmen im Juli an die Börse gehen wollte. Zu diesem Zeitpunkt in einen Prozeß verstrickt zu sein, hätte bedeutet, das Vertrauen potentieller Anleger zu verlieren. Deshalb suchte das Management nun nach einem Weg, sich mit dem Auktionatorenverein zu einigen. Im Rahmen eines "Kooperationsvertrags" übertrug Ricardo dem Verein Aktien im Wert von einer Million Mark, übernahm die Prozeßkosten und erkaufte sich so die Sicherheit, daß der Rechtsstreit beendet war. Außerdem schlossen beide Parteien ein Abkommen über eine künftige Zusammenarbeit. Eine erste gemeinsame Auktion soll in den nächsten Wochen stattfinden.

"Damit wollten wir dokumentieren, daß uns daran gelegen ist, gemeinsam Geschäfte zu machen und die klassische mit der virtuellen Auktionswelt zu verbinden", rechtfertigt Vorstandsmitglied Glänzer den Deal. Diese "elegante Lösung" kam zweifelsohne allen Beteiligten entgegen: Die Auktionatoren hatten ihre Geschäfte durch die Internet-Aktivitäten von Ricardo.de als geschädigt gesehen und betrachten den von den Medien mit "Schweigegeld" bezeichneten Betrag lediglich als Schadensersatz. Da sie künftig von der Internet-Plattform des Online-Auktionshauses profitieren können, sei Ricardos unfairer Wettbewerbsvorteil beseitigt worden. Außerdem, so Auktionator Kuball, hätte sich ein Revisionsverfahren, das drei bis vier Jahre dauert, leicht als ein "Kampf gegen Windmühlen" herausstellen können, da Beobachter davon ausgehen, daß die künftige Gesetzeslage zugunsten der Online-Händler ausfallen wird. Auch der Hamburger Senat und die Wirtschaftsbehörde hatten sich zwischen die Fronten begeben und die Kontrahenten zu einer gütlichen Einigung aufgefordert - schließlich ging es in diesem Präzedenzfall auch um das Ansehen der Hansestadt, die sich gern als innovative Multimedia- und Medienstadt darstellt. Im Gegenzug bemühe man sich nun verstärkt, eine Klärung der unsicheren Rechtslage voranzutreiben. Eine für das nächste Jahr angekündigte EU-Richtlinie könnte endgültig Licht in das E-Commerce-Dunkel bringen.

Der Namenspatron

David Ricardo, 1772 - 1823, englischer Nationalökonom, der nach Adam Smith als Klassiker der Volkswirtschaftslehre gilt. Als Spekulant bereits in jungen Jahren an der Börse reich geworden, widmete er sich vor allem der Theorie der politischen Ökonomie. Ricardo war einer der ersten, der unter anderem den freien Handel und die Abschaffung der Zölle propagierte. Seine Theorie des Außenhandels bestimmt noch heute die Freihandelsdebatte. Am Beispiel der Produktion von englischem Tuch und portugiesischem Wein entwikkelte Ricardo die Theorie vom komparativen Kostenvorteil, die erklärt, daß Handel an sich lohnend ist, auch wenn einer der Partner günstiger produziert als der andere.

Das Unternehmen

Mit Nonstop- und Live-Online-Auktionen begann die Ricardo.de AG im August 1998 ihre Wirtschaftstätigkeit. In diesem Business-to-private-Geschäft steigert die Firma aufgekaufte Waren entweder direkt oder auf Kommissionsbasis. Im März folgte der Private-to-private-Kanal, eine Art virtueller Kleinanzeigenmarkt. In regelmäßigen Abständen finden Raritäten-Versteigerungen sowie Wohltätigkeitsveranstaltungen statt. Aktuell meldet Ricardo 150000 registrierte User, rund 4500 Auktionen täglich sowie 45000 angebotene Produkte. Am 21. Juli ging das Unternehmen an den Neuen Markt in Frankfurt. Der Kurs fiel von 36 Euro am ersten Handelstag auf derzeit 27 Euro. Für das Geschäftsjahr 1998/99 wird ein Umsatz von rund 5,7 Millionen Mark und ein Verlust in Höhe von 2,6 Millionen Mark erwartet. Neben einer europaweiten Ausweitung plant Ricardo.de einen virtuellen Business-to-Business-Vertrieb für geschlossene Benutzergruppen.