Rechnergestützte Informationssysteme in der DDR

04.11.1977

Dipl.-Kfm. Klaus Krakat , Mitarbeiter der Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale

Fragen. Bereich: EDV im RGW

Seit jeher zählte eine möglichst effektive Gestaltung sämtlicher Leistungs- und Planungsprozesse zu dem Hauptanliegen von Partei- und Wirtschaftsführung der DDR. Entsprechend wurde im zunehmendem Maße die Bedeutung der elektronischen Datenverarbeitung als ein wesentlicher Faktor und Instrument der Leitung erkannt, mit dessen Hilfe für Leitungsentscheidungen die erforderliche Informationsverarbeitung automatisiert werden sollte. So setzten erstmals als Auswirkung insbesondere von Parteitagsbeschlüssen 1967 von diesem Zeitpunkt an erste Aktivitäten mit Blick auf die Entwicklung rechnergestützter Informationssysteme ein. Ziel war es, "Integrierte Systeme der automatisierten Informationsverarbeitung" speziell für Betriebe und Kombinate volkswirtschaftlich bedeutender Zweige und Bereiche zu entwickeln. Die Überlegungen führten zu dem Ergebnis, daß mit einem solchen Informationssystem die wesentlichsten zur Planung, Lenkung und Kontrolle sowie Abrechnung und Analyse der Wirtschaftstätigkeit notwendigen Tätigkeiten der Informationsverarbeitung und -bereitstellung zu einem komplexen Organisationssystem zusammengeschlossen und die logischen und verarbeitungstechnisch miteinander im Zusammenhang stehenden Datenverarbeitungsprozesse verbunden werden können. Die in dieser Zeit bekanntgewordenen Konzepte eines Informationssystems gingen in der Regel von einer Zweigliederung des Gesamtsystems aus. Sie enthielten

- eine Gliederung nach Sachgebieten der Leitungstätigkeit (vertikale Methode), die unter anderem die Gebiete Produktion, Arbeitskräfte, Material, Grundmittel, Transport und Kosten umschloß sowie

- eine Gliederung nach dem zeitlichen Ablauf der Planung und Leitung der Produktionsprozesse (vertikale Methode), die zum Beispiel die Systemteile lang-, mittel- und kurzfristige (operative) Planung, Lenkung und Kontrolle sowie Abrechnung und Analyse berücksichtigte.

Ob und in welchem Umfang Ende der sechziger Jahre Informationssysteme oder Systemteile in die Praxis überführt werden konnten, steht auf Grund der verfügbar gewordenen Literatur hierzu nicht eindeutig fest. Ohne Zweifel waren der Entwicklung und dem Einsatz von rechnergestützten Informationssystemen allein schon wegen der bestehenden hardware- und software-mäßigen Tatbestände in dieser Zeit Grenzen gesetzt.

Das bereits 1969 von den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe beschlossene Regierungsabkommen über die arbeitsteilige Entwicklung und Produktion von Datenverarbeitungsanlagen, Peripheriegeräten und Systemunterlagen im Rahmen eines "Einheitlichen Systems der elektronischen Rechentechnik (ESER) leitete in der DDR eine neue Entwicklungsetappe im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung ein und setzte auch der bisherigen Gestaltung von Informationsprozessen neue Maßstäbe. Entscheidende Impulse gingen hier ab Anfang der siebziger Jahre von der Arbeitsgruppe "Automatisierte Leitungssysteme", einem Leitungsorgan des ESER, aus. Dieser Arbeitsgruppe wurde unter anderem die Aufgabe zugewiesen den Anwendern allgemeingültige konzeptionelle und methodische Materialien sowie universelle Typenelemente für die rationelle Entwicklung, Einführung und Anwendung von automatisierten Leitungssystemen zur Verfügung zu stellen. Ein derartiges automatisiertes Leitungssystem für Betriebe (ALS) in seiner allgemeinsten Form entspricht etwa dem bei uns bekanntgewordenen Management-Informationssystem.

Mit der seit dem VIII. Parteitag der SED der DDR im Jahre 1971 vollzogenen stärkeren Adaption und Rezeption sowjetischer Erfahrungen und Erkenntnisse sowohl auf dem wirtschaftlichen als auch auf dem wissenschaftlich-technischen Sektor, wurde in der DDR unter anderem auch die bisherige Entwicklungskonzeption des "Integrierten Systems der automatisierten Informationsverarbeitung" zugunsten des in der UdSSR in seinen Grundzügen entwickelten "Automatisierten Leitungssystems" aufgegeben.

Automatisierte Leitungssysteme umfassen einzelne Teilsysteme. Diese können nach einem bestimmten Merkmal ausgewählt werden, das den speziellen Zielen und Leitungsaufgaben entspricht. Jedes dieser Teilsysteme kann als ein für sich selbständiges System betrachtet werden. Es sind Gliederungsmöglichkeiten nach funktionellen Merkmalen (entsprechend der Funktion des Leitungssystems), nach Organisationsmerkmalen (entsprechend der Organisation des Leitungssystems) sowie nach anderen Merkmalen wie technische Mittel oder Systemunterlagen möglich. Vom Volkseigenen Betrieb Kombinat Robotron Dresden sind bereits verschiedene vorgefertigte Programmiersysteme und Programmpakete als sogenannte Typenelemente entwickelt und den Anwendern zur Verfügung gestellt worden. Typenelemente dienen der programmtechnischen Realisierung von automatisierten Leitungssystemen. Sie sind unter anderem gekennzeichnet durch den

Aufbau der Programme nach dem Modulprinzip, Variabilität der Ein- und Ausgabedateien bezüglich der Datenträger Struktur der logischen Sätze und Parameter der Blöcke und Felder sowie eine Fehlerdiagnostik zur Unterstützung bei der Generierung und Erprobung der Anwenderprogramme.

Die Planungen in der DDR sehen vor, automatisierte Leitungssysteme nicht nur für Betriebe und Kombinate, sondern ebenso für Vereinigungen Volkseigener Betriebe und Industriezweige sowie wirtschaftsleitende staatliche Organe nach sowjetischem Vorbild zu entwickeln und einzuführen. Technische Basis aller automatisierten Leitungssysteme sollen die bereits bestehenden und noch zu organisierenden Rechenzentren sein.

Wie verschiedenen Veröffentlichungen aus der DDR zu entnehmen ist, sind bereits in verschiedenen Betrieben und Kombinaten der DDR zumindestens einige Typenelemente automatisierter Leitungssysteme im Einsatz.