Reality-Check Unified Communications

12.03.2009
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Was ist die neue Art zu kommunizieren, und wer braucht sie? Experten standen Rede und Antwort.

Bereits seit einigen Jahren wird Unified Communications (UC) von zahlreichen Herstellern als das Patentrezept angepriesen, um die Kommunikations- und damit letztendlich auch die Geschäftsprozesse im Unternehmen zu verbessern. Wie und mit welchen Mitteln das geschehen soll, darüber haben die Anbieter jedoch völlig unterschiedliche Vorstellungen: Je nachdem, in welchem Geschäftsfeld sie aktiv sind, stehen die TK-Anlage, die Netzinfrastruktur oder die Groupware und andere Software im Mittelpunkt. Um Licht in das Begriffsdunkel zu bringen und Missverständnisse aus der Welt zu schaffen, hat die computerwoche in einem Roundtable-Gespräch Vertreter führender Anbieter und eine Analystin zu Wort kommen lassen. Zumindest, was die Theorie anbelangt, ziehen die Industrievertreter mit Nicole Dufft, Geschäftsführerin des Berliner Analystenhauses Berlecon Research, am gleichen Strang: Dufft versteht unter UC eine Integration verschiedener Kommunikationskanäle unter einer Oberfläche und – das macht für sie den Unterschied zu anderen Konzepten aus – deren Integration mit IT-Anwendungen. Damit lasse sich UC auch von einem Unified-Messaging-Konzept unterscheiden, bei dem es lediglich um die Integration verschiedener Kommunikationskanäle gehe.

Integration der Kommunikation

"Die Integration in die IT-Anwendungen ist der wesentliche Unterschied", so die Berlecon-Chefin. Carl Mühlner, Geschäftsführer des Systemintegrators Damovo, betont zusätzlich die Einbeziehung der Geschäftsprozesse. Zentral bei der Einführung von UC sei die Frage: "Was kann ich im Unternehmen (anders) an Kommunikationsformen nutzen, um effizienter, schneller, besser und kommunikativer zu sein?" Auch Carolin Diana Müller, Product Manager Unified Communications bei Microsoft Deutschland, liegt dieser Aspekt am Herzen. Die Integration in die Geschäftsprozesse sei aber nur machbar, wenn Anwender die Lösung intuitiv nutzen könnten. Komplexität würde eine neue Hürde bedeuten. "Bliebe nur zu ergänzen, jederzeit und überall", fügt Mehdi Schröder, Vice President der Aastra TeDeWe GmbH, hinzu – damit spielt er auf den Aspekt der Mobilität an. Manfred Bauer, Regional Channel Manager von Cisco Deutschland, hält zudem für wichtig, dass mit UC verschiedene, aus dem Netz kommende Kommunikationsmöglichkeiten zusammengefasst werden – mit einem Schwerpunkt auf Echtzeitkommunikation. Ziel sei es, Geschäftsprozesse stärker auch für den Anwender zu integrieren.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Angesichts dieser breiten Umschreibungen wird sich manch erfahrener ITK-Experte an die gute alte Computer Telephony Integration (CTI) erinnert fühlen: Unter diesem Schlagwort wurde Anwendern bereits in den 80er und 90er Jahren vieles versprochen, was dann in der Praxis mehr schlecht als recht eingelöst wurde. Berlecon-Chefin Dufft weist jedoch darauf hin, dass anders als bei CTI das Augenmerk nicht in erster Linie auf der Technologie liege. UC sei vielmehr ein Konzept, das alle Prozesse betreffe, in denen Kommunikation eine wesentliche Rolle spiele oder die dadurch stark beeinflusst würden. In den letzten zehn Jahren sei dieser Aspekt stark vernachlässigt worden. Man habe Kommunikation nur isoliert oder als Beiwerk betrachtet und nicht gesehen, dass sie für viele Prozesse von wesentlicher Bedeutung sei.

Neue Möglichkeiten

Außerdem, ergänzt Cisco-Manager Bauer, gebe es heute ganz andere technische Möglichkeiten – etwa durch die Integration von Video in Desktops und Telefon sowie in Form hochwertiger Videokonferenzen. Auch in den 80er und 90er Jahren habe die Möglichkeit bestanden, Videokonferenzen über mehrere gebündelte ISDN-Leitungen zu betreiben, da es aber rauschte und knackte, sei die Akzeptanz gering gewesen. Fortschritte ermöglichen laut Bauer die Web-Technologien. "Heute haben wir zum ersten Mal die Möglichkeit, die Kommunikationsprozesse auch mit den Applikationen zu verknüpfen, so dass man nicht mehr eine separate Anwendung öffnen muss, um jemand anzuwählen." Funktionen wie Instant Messaging könnten damit zur Prozessintegration verwendet werden.

Geschäftsprozesse im Mittelpunkt

Wenn es um den Nutzen von Unified Communications geht, stellen alle Diskutanten die Prozesse in den Mittelpunkt. Die Technik erleichtere die Anpassung an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt, erklärt Dufft und nennt als Beispiel die Automobilindustrie, wo Zulieferer bereits technisch in die Designphase einbezogen werden. Mit neuen Techniken ließen sich neue Formen der Zusammenarbeit realisieren. "Sicher ist die abgeschriebene TK-Anlage auch ein Treiber", stellt die Berlecon-Analystin klar. Viel wichtiger sei jedoch, dass Unternehmen ihre Prozesse mit den herkömmlichen Konzepten und Techniken nicht mehr sinnvoll abbilden könnten.

Im Prinzip sei UC eine eierlegende Wollmilchsau, erklärt Damovo-Manager Mühlner: "Wenn ein Unternehmen in dem Bereich alles umsetzt, hat es wahrscheinlich auch entsprechende Wettbewerbsvorteile. Da die Budgets aber nicht unbedingt größer werden, muss man zunächst einmal etwas einsparen, um im nächsten Schritt an die Prozessverbesserungen zu gehen." Und diese Möglichkeit sei gegeben, etwa wenn Unternehmen von ISDN auf IP-basierende Telefonie wechselten oder eine Fixed-Mobile-Integration anstrebten. Sein Resümee: "In der Summe wird man möglicherweise kein Geld sparen, wird es sogar wieder etwas mehr kosten. Aber wenn ich mir die Effizienz der Mitarbeiter betrachte, dann sieht es anders aus."

Auch Quick Wins möglich

Allerdings könne man heute in Projekten schon davon profitieren, dass sich Handys ins WLAN einbuchen und Gespräche dort weitergeführt werden, argumentiert Cisco-Manager Bauer. Als weiteren Punkt verweist er auf Reisezeiten und -kosten. "Wir haben es am eigenen Leib erprobt mit unseren Telepresence-Systemen. Wenn man wöchentlich fünf bis zehn Auslandsreisen einspart, dann rechnet sich ein hoch auflösendes Videosystem schon. Das lohnt sich, bevor zwölf Monate um sind."

"Wobei Video nicht immer Hightech sein muss", wirft Microsoft-Managerin Müller ein und verweist auf die 300.000 Dollar die für das System zu veranschlagen sind: "Was bringt es, wenn nur das Senior Management ein entsprechendes System nutzen darf? Die sind sowieso so gut gemanagt und durchgetaktet von ihren Sekretärinnen, die brauchen das wahrscheinlich gar nicht, um effizienter zu werden." Microsoft setzt lieber darauf, Video jedem Mitarbeiter – verstärkt auch im Mittelstand – bereitzustellen.

Damovo-Mann Mühlner sieht eine Chance darin, dass hochwertige und teure Videokonferenzsysteme wie Telepresence Geschäftsführern und Managern Spaß machen und sie in Kontakt mit Produkten bringen, die Collaboration-Prozesse verbessern. Die mangelnde Attraktivität neuer Technik sei ein möglicher Grund dafür, warum so viele UC-Projekte lange in der Evaluierungsphase stecken blieben: Produkte würden zwar bereitgestellt, aber die Menschen arbeiteten so weiter wie bisher. So würden Webcams angeschafft, dann aber der USB-Stecker gezogen und die Geräte nicht genutzt.

Am Ende drehe sich alles um die Applikationen, wirft Aastra-Manager Schröder ein. Die Technologie darunter sei nur Mittel zum Zweck. "Dass alles in Richtung Unified Communications geht, darüber sind wir uns einig. Es ist nicht mehr eine Frage des Ob, sondern des Wie und Wie schnell. Ähnlich wie bei VoIP werde es zu Beginn nur wenige Projekte geben. "Es werden aber mehr werden, wobei zwingend Beratungs- und Integrations-Know-how gefordert werden wird, weil die Komplexität so hoch ist."

Microsoft-Managerin Müller bestätigt, dass das Thema Unified Communications generell auf Interesse stößt. So habe eine bei Berlecon in Auftrag gegebene Umfrage ergeben, dass mehr als 50 Prozent der Fachbereichsleiter UC für ihre Unternehmen für sinnvoll hielten. Bei den Technologieverantwortlichen sei es ähnlich. "Natürlich ist UC kein Allheilmittel für jedes Unternehmen", räumt Berlecon-Chefin Dufft ein, es komme auf die Art der Prozesse an: "Ein Unternehmen, das nicht mit der Außenwelt kommuniziert, braucht auch keine UC-Lösung."

Bessere Erreichbarkeit

Die Bedürfnisse der Nutzer sehen die UC-Experten vor allem in einem intelligenteren Workflow und besserer Erreichbarkeit. "Wir haben in Analysen festgestellt, dass Unternehmen, die heute noch keine UC-Lösung einsetzen, sehr viel Zeit damit verbringen, bestimmte Informationen zu erhalten", erklärt Microsoft-Managerin Müller. "Mit Unified Communications sehe ich anhand des präsenzbasierenden Systems gleich, ob der Adressat einer E-Mail oder jemand aus seinem Team erreichbar ist. Ich muss ihn nicht einmal anrufen, sondern kann ihm kurz via Instant Messaging antworten."

Damovo-Manager Mühlner berichtet, dass 80 Prozent seiner Projekte auf Fixed-Mobile-Convergence und Integration abzielten. Neben den Kostenvorteilen ergebe sich dabei auch eine unmittelbare Verbesserung in den Workflows, etwa wegen der Präsenzinformationen. Damit werde in der Tat viel Zeit gespart, aber der Treiber in Unternehmen, die ihre Kommunikation auf IP umgestellt haben, seien technische Vorteile wie Fixed-Mobile-Integration.

Bei der Einbindung von Mobiltelefonen sei keineswegs immer zu erkennen, ob damit Geld gespart werde, räumt Schröder ein und verweist auf die Ergebnisse einer von Aastra und Arthur D. Little erarbeiteten Studie. Für den Kunden sei dies aber auch nicht immer das Entscheidende. Es gehe vielmehr darum, wie er die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter angesichts der Flut an Informationen steigern könne, meint er. "UC wird einen hohen Nutzen bringen, wenn wir es schaffen, in heterogenen Netzen eine homogene Kommunikation sicherzustellen. In geschlossenen Netzen klappt das hervorragend. Sobald ich in andere Netze wechsle, sind große Herausforderungen da, die aber sicher gelöst werden."

Einfachere Verwaltung

Als weiteren Vorteil nennt Dufft die vereinfachte Administration dank des Zusammenwachsens von IT und TK. Zusätzlich zur IT-Infrastruktur habe es früher eine proprietäre TK-Anlage mit teurem Wartungsvertrag gegeben, die noch dazu in der Verantwortung des Bereichs Facility-Management lag, erläutert Müller von Microsoft. Mit dem Wechsel auf IP-Technologie werde die Verwaltung einfacher und kostengünstiger, weil es eben schon eine Server-Infrastruktur gebe. Zusätzlich könnten Experten, die heute schon das Instant-Messaging-System administrieren, mit etwas Schulung auch die Verwaltung des UC-Systems übernehmen.

Das gehört zu UC

Unter dem Schlagwort Unified Communications wird allgemein die Verquickung verschiedener Kommunikationsformen unter einer gemeinsamen Benutzeroberfläche verstanden. Folgende Elemente können enthalten sein:

(IP-)Telefonie;

Telefon-, Web- und Videokonferenzen;

(mobile) E-Mail;

Instant Messaging;

Präsenzinformationen.

Zusätzlich werden unter dem Schlagwort Collaboration noch folgende Bestandteile dazugerechnet:

Portale, Intra- und Extranets;

kontextspezifische Daten aus CRM- und ERP-Systemen;

White Boards, Application Sharing.

UC – die wichtigsten Anbieter und Produkte

Unified Communications ist grundsätzlich so konzipiert, dass sich Hard- und Software verschiedener Anbieter kombinieren lassen. Dennoch versuchen die einschlägigen Hersteller natürlich, möglichst die komplette UC-Suite zu verkaufen.

Hier die Kernprodukte der wichtigsten Hersteller:

  • Microsoft – Office Communications Server (OCS),

  • Cisco – Cisco Unified Communications System,

  • Avaya – Unified Communications Standard (Advanced) Edition,

  • Aastra – Aastra 5000 TWP 3, MX-One mit Snapware 2009 (Mittelstand),

  • Alcatel-Lucent – Omnitouch Unified Communication,

  • Siemens Enterprise Communications (SEN) – OpenScape UC Suite,

  • IBM – Lotus Sametime.