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Real Networks setzt auf Open Source

23.07.2002
Streaming-Pionier Real Networks legt den Code für seine neue Server-Generation "Helix" offen. Ärger droht von Microsoft, dessen Windows Media Real ungefragt ebenfalls verbreiten will.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - In seinem bislang breitest angelegten und gewagtesten Schritt will Streaming-Pionier Real Networks den Quellcode für seine nächste Generation Backend-Software offen legen und erstmals auch Microsofts Windows Media unterstützen. Aus Redmond droht hier möglicherweise einiger Ärger, denn der Gates-Konzern wurde zuvor nicht um Erlaubnis gefragt (auch wenn Real die entsprechende Software völlig unabhängig entwickelt haben will).

Real-CEO Rob Glaser will den "Turm zu Babel" der Streaming-Formate umstürzen.

Real kündigte gestern auf einer Pressekonferenz in San Francisco seine neue Dachmarke "Helix" an, unter der seine kommende Software sowie eine korrespondierende Initiative namens Helix Community zusammengefasst sind, die sich stark an die Open-Source-Community und Suns JCP (Java Community Process) anlehnt. Das Unternehmen setzt auf eine Öffnung des Marktes - sowohl kommerzielle als auch Open-Source-Entwickler sollen ihre eigenen Streaming-Media-Systeme entwickeln. Es gibt zwei verschiedene Lizenzen - die RCSL (RealNetworks Community Source License) für Helix-kompatible und die RPSL (RealNetworks Public Source License) für Open-Source-Produkte. Letztere soll von der OSI (Open Source Initiative) zertifiziert werden.

Reals eigene Helix-Implementierung wird mehr als 55 Datentypen unterstützen, darunter die führenden Formate RealVideo, Apple Quicktime, Windows Media sowie MPEG-4. In einer Demo übertrug der Helix Universal Server auf einer Intel-Maschine unter Linux den gleichen Datenstrom an einen RealOne Player unter Windows, einen Quicktime Player unter Mac OS X sowie den Windows Media Player unter Windows und Pocket PC 2002.

Der "Helix Universal Server", an dem Real seit zwei Jahren arbeitet, soll nach den Worten von CEO (Chief Executive Officer) Rob Glaser den "Turm zu Babel" der aktuellen Streaming-Formate zum Einsturz bringen und "Konvergenz endlich wirklich konvergieren lassen". Für Microsoft bedeutet dies möglicherweise ein Problem: Anbieter von Streaming-Inhalten verwenden üblicherweise den RealServer auf Unix oder Linux und setzen für Windows Media separate Windows-2000-Maschinen ein - diese macht Helix unter Umständen überflüssig, so dass dem Gates-Konzern die Lizenzgebühren entgehen (für das Betriebssystem, den Streaming-Server verschenkt Microsoft großzügig).

Der Content-Delivery-Spezialist Speedera Networks beispielsweise, der auch Microsoft als Streaming-Media-Partner aufführt, ist einer von Reals 25 anfänglichen Helix-Partnern - darunter finden sich auch Branchenriesen wie HP, Intel, Nokia, Oracle, PalmSource, Sony Corporation und Sun Microsystems - und wird die Software laut CEO Ajit Gupta "als Ersatz für das hernehmen, was wir bislang in unserem Netz einsetzen".

Auf der "Helix Community" sollen sich, so hofft Real Networks, bald kommerzielle wie Open-Source-Entwickler tummeln.

Die Helix-Plattform umfasst Medien-Encoder, Streaming-Server und Wiedergabe-Client. Der Quellcode für den Client soll binnen 90 Tagen verfügbar sein, der für Server und Encoder bis Ende des Jahres. Der Platform-Code liegt offen, Reals eigene Implementierung bleibt aber auch weiterhin proprietär. Dan Sheeran, Vice President Media Systems, erklärte, der quelloffene "Helix DNA Server" bilde die dem Streaming Server zugrunde liegende "Engine". Sie unterstütze aber nicht die Übertragung irgendwelcher Datentypen oder Protokolle - dies bleibt Entwicklern überlassen, die den Code nutzen.

In Bezug auf Windows Media erklärte Rob Glaser, Real habe keineswegs den Server-Code von Microsoft kopiert, sondern bei seiner Entwicklung die so genannte Clean-Room-Methode verwendet. "Unsere Anwälte mögen den Begriff nicht", scherzte er auf Frage, ob beim Development Reverse Engineering im Spiel gewesen sei. Sheeran ergänzte: "Wir sind im Wesentlich so vorgegangen, dass wir die Messages beobachtet haben, die Server und Client unter Windows austauschen und dann einen Weg gefunden haben, die gleichen Messages zu senden."

Da Real den Helix Universal Server für insgesamt elf verschiedene Betriebssystem anbietet, können Anwender erstmals auch von Linux und verschiedenen Unixen aus Windows Media verbreiten. Sheeran meinte, die Nutzer hätten geradezu nach dieser Möglichkeit "geschrien", die die Skalierbarkeit exponentiell steigere. Glaser erklärte, in von KeyLabs veranstalteten (und Real in Auftrag gegebenen) Tests habe der Helix Universal Server auf Linux 400 Prozent mehr gleichzeitige 20 Kbps-Datenströme geliefert als der Windows Media Server auf Windows 2000, und immer noch 200 Prozent mehr wenn beide Server auf Windows 2000 liefen.

Wie Microsoft auf den offensichtlichen Affront reagiert, bleibt abzuwarten. Produkt-Manager Michael Aldridge erklärte bislang nur, man brauche noch Zeit um die Sache zu prüfen. Real geht zumindest davon aus, dass es aufgrund früherer Lizenz-Arrangements mit Microsoft und seiner Methodologie auf der sicheren Seite ist. "So universell wie sie es gerne hätten ist die Sache auch gar nicht", kommentiert Microsoft-Mann Aldridge mit dem Hinweis darauf, dass Encoder und Client von Helix Windows Media nicht unterstützen. "Unternehmen suchen nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern wollen die beste digitale Medientechnik mit der besten Feature-Kombination." Sollte Microsoft nicht gegen Reals Windows-Media-Unterstützung vorgehen, dann könnte die Helix-Strategie das Kräfteverhältnis im Streaming-Media-Markt aber durchaus verschieben. Microsoft hatte hier zuletzt aufgrund seines "Keine-zusätzliche-Server-Kosten"-Geschäftsmodells die größten

Fortschritte erzielt.

Der Helix Universal Server kostet 2000 bis 42.600 Dollar, die Gebühren berechnen sich anhand der beanspruchten Bandbreite (und nicht mehr wie früher nach der Zahl gleichzeitig bedienter Clients). Aldridge bezeichnete dies als "Erfolgssteuer", die es unter Windows nicht gebe. Eine Demoversion ist bereits erhältlich. Der Encoder "Helix Producer" ist in der Basisversion kostenlos, eine leistungsfähigere "Premium Edition" kostet knapp 200 Dollar. (tc)