DV-Kosten/Verwirrspiel um TCO-Konzepte

Re- versus Dezentralisierung: Anwender haben das Hin und Her satt

23.10.1998

Leicht haben es die IT-Entscheider in den Betrieben wirklich nicht. Hat man sich endlich zu einem Konzept durchgerungen, das laut Hersteller und Systemberater durch seine offene Struktur genügend Ausbaupotential und Flexibilität für die Zukunft bietet, kommen die Marktforscher daher und entdecken hohe versteckte Kosten für Betreuung und Service.

So ergeht es nun beispielsweise der Veba Oel AG in Gelsenkirchen, deren Töchter die Deminex GmbH und die Aral AG sind. Veba fördert und verarbeitet Erdöl und setzt jährlich mit seinen 5500 Mitarbeitern etwa 18 Milliarden Mark um. Im Zuge der strategischen Ausrichtung auf Client-Server-Systeme wollte Veba Oel 1997 auch ein Instrument zur effektiveren Administration schaffen. Die Maßnahmen waren notwendig geworden, um Arbeitsabläufe insbesondere in der Verwaltung zu optimieren und Kosten für die Wartung zu reduzieren. Dabei sollten nicht nur Papierberge minimiert und als letzter Schritt die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern vereinfacht werden. Vor allem erhoffte man sich von der zentralen Administration der Netze große Kosten- und Flexibilitätsvorteile.

Bereits 1995 hatte sich das Unternehmen für eine homogene Client-Server-Lösung mit Windows 95 und der Produktpalette von Microsoft im Back-Office entschieden. Dabei wurden die Windows-95-Clients mit gleicher Software, Installationsart und Rahmenbedingungen installiert. Diese Maßnahme vereinfachte die Administration der Arbeitsplatzrechner wesentlich. "Der zweite Schritt in der Umstrukturierung sollte die Einführung eines Desktop-Management-Systems sein, doch diesen Schritt wollten wir nicht allein machen", erinnert sich Günther Vogler, Leiter der Informationstechnik bei Veba Oel. Zusammen mit dem Dortmunder Systemintegrator und Microsoft Solution Provider Partner Go-net Netzwerk- und Datensysteme GmbH entschied man sich für Microsofts Produkt "Systems Management Server" (SMS). Wegen der integrierten Server-Administration, dem Helpdesk und der nun möglichen Softwareverteilung und -paketerstellung schien eine drastische Senkung der Kosten für die Systempflege möglich und - in der Tat - "wir haben bei der Installation neuer Programme noch mehr gespart, als ursprünglich vermutet", erzählt Vogler.

"Wir haben seit der Einführung 28000 Programmpakete installiert, das macht eine Ersparnis von 1,3 Millionen Mark aus, eine Summe, mit der wir keinesfalls gerechnet haben."

Die mit der Kostenkalkulation beauftragte Gartner Group hatte im Vorfeld mit Einsparungen von 400000 Mark gerechnet. Auch bei der Einführung von SAP R/3 war Vogler mit der Zeit- und Kosteneinsparung bei Installation und Pflege sehr zufrieden. Und die ab und zu notwendigen Neueinrichtungen von Windows erfordern statt bisher 2,5 Stunden nun nur noch 16 Minuten. Ohne lange Fehlersuche wird der Rechner einfach komplett neu installiert.

Durch SMS spart Veba Oel nach eigenen Angaben etwa zehn Prozent der verdeckten Kosten für internen Support im PC-Umfeld ein. Für routinemäßige Neuinstallationen von Windows 95 senkten sich die Kosten von 380 auf 150 Mark pro Arbeitsplatz. Da bei dem Versorgungsunternehmen jährlich ein Drittel aller Rechner ausgetauscht werden, bringt alleine dies in der TCO-Rechnung (TCO = Total Cost of Ownership) erhebliche Kosteneinsparungen. Ganz nebenbei stellte sich heraus, daß die Pflege der heute insgesamt 400 bis 500 verschiedenen Rechnerkonfigurationen ohne SMS mit dem vorhandenen Personal nicht mehr zu realisieren wäre.

Während man bei Veba Oel die individuellen Bedürfnisse der Anwender durch Standardisierung der Fat Clients zugunsten besserer TCO abblockt, folgt die Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM) den allerneuesten Tendenzen. Hier ist die Methode von Veba bereits Schnee von gestern; man schwört auf NCs, mit denen indes auch die Belange der Mitarbeiter berücksichtigt werden sollen. EAM, regionaler Energieversorger für den Bereich Nord-Hessen sowie für Teile von Niedersachsen und Ostwestfalen, liefert Energie an etwa 700000 Tarifkunden (Umsatz: zirka zwei Milliarden Mark), die sie mit 1600 Mitarbeitern versorgt. Vor der Umstellung auf NCs bestand die heterogene DV aus einem Mainframe IBM 9672 R22 (CMOS-Rechner), einem zentralen Unix-Server 9076-SP2 und weiteren Servern unter Windows NT.

Hier war ein Netzwerk im Einsatz, das im wesentlichen noch auf Novell basiert. Doch der Trend ging in Richtung Windows NT. Als Server dienten Compaq "Proliant 5000", den Mainframe, der unter MVS lief, stellte man auf OS/390 um. Auf der Unix-Seite arbeitet man mit HP 9000 Workstations unter "HP-UX". Den PC-Bereich, der früher stark von IBM geprägt war, bedienen auch andere Hersteller, wie zum Beispiel Compaq, wobei EAM mit OS/2 begonnen hatte und nun zu Windows NT tendiert.

Ausschlaggebend für das Überdenken des zergliederten Systems war das Ablaufen der Mietverträge für die 350 Terminals (3270-Systeme). Eine Verlängerung hätte bedeutet, daß EAM in Zukunft keine Möglichkeit gehabt hätte, auf nötige PC-Applikationen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation sowie E-Mail, Fax und ähnliche Dienste zuzugreifen. Die zweite Alternative, Fat Clients aufzustellen, verwarf das Unternehmen wegen der hohen Anschaffungskosten und der hohen TCO. Außerdem waren für PC-Support und -Administration keine zusätzlichen Mitarbeiter abzustellen, da alle Kräfte im bestehenden PC-Bereich auf die Umstellung von OS/2 auf Windows NT gebunden waren. Klassische X-Terminals auf Unix-Basis schieden für EAM ebenfalls aus, da sie erstens zu teuer waren und das Unternehmen zweitens glaubte, daß Unix-Applikationen nicht alle Probleme lösen könnten. Außerdem schreckten letztendlich die hohen Anforderungen an die CPU-Leistung und den Support die EAM-Leute ab.

Die Entscheidung fiel auf "Ex- plora", den Netzwerk-Computer von NCD. Ausgestattet mit einem Power-PC-C-Chip, 8 MB Arbeitsspeicher und einem 10BaseT-Anschluß kommt der NC mit einer Leistung von nur 19 Watt aus. Bei den Bildschirmen entschied man sich für 17-Zoll-TCO92-Monitore von Nokia. Diese Systeme besitzen eine O-Emulation 3270 und können gleichzeitig PC-Software darstellen (mit Serversoftware "Wincenter", "Win DD" oder "Ntrigue"). Mit den zu erwartenden Ausgaben für Support und anderen Ownership-Kosten, die etwa für die bisherigen 3270-Terminals anfallen, war EAM zufrieden. Schulungskosten für die Anwender entfielen ebenfalls weitgehend, da die Mitarbeiter ja mit ähnli- chen Systemen bereits vertraut waren.

Im ersten Ausbau wurden zunächst zirka 350 Exploras installiert, die den Anwendern potentielle PC-Funktionalität bieten. Der Anwender ruft die Büroanwendungen nur auf, wenn er sie wirklich benötigt. So entstehen nur Kosten für die jeweils zur Verfügung gestellte Leistung. Es gibt so zwar 350 Lizenzen für den 3270-Betrieb, aber viel weniger Lizenzen für Wincenter Pro, der von EAM verwendeten PC-Emulation, was die Kosten senkt.

Bei EAM gibt es nämlich noch verhältnismäßig viele Anwender, die PC-Programme nur selten oder gar nicht nutzen. Aus wirtschaftlichen Gründen wäre es zu aufwendig gewesen, diese Nutzer alle mit teuren und hochwertigen PCs auszustatten, obwohl sie hauptsächlich einen 3270-Terminalanschluß benötigen. Deshalb erwies sich ein NC als die bessere Lösung. Auch die vorhandenen Unix-Anwendungen können die Anwender weiter nutzen.

Letztendlich entstanden bei der Umstellung auf NCs keine höheren Kosten, als wenn der Energieversorger auf Terminalebene geblieben wäre. Die Mietbelastung für die Geräte blieb, bezogen auf gleiche Leistung, gleich. Da man allerdings durch die neue Technik auch Zusatznutzen wie größere Bilddiagonalen und Strahlenschutz einkaufte, mußten diese Upgrades mit höheren Mieten ausgeglichen werden. Das alles war aber ohne erhöhte TCO zu realisieren, Kosten, die bei Fat Clients angefallen wären.

Trotz der Zufriedenheit bei Veba zeigt man sich bei IBM heute, nachdem man auch mit Client-Server Geld verdient hat, wieder kritisch. Die massiv propagierte Dezentralisierung war laut Michael Woydich aus dem IBM-Lösungsteam problematischer als ursprünglich erwartet. Vor allem hätte man nun erkannt, daß die Supportkosten offener Systeme schnell aus dem Ruder laufen. Jetzt soll die oft plakatierte Server-Konsolidierung - im Idealfall löst ein S/390-System alle kleineren Server ab - für Abhilfe sorgen. Dieter Wendt, S/390-Chef der IBM Deutschland: "Die IBM setzt selbst derzeit noch rund 6000 Web-Server ein. Auch wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß das nicht sehr produktiv ist. Eine Konsolidierung reduziert Kosten und Management-Aufwand erheblich."

Doch Hans-Jürgen Rehm aus der S/390-Öffentlichkeitsarbeit glaubt, daß die Bereiche, die am meisten von der Dezentralisierung profitieren, bei einer erneuten Zentralisierung auf die Barrikaden gehen: "Bei der Server-Konsolidierung stoßen Sie auf enorme Widerstände in den Fachabteilungen. Die Leute wollen sich die Dinge nicht gern aus der Hand nehmen lassen. Es ist oft ein echtes Politikum, diese Entscheidung zu treffen."

Server-Konsolidierung? Nein danke!

Doch beim Versandhaus Quelle-Schickedanz regen sich die Widerstände, entgegen den Prognosen der IBM, nicht in den Fachabteilungen, sondern bereits in der DV-Leitung. Hier geht es nicht um die Angst vor Kompetenzverlust. Vielmehr glauben die Entscheider den immer wieder neuen vollmundigen Versprechungen der Marktriesen nicht mehr.

Aufgrund der vielen Innova- tionsschritte in der DV und der damit verbundenen wechselnden System-Philosophien finden sich bei Quelle Mainframes, prozeßsteuernde Tandem-Rechner, die verschiedensten Unix-Systeme und NT-Server. Dem Kostenargument von IBM und Gartner Group, nämlich "niedrigere TCO bei Mainframes", mag man hier nicht folgen. DV-Manager Armin Büschel: "Wenn man den TCO-Angaben der Gartner Group und der IBM glaubt, müßte der Mainframe billiger sein. Wir können diese Aussage allerdings nicht unterstützen." Deshalb wird bei Quelle mit Hilfe von Tools mit den vorhandenen heterogenen Systemumgebungen weitergearbeitet. "Wir haben zumindest in den kommenden zwei bis drei Jahren nicht vor, die Hardwareplattformen zu vereinheitlichen."

In den DV-Abteilungen der mittelständischen und großen Unternehmen ist man anscheinend skeptisch geworden. In Zukunft wird es den Marktriesen der DV-Welt nicht mehr so einfach gelingen, die Entscheider für neue Modelle und die Verschrottung alter Systeme zu gewinnen. Statt dessen nutzen diese oft weiter die vorhandenen Ressourcen, auch wenn das deutsche DV-Management sich dadurch einen eher konservativen Ruf einhandelt.

Entscheidungen veralten schnell

Wie auch die Entscheidung des IT-Managements lautet, mittelfristig ist sie grundsätzlich falsch. Das versuchen zumindest die Hersteller und Software-Entwickler den Entscheidern immer wieder einzureden. In ständig kürzer werdenden Perioden wechselt das vermeintlich ideale DV-System-Szenario. Sicherlich, Verbesserungen hinsichtlich TCO sind in jedem Innovationsschritt enthalten. Doch das meiste Geld mit den konträren Argumenten der jeweils vermeintlich effektivsten und kostengünstigsten DV-Architektur machen wohl nach wie vor die Hard- und Softwarehersteller. Da bleibt die Frage offen, ob nicht deren Propaganda für zunächst zentrale, dann dezentrale und nun wieder zentrale Strukturen Programm ist.

ANGEKLICKT

Drei Beispiele machen deutlich, daß es das allein seligmachende Rezept, die immer mal wieder ausufernden IT-Kosten zu reduzieren, nicht gibt. Selbst die zur Zeit stark propagierte Methode der Rezentralisierung - auch unter dem Schlagwort "Server-Konsolidierung" bekannt, findet nicht so ohne weiteres ihre Anhänger. Im Einzelfall kann dem Kostenproblem auf sehr unterschiedlichen Wegen begegnet werden. Der Autor verdeutlicht dies anhand der Veba Oel AG, der Energie AG und Quelle Schickedanz & Grete Holding KG.

Michael Funk ist freier Journalist in Partenheim bei Mainz.