Anwender klagen ueber mangelhaften Service und Support

Re-Engineering: Anbieter vergessen die Kundenlektion

26.01.1996

Die Geschaeftsfuehrer so grosser IT-Hersteller wie IBM, Digital Equipment oder hierzulande Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI) haben ihre Business-Re-Engineering-Lektion nur unvollstaendig gelernt. Zwar wird der Verschlankungsprozess mit Macht vorangetrieben, indem Arbeitsplaetze abgebaut, neue Ablaeufe eingefuehrt und Vertriebskonzepte optimiert werden. Doch die wichtigste Botschaft von Re-Engineering-Papst Michael Hammer und seinem Gefolge verhallt ungehoert: die Kundenorientierung. Immer deutlicher zeigt sich, dass der mit Eifer praktizierte kontinuierliche Verbesserungsprozess bisher nur nach innen gerichtet war. Mehr als je zuvor leiden die Anwender unter einem schlampigen Support. Sie finden in den Unternehmen keine Ansprechpartner fuer ihre Probleme, der Vertriebsbeauftragte ist eine aussterbende Spezies. Die Kundenbindung laesst nach, da inzwischen nicht nur das Equipment, sondern auch der Support austauschbar werden.

Seit Jahren beschaeftigt sich die freiberufliche Marktforscherin Brigitte Hilgner aus Muenchen unter anderem mit Erhebungen ueber die Zufriedenheit von DV-Anwendern. "Vor allem ueber Digital wurde in juengster Zeit viel gejammert", berichtet die Analystin. "Der staendige Personalabbau und -wechsel fuehrte dazu, dass die Kunden nicht mehr wussten, wer fuer sie zustaendig ist." In neueren Untersuchungen haeuften sich aber auch die Klagen ueber die IBM und die Deutsche Telekom.

Im Mittelpunkt der Kundenkritik steht derzeit weniger der technische Support als das gesamte Service-Management. Wenn sie sich nicht gerade zu den bevorzugt behandelten "Key Accounts" zaehlen duerfen, bleibt den Anwendern nichts anderes uebrig, als offensiv nach Informationen zu recherchieren. Vorbei die Zeiten, in denen der Vertriebsbeauftragte zum Gala-Dinner lud und ganz nebenbei das Ohr auf die Brust der leidenden DV-Chefs legte. Will ein Kunde heute etwas von seinem Lieferanten, verirrt er sich in der Regel im Labyrinth von dessen Telefonanlagen und Call Centers. Verstaerkt wird das Ungemach durch die massiven Vertriebskampagnen am Telefon, denen sich die Anwender zunehmend ausgesetzt sehen.

In der Tat sind die Veraenderungen bei den grossen Herstellern so massiv, dass es nahezu unmoeglich erscheint, die alten Strukturen aufrechtzuerhalten. Digital Equipment beispielsweise reduzierte das Personal weltweit um nahezu die Haelfte und lagerte hierzulande ganze Bereiche in das selbstaendige Unternehmen Ditec aus. Der Direktvertrieb wurde stark reduziert, die Vertriebsmannschaft extrem dezimiert. Nur noch eine kleine Zahl ausgewaehlter Grosskunden kommt in den Genuss einer direkten Betreuung. Ansonsten arbeitet DEC im Vertriebs- wie im Service- und Supportbereich mit Partnern zusammen, deren Qualitaet sehr unterschiedlich ist.

"Die Vertriebspartner muessen das noetige Know-how haben", fordert Otto Titze, Vorsitzender des Anwendervereins Decus. Lakonisch fuegt er hinzu: "Der eine hat es, der andere nicht." DEC habe zunaechst sehr viele Distributoren angeheuert, von denen sich jedoch manche als wenig kompetent erwiesen haetten. Im August letzten Jahres sei dieses Partnerkonzept ueberarbeitet worden. Klagen von Decus- Mitgliedern - "Keiner kuemmert sich mehr um uns" - zeigten jedoch, dass die Betreuung noch immer nicht wie gewuenscht funktioniere.

Gleichwohl fordert der Anwendersprecher die Kunden auf, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern auch Verstaendnis fuer die veraenderte Situation ihres Herstellers aufzubringen. Allerdings muesse DEC seinerseits Signale setzen; man duerfe den Kontakt zum Kunden nicht verlieren und dessen Betreuung allein den Partnern ueberlassen. Die Anwender haetten ein berechtigtes Interesse daran, in gewissen Fragen mit dem Hersteller selbst zu sprechen - und dieses Beduerfnis verstaerke sich in dem Masse, in dem sich der zustaendige Distributor als unzuverlaessig oder wenig kompetent erweise.

Der Vertrieb ueber indirekte Kanaele bringt den grossen Herstellern wesentliche Vorteile. Sie koennen Personal abbauen und den Overhead in der Verwaltung reduzieren, indem sie die Betreuung kleiner und mittlerer Kunden aus der Hand geben und sich ausschliesslich um Grosskunden kuemmern. Der Nachteil dieses Vorgehens liegt jedoch in einem haeufig eklatanten Verlust an Kundennaehe.

"Die meisten Hersteller haben bei ihren Partnerkonzepten einen gewaltigen Fehler gemacht", urteilt der Muenchner Marktforscher Helmuth Guembel. Der ehemalige Analyst der Gartner Group kritisiert, dass die Anbieter den Kontakt zu ihren Kunden verloren haetten. "Wenn ich alles ueber Partner abwickle, weiss ich irgendwann nicht mehr, was mein Kunde will." Hin und wieder brauche ein Hersteller den "Durchstich" zum Kunden, sei es durch Umfragen oder durch eine Hotline, an der sich der Anwender ausweinen koenne.

Digital hat diese Lektion offenbar gelernt: Auf der letzten Hausmesse in Muenchen wurden nach Angaben Titzes Kaertchen mit Telefonnummern von Ansprechpartnern verteilt, an die sich verzweifelte Kunden wenden koennen.

Auch Siemens-Nixdorf kaempft mit massiven Problemen bei der Kundenbetreuung. "Wir haben soeben in unserem Arbeitskreis Informationsverarbeitung eine neue Arbeitsgruppe gegruendet, die sich mit dem Wartungsbereich von SNI, dem ,IT-Service', beschaeftigt", berichtet Horst Rittenbruch, Vorstandssprecher des Siemens Informationstechnik Anwendervereins (Save). Loyal, wie Sprecher von Anwendervereinen nun mal sind, mag Rittenbruch die Kritik nicht auf die Spitze treiben. Dennoch bestaetigt er, dass das extreme "Kosten-Management" bei SNI negative Auswirkungen auf den Kundenservice habe. Waehrend die Key-Account-Kunden mit ihrem Hersteller zufrieden seien, klagten insbesondere kleinere Unternehmen ueber eine eher duerftige Betreuung.

Der staendige Wechsel der Gespraechspartner und die unklare Zuordnung im Unternehmen macht es den Kunden immer schwerer, den Kontakt mit einer Stelle aufzunehmen, die sich verantwortlich fuehlt. Folge ist der Buchbinder-Wanninger-Effekt - Kunden lassen sich von einer Stelle zur anderen verbinden, ohne an das Ziel ihrer Wuensche zu kommen. Dieses Problem wiegt um so schwerer, als die "Fallhoehe" mancher Anwender, die frueher einen direkten Draht zu ihrem Vertriebsbeauftragten hatten und sich gut betreut fuehlten, nun besonders gross ist.

"Wir haben einen offenen Arbeitskreis gegruendet - offen in dem Sinne, dass beide Seiten die Probleme zur Sprache bringen. Es hat keinen Zweck, aufeinander loszuschlagen." Rittenbruch haelt die Schwachstellen bei SNI nach den Restrukturierungsmassnahmen der vergangenen Jahre fuer unvermeidlich, fordert aber ihre Beseitigung. Die Handschrift des neuen Vorstandschefs Gerhard Schulmeyer sei in puncto Kundenbetreuung bisher nicht zu spueren - wohl deshalb, weil die Reorganisation noch immer nicht vollstaendig abgeschlossen sei.

So gnaedig wie der Save-Sprecher mag der DV-Chef eines grossen bayerischen Versicherungsunternehmens nicht mit Siemens-Nixdorf umspringen. "Bei SNI vergeht kein Monat, in dem sich nichts veraendert", aergert sich der Grossanwender. "Mal hat der Kunde einen Ansprechpartner, dann hat er keinen mehr. Ploetzlich kriegt dann der Partner noch ein anderes Ressort hinzu und hat fuer uns keine Zeit mehr. So wird die Sache aeusserst ineffektiv." Aehnliche Erfahrungen mache sein Unternehmen derzeit mit dem anderen Haus- und Hoflieferanten, der IBM.

Die Konsequenzen sind dramatisch - sie sollten bei SNI und IBM die Alarmglocken in Bewegung setzen: "Wir kaufen nicht mehr unbedingt bei Siemens-Nixdorf oder IBM, wir kaufen vermehrt anderswo", berichtet der Grossanwender. Vor allem die Beratungsleistungen der wichtigsten Hersteller wuerden nicht mehr in Anspruch genommen. Statt dessen verlasse man sich auf die eigene Kompetenz sowie auf einen faehigen Beraterstab, der je nach gefordertem Know-how staendig ausgewechselt werde. Intensive Vorarbeiten und -recherchen im eigenen Unternehmen fuehrten dazu, dass man Herstellerinformationen sehr gezielt abfragen koenne - und dies habe sich bisher nicht als problematisch herausgestellt.

Je staerker der Kundenservice nachlaesst, desto mehr loest sich die ehemals enge Bindung zwischen Anbietern und Kunden - eine Beobachtung, die auch Unternehmensberater Lothar Papenberg aus Stolberg macht. Als Chairman des Arbeitskreises VSE im IBM- Benutzerverband Guide & Share berichtet der Consultant von den grossen Problemen, die IBM derzeit mit der Betreuung ihrer Kunden hat. Das Unternehmen sei deutlich weniger praesent beim Kunden als frueher; Vertriebsbeauftragte (VBs) und System-Engineers (SEs) wurden demnach massiv eingespart.

"Haeufig waren in der Vergangenheit der VB und der SE diejenigen, deren Fachkompetenz von Kunden in Anspruch genommen wurde, um Entscheidungen zu treffen", berichtet Papenberg. "Dieses Know-how, das die Kunden teilweise sogar kostenlos nutzen konnten, ging verloren. Jetzt muessen sie sich das Expertenwissen woanders holen - und dafuer bezahlen." Folge sei auch, dass die Kunden viel selbstaendiger entschieden und den Hersteller in strategischen Fragen nicht mehr um Rat angingen.

Anwender der alten Grossrechner-Betriebssysteme VM und VSE stammen ueberwiegend aus dem Mittelstand. Sie sind von den IBM-internen Sparmassnahmen besonders betroffen. "Gerade die Mittelstaendler spueren, dass der Kontakt zum Hersteller nicht mehr so eng ist wie frueher", berichtet Papenberg. IBM lasse sich bei ihren Kunden wochen- und monatelang nicht mehr sehen - und das gelte nicht nur fuer die VSE-Klientel, sondern auch fuer MVS-Kunden, sofern diese nicht gerade zu den Key Accounts zaehlten.

Papenberg vermisst bei der IBM auch das Engagement, den VM/VSE- Kunden alternative Strategien aufzuzeigen. Zwar laufe das Mainframe-Geschaeft bei Big Blue derzeit wieder recht gut, doch die Klientel sei "anfaellig" fuer Unix- und SAP-Strategien. Dieses Feld ueberlasse der Hersteller voellig den Wettbewerbern wie Hewlett- Packard und Sun Microsystems; eine Client-Server- Migrationsstrategie sei bisher nicht verkuendet worden.

Auch im PC-Support muss Big Blue herbe Kritik einstecken. "Hier Informationen von der IBM zu bekommen ist ein Fiasko", mokiert sich ein Kunde aus der chemischen Industrie. "Unser Haendler steht genauso auf dem Schlauch wie wir. IBM ist in einer totalen Umstellungsphase. Man wartet mindestens eine Woche auf verlaessliche Informationen."

Die zunehmende Unzufriedenheit von IBM-, Digital- oder SNI-Kunden mit den Supportleistungen ihrer Hersteller - an dieser Stelle koennte auch die Klientel einer Reihe anderer Anbieter genannt werden - hat neben organisatorischen und finanziellen auch rein technische Ursachen. So werden die Zyklen, in denen neue Hardwareprodukte und Software-Releases herausgebracht werden, immer kuerzer.

Damit nimmt die Zahl der Support-Verantwortlichen ab, die die neue Technik beherrschen. Ferner ist die Beschaffung von Ersatzteilen fuer Produkte aelteren Jahrgangs nicht mehr so leicht zu handhaben.

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der zunehmenden Komplexitaet der DV-Umgebungen beim Kunden. Die Zeiten, in denen ein IBM-Rechenzentrum ausschliesslich aus IBM-Equipment bestand, sind endgueltig vorbei. Die Multivendor-Umgebungen beim Anwender erfordern somit einen Support, der nicht nur das eigene Produktspektrum im Blick hat. Ist dies nicht der Fall, waelzen die Hersteller die Verantwortung auf den jeweils anderen Lieferanten ab. Eine Reihe von Anwenderbefragungen belegt, dass dies zur Zeit nahezu ueberall der Fall ist.

Wie aber koennen die IT-Hersteller dem Trend zur Verschlankung folgen, ihre Vertriebsstrukturen optimieren und dennoch die Kunden bei Laune halten? Fritz Jagoda, Chefberater der Diebold Deutschland GmbH in Eschborn, registriert die Probleme der grossen Anbieter beim Kundenservice schon eine ganze Weile. Seiner Ansicht nach gestalten die Anbieter ihre Kundenprozesse suboptimal. "Die Prozesse im Bereich der Kundenbetreuung werden oft nur aufbau-, aber nicht ablauforganisatorisch angepasst", beobachtet der Consultant.

Es mangele am sorgfaeltigen Styling der Kundenprozesse; der Aspekt stehe gegenwaertig noch weit hinter dem Wunsch zurueck, abzuspecken und Funktionsstellen abzubauen. "Wenn man einfach Leute entlaesst und damit die Beziehung zum Kunden riskiert, kann das nicht funktionieren", so Jagoda. Die Strukturen beim Kunden muessten klar analysiert werden, ehe die Entscheidung getroffen werde, wie der Support erfolgen soll.

Man kann laut Jagoda auch mit wenigen Mitarbeitern einen optimalen Kundenservice aufziehen - allerdings muessen dazu die Zustaendigkeiten definiert und die Schnittstellen zu externen Dienstleistern und zum Kunden geklaert sein. Das gelte auch dann, wenn sich Unternehmen dazu entschloessen, Benutzerservice und Hotline an einen Dienstleister auszulagern.

"Gerade die Mittelstaendler spueren, dass der Kontakt zum Hersteller nicht mehr so eng ist wie frueher."

Unternehmensberater Lothar Papenberg, Chairman des Arbeitskreises VSE im IBM-Benutzerverein Guide & Share.