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Razorfish - Dienstleister für die New Economy

26.04.2000
CEO Jeffrey Dachis im Interview

Sie werben mit Kompetenz und bieten an, was momentan heiß begehrt ist: Hilfestellung auf dem Weg ins digitale Business. Gemeint sind Web-Agenturen und -Dienstleister wie Razorfish, deren Trümpfe vor allem vermeintliche Schnelligkeit und Flexibilität sind. CW-Redakteur Gerhard Holzwart unterhielt sich mit Razorfish-Gründer und Chief Executive Officer (CEO) Jeffrey Dachis über die Strategie und Perspektiven seiner Company.

CW: Der Markt, in dem sich Ihr Unternehmen bewegt, ist noch jung – mit allen Unsicherheiten, die damit verbunden sind. Viele in der IT-Branche tun sich deshalb mit der Einordnung von Firmen wie Razorfish schwer. Multimedia-Agentur, Internet-Dienstleister, Software-Anbieter - was für ein Unternehmen ist Razorfish?

DACHIS: Wir haben uns in einem so atemberaubenden Tempo entwickelt, dass wir uns zeitweise täglich neu definiert haben. Aber Spaß beiseite: Razorfish ist zunächst nichts anderes als ein Anbieter von Professional Services. Mag sein, dass Sie das nun enttäuscht, denn darin unterscheiden wir uns nicht von einer klassischen Unternehmensberatung, einem Wirtschaftsprüfer, einer Investmentbank oder einem Systemintegrator. Wir bieten Know-how zu einem festen Stundensatz an.

CW: Was hat dies mit der gerade von Ihrem Unternehmen gepflegten Dotcom-Mentalität zu tun?

DACHIS: Ich gebe zu, dass es für uns delikat ist, mit herkömmlichen Dienstleistern in einen Topf geworfen zu werden. Das ist so etwa das Letzte, was wir wollen, denn unsere Ziele, unsere Vision und unsere Struktur unterscheiden sich schon gewaltig von den Repräsentanten der Old Economy. Ich lasse den Vergleich auch immer nur dann zu, wenn ich unterstreichen will, dass wir einen seriösen Job machen. Einigen wir uns also darauf: Razorfish ist ein Anbieter digitaler Lösungen. Wir führen entsprechende Tools in den Unternehmen ein und sorgen damit für eine verbesserte Wertschöpfung. Indem wir das tun, stellen wir ganze Organisationsabläufe auf den Kopf, betreiben also auch ein Reengineering.

CW: Das klingt aber doch sehr nach einer modischen Facette von Management-Consulting alter Prägung.

DACHIS: Ganz so einfach würde ich es mir nicht machen. Unser Serviceangebot ist eine sehr komplexe und hybride Kombination aus strategischen Management-Skills, IT- und Implementierungs-Know-how sowie dem Anspruch, höchste Designerqualität zu liefern. Damit es keine Missverständnisse gibt: Wir basteln nicht an einer Website herum und kehren nachher den großen Internet-Player heraus. Sondern wir greifen, wenn es erforderlich ist, auch massiv in das Warenwirtschaftssystem, in die Logistik und Lagerverwaltung sowie in das Rechnungswesen unserer Kunden ein.

CW: Ist Razorfish dann ein ERP-Dienstleister moderner Prägung?

DACHIS: Ich habe grundsätzlich Probleme mit Etikettierungen, die aus einer alten Welt stammen. Wir machen alle unternehmensrelevanten Daten transparent für das digitale Business - im Sinne der Firmen und ihrer Kunden. Der Zufall wollte es, dass wir heute hauptsächlich über das Internet und den PC als Endgerät reden. Morgen wird der Mobilfunk das große Thema sein, Web-fähige Handys und PDAs zum Beispiel. Insofern ist es anachronistisch, noch über Sinn und Unsinn einer Internet-Agentur zu philosophieren. Genauso ist es nicht mehr angebracht, noch die Begriffe E-Business und E-Commerce zu gebrauchen. Das Internet ist längst Realität, ist tägliches Geschäft. Wir helfen den Unternehmen, darin zu überleben.

CW: Interessant dürfte auch sein, wie ein Unternehmen wie Razorfish seine weitere Zukunft gestalten kann. Eine ehemalige Startup-Company, die mittlerweile fast 1500 Mitarbeiter beschäftigt und damit zunächst vor allem auch das eigene Wachstum bewältigen muss, gleichzeitig aber als Full-Service-Provider für die so genannte New Economy einen hohen Anspruch geltend macht. Wie gewinnen Sie überhaupt die vielen Spezialisten, die Sie für Ihr personalintensives Geschäft benötigen?

DACHIS: Indem wir das vorleben, was uns für andere offensichtlich attraktiv macht: Leidenschaft für die digitale Revolution. Wir arbeiten mit jungen Leuten, die mit dem Internet, mit der Spielekonsole oder was auch immer groß geworden sind. Wir verstehen, was vom Hype übrig bleibt, was an Veränderungen auf die alten Industrien zukommt. Wir können die neuen Business-Modelle erklären, die das Spiel gewinnen werden, weil sie einfach schneller, effizienter und preisgünstiger sind. Dienstleister für die New Economy - das trifft es ganz gut.

CW: Trotzdem möchten wir wissen, wie Sie das eigene Wachstum steuern und mit der Ihnen eigenen Kultur des "Underdog" in Verbindung bringen.

DACHIS: Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass wir durch die Zunahme an Größe nichts von unserer, wie Sie sagen, Kultur eingebüßt haben. Im Gegenteil: Wir sind stärker geworden, weil wir mehr Leute sind, die das Gleiche denken und fühlen. Ansonsten setzen wir gängige Tools, beispielsweise im Bereich Knowledge-Management, ein. Und wir pflegen unseren Teamgeist - der größte Wert, über den wir verfügen. Nennen Sie mir ein Unternehmen, das es schafft, alle Mitarbeiter für drei Tage nach Las Vegas zu verfrachten und zu sagen: "Let’s have fun!"

CW: Und was machen Sie, wenn Razorfish statt 1500 irgendwann 15 000 Mitarbeiter hat?

DACHIS: Zum Zeitpunkt dieser Veranstaltung waren es nur gut 1200. Aber wir werden auch für 15 000 Leute einen passenden Ort finden.

CW: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Ihrem Unternehmen - weiteren Erfolg vorausgesetzt - das Schicksal anderer prominenter IT-Firmen wie Hewlett-Packard oder Compaq droht, die irgendwann feststellen mussten, dass sie langsam und träge geworden sind? Glauben Sie wirklich, dass Sie noch lange das Image eines Internet-Startups aufrecht erhalten können?

DACHIS: Ich habe Razorfish noch nie als Internet-Startup gesehen. Wir helfen anderen in Sachen New Economy auf die Sprünge, haben schneller begriffen, worum es geht. Und der Erfolg gibt uns recht. Außerdem lasse ich keinen Vergleich mit Hewlett-Packard und Compaq zu, das sind einfallslose Hardwarefirmen. Wenn, dann sollten Sie uns eher mit EDS oder Andersen Consulting messen. Aber schauen Sie sich Andersen an. Die wachsen mit Tausenden von Mitarbeitern nur noch zwischen zehn und 20 Prozent jährlich.

CW: Genau davon habe ich gesprochen.

DACHIS: Wir haben schon den Ehrgeiz, bis auf weiteres um jährlich 300 bis 400 Prozent zuzulegen. Im Übrigen ist es ja nicht so, dass bei Razorfish tausend und mehr Leute planlos durch die Gegend rennen. Wir sind in sieben Ländern und elf Ballungszentren präsent, verstehen uns als Global Player. Das setzt schon ein Mindestmaß an Organisation voraus. Aber diese muss effektiv sein. Wir haben uns deshalb weltweit horizontal nach Skill Sets und vertikal nach Branchen strukturiert. Jedes dieser Skill Sets besteht aus einem Team von maximal 50 Mitarbeitern, in denen das gesamte Know-how der Company gebündelt ist. Damit ist sicher gestellt, dass wir unabhängig von der Größe des Unternehmens immer über kleine, schlagkräftige Einheiten mit jeweils eigener Business- und Projektverantwortung verfügen.

CW: Gibt es ein charakteristisches Profil Ihrer Kunden?

DACHIS: Wir waren nie so überheblich, einen Auftrag abzulehnen. Aber ein Hersteller von Badezimmer-Armaturen wird, um ein etwas plakatives Beispiel zu bringen, nicht unbedingt im Fokus unserer Bemühungen stehen. Wir adressieren vorwiegend Großunternehmen - in Branchen, wo im digitalen Business die Post abgeht. Nehmen Sie nur den Bereich der Banken und Versicherungen, wo es sich nicht um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe des Internet, sondern um das Überleben in der New Economy dreht.

CW: Apropos Wettbewerbsfähigkeit: Was ist der vielzitierte Unique Selling Point von Razorfish?

DACHIS: Wir verfügen über eine globale Präsenz, die keiner unserer Konkurrenten vorweisen kann. US-Companies wie Proxim und US-Web/CKS haben kein europäisches Standbein; Firmen wie Pixelpark, Kabel New Media oder Icon Medialab sind nicht im US-Markt vertreten. Hinzu kommt, dass wir von Beginn an eine integrierte Strategie- und Technologieberatung anbieten konnten, während sich andere von ihrem spezifischen Ansatz als Web-Designer, Systemintegrator oder E-Business-Dienstleister her erst zu einem Full-Service-Provider entwickeln mussten. Und wir besitzen mit 700 Spezialisten ein größeres Entwicklerteam als manche unserer Konkurrenten an allen Mitarbeitern zusammen haben. Last, but not least haben wir früh die kommenden Wachstumsmärkte wie mobiles Internet und WAP ins Visier genommen.

CW: Zumindest im europäischen Markt der Web-Agenturen und -Dienstleister zeichnet sich eine Konsolidierung ab. Droht da nicht die Gefahr, dass durch Firmenzusammenschlüsse ein neuer, potenter Wettbewerber entsteht?

DACHIS: Ich denke, dass ich unsere sehr gute Position im Markt gerade ausführlich beschrieben habe. Insofern müssen wir uns vor niemandem verstecken.

CW: Auch nicht vor der Bertelsmann-Tochter Pixelpark, die Weltmarktambitionen angemeldet hat?

DACHIS: Ich schätze Pixelpark-Chef Paulus Neef als Freund und Kollegen. Ansprüche anmelden ist aber das eine, sie in der Realität umsetzen, das andere. Anhand der Kursentwicklung der Aktien konnte man sehen, was die Analysten von den Fusionsplänen zwischen Pixelpark und den schwedischen Agenturen Cell Network beziehungsweise Mandator gehalten haben. Hier wurden Bündnisse nur um der Geschäftszahlen willen geschmiedet. Man kann aber nicht Umsatz einfach hinzukaufen. Das funktioniert nicht, weil es letztlich um die Kultur, den Teamgeist geht. Die Ideen, die Begeisterung der Leute - diese Dinge sind bei einer Service-Company entscheidend. So betrachtet, hat man bei Pixelpark Glück im Unglück gehabt, als die Fusion geplatzt ist. Was die Konsolidierung des Marktes angeht, eine Entwicklung übrigens, die auch in den USA zu beobachten ist, erhalten Sie von mir eine ganz klare Aussage: Razorfish wird auch in Zukunft weltweit zu den drei führenden Anbietern im Markt gehören.

CW: Sie waren aber selbst in der Vergangenheit auch nicht gerade zurückhaltend, was Akquisitionen angeht. Immerhin haben Sie knapp 700 Millionen Dollar für den Integrationsspezialisten I-Cube auf den Tisch geblättert.

DACHIS: Das war ein sinnvoller Kauf, weil wir uns dadurch fehlendes Know-how an Bord holen konnten und es zu keiner internen Konkurrenz kam.

CW: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, schließen Sie also die Übernahme eines direkten Wettbewerbers kategorisch aus.

DACHIS: So würde ich es nicht formulieren. Wenn wir vor der Wahl stehen, selbst zu fressen oder gefressen zu werden, ist unsere Präferenz eindeutig. Im Moment ist dies aber kein realistisches Szenario, zumindest was die Bewertungen von Firmen am Neuen Markt angeht.

CW: Pixelpark und Sinner Schrader haben - gemessen an ihren Geschäftszahlen - eine Marktkapitalisierung, von der Sie nur träumen können. Ist es das, was Sie meinen?

DACHIS: Ich würde mir jedenfalls eine etwas realistischere Einschätzung der Substanz von Unternehmen wünschen. Sie können sich anschauen, was Sie wollen: Umsatz, Gewinn, Cashflow, Produktivität pro Mitarbeiter - nirgendwo ist einer unserer Wettbewerber besser, ganz im Gegenteil.

CW: Wie wollen Sie denn der derzeit negativen Stimmung an der Börse begegnen?

DACHIS: Wir gehen weiterhin professionell unserem Job nach. Analysten sind wie Lemminge, die einem Trend hinterherlaufen. Gestern war es der Internet-Hype, heute ist es der große Katzenjammer im Web-Business. Razorfish wird aber immer zu den Firmen gehören, die im Internet Geld verdienen. Mittelfristig mache ich mir deshalb um die Entwicklung unserer Aktie keine Sorgen.

CW: Können Sie Ihre Prognose mit konkreten Zahlen untermauern? Wo wird Ihr Unternehmen in drei Jahren stehen?

DACHIS: Ich muss vorsichtig sein, um die Anleger nicht zu irritieren. Aber rund 10 000 Mitarbeiter und eine Milliarde Dollar Umsatz inklusive schwarzer Zahlen kann ich mir schon vorstellen.

CW: Wir sitzen hier in der deutschen Razorfish-Niederlassung in Hamburg. Ein Stockwerk unter uns residiert Arthur Andersen. Eine etwas pikante Nachbarschaft, finden Sie nicht auch?

DACHIS: Ich nehme an, Sie spielen auf die vermeintliche Konkurrenz der großen Beratungshäuser an?

CW: Sie selbst haben sich vorher mit Arthur Andersen und auch mit EDS verglichen.

DACHIS: Aber nur im übertragenen Sinn. Wir bestimmen den Trend, die anderen laufen ihm höchstens nach. Wir sind längst in den Chefetagen der Unternehmen angekommen. Dort treffen wir natürlich auf die so genannten Big Five. Aber während die zur Türe hinausgehen, marschieren wir hinein. Wohin drängt es die jungen Freaks, wohin geht die Internet-Generation, wenn sie Fun und Erfolg haben will? Und an wen wenden sich die Kunden, wenn sie ins digitale Business einsteigen müssen? Ich brauche diese Fragen nicht zu beantworten. Gehen Sie ein Stockwerk nach unten und schauen Sie sich um. Dann werden Sie mir die Antwort geben.

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ZUR PERSON

Jeffrey Dachis, 33, hat Razorfish 1995 zusammen mit Chefentwickler Craig Kanarick gegründet. In seiner Funktion als Chief Executive Officer (CEO) und President ist er für die Strategie, Investor Relations und, wie er es nennt, die "globale Entwicklung der Marke Razorfish" zuständig. Dachis hat einen Bachelor-Abschluss in Tanz und Theaterliteratur an der State University of New York und einen Masters im Bereich Media & Entertainment an der Universität von New York. Vor Razorfish entwickelte und vertrieb er als Marketing-Chef der Game Financial Corp. "Gamecash", einen elektronischen Geldtransfer Service, der Vorschüsse per Kreditkarte leistet und die entsprechenden Daten an die Glücksspielindustrie liefert. Des Weiteren gründete er die Marketing- und Promotion-Firma "In Your Face". Beide Companies haben unter seiner Ägide erfolgreich den Börsengang absolviert. Dachis gilt selbst für Verhältnisse der US-Internet-Industrie als "bunter Hund". Das einschlägige Magazin "Silicon Alley Reporter" kürte ihn unlängst zu den "Top 20 Movers and Shakers".

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RAZORFISH

Im Gegensatz zu den meisten Wettbewerbern schreibt Razorfish schwarze Zahlen. Im Geschäftsjahr 1999 stand einem Umsatz von 170,2 Millionen Dollar (plus 1129 Prozent gegenüber dem Vorjahr!) ein operativer Nettogewinn von 19,1 Millionen Dollar gegenüber. Sonderaufwendungen wie die 677 Millionen Dollar teure Übernahme von I-Cube, die via Aktientausch realisiert wurde, führten allerdings zu einem negativen Bilanzergebnis (-14,5 Millionen Dollar). Im ersten Quartal 2000 erzielte die Company auf Basis von 64,1 Millionen Dollar Umsatz (plus 97 Prozent) einen Nettogewinn von 4,5 Millionen Dollar oder fünf Cent pro Aktie (Vorjahresquartal: 3,1 Millionen/vier Cent)

Das an der Nasdaq notierte Unternehmen definiert sich selbst als globalen Dienstleister für strategische digitale Kommunikation - "We help companies to invent and reinvent the way they do business", heißt es im Firmenprofil. Das Lösungsportfolio ist für eine Internet-Agentur breit gefächert und umfasst Strategieberatung, Design und Technologie-Implementierung für alle Arten von Endgeräten, Plattformen und Netzwerken.

Razorfish arbeitet dabei eigenen Angaben zufolge herstellerneutral und kooperiert unter anderem mit Microsoft, Sun Microsystems, Cisco Systems, Vignette und Commerce One. In der Referenzliste finden sich Namen wie Cisco Systems, Charles Schwab, Reuters, Vodafone, die Börse in Helsinki oder die Deutsche Bank.