Kommunikation mit einem Bord-Computer in der Antarktis:

Raube See darf Resultate nicht beeinflussen

17.10.1986

Beonderen Belastungen sieht sich ein Mitglied der VAX-Familie von Digital Equipment ausgesetzt: Eine 11/750, die seit 1984 auf dem deutschen Forschungsschiff "Polarstern" arbeitet, muß jetzt in der Antarktis überwintern. Von Winterschlaf kann allerdings keine Rede sein, gilt es doch, mit den an Land gebliebenen Kollegen zu kommunizieren.

Vor rund einem Jahr hat die "Polarstern" zu ihrer bislang längsten Fahrt abgelegt. Das deutsche Forschungsschiff wird erst im Frühjahr 1987 nach Bremerhaven zurückkehren. An den sechs Fahrtabschnitten des Expeditionsprogramms nehmen internationale Teams teil, die aus jeweils 30 bis 50 Wissenschaftlern bestehen und umfangreiche Forschungsaufgaben durchführen. Aber der Höhepunkt dieser langen Reise ist die Überwinterung in der Antarktis.

Wissen über Naturphänomene lückenhaft

Die letzte Antarktis-Winterexpedition eines deutschen Forschungsschiffs liegt schon 75 Jahre zurück. Auch international wurden fast nur Sommerreisen unternommen. Deshalb ist das Wissen über die winterlichen Naturphänomene im Bereich der südpolaren Meere und Landmassen lückenhaft geblieben. Jetzt kann an Ort und Stelle erstmals mit modernen Erkenntnissen, Methoden und Instrumenten wichtigen Grundfragen der Biologie, Ozeanographie, Geologie und Geophysik nachgegangen werden.

Bereits auf der Anreise zur Antarktis wurden im Rahmen, dieser Wissenschaftszweige auf mehreren Fahrtabschnitten zahlreiche Untersuchungen durchgeführt. Beispiele dafür sind die Untersuchungen zum Vertikaltransport organischer Substanzen und zum Energiehaushalt der Lebensgemeinschaft in der bodennahen Wasserschicht der Tiefsee sowie die Untersuchungen zum großräumigen Wassermassen- und Wärmetransport im östlichen Teil des nordatlantischen Subtropenwinkels und zur Sedimentation im Bereich der Sierra-Leone-Schwelle.

Im antarktischen Sommerprogramm in den ersten Monaten dieses Jahres setzen die Wissenschaftler unter anderem in der Nähe der Georg-von-Neumeyer-Station Untersuchungen des Schelfeises fort und wenden dabei neuartige Verfahren an. Hinzu kommen erdgeschichtliche, biologische und geophysikalische Untersuchungen. Im antarktischen Winter geht es um Experimente der physikalischen Ozeanographie und sedimentgeologische Arbeiten.

Bei einem großen Teil der Arbeiten machen die Forscher von Computerleistungen Gebrauch. Die "Polarstern" ist 1982 in Dienst gestellt worden, und sie hat bereits sechs Forschungsfahrten absolviert. Seit Anfang 1984 führt das Schiff in einem besonders geschützten Rechnerraum einen Bordrechner vom Typ VAX-11/750 mit, dessen Hauptaufgabe die Verarbeitung und Darstellung von Meßergebnissen ist.

Der Computer ist mit zwölf Datensichtgeräten verbunden, die zum Teil grafikfähig sind. Außerdem sind zwei Plotter, zwei Bandstationen, ein Drucker sowie mehrere Festplattensysteme zur Speicherung wissenschaftlicher Daten angeschlossen. Die Meßsysteme der Experimente werden mit dem Rechner aufgabenabhängig verbunden. Die wissenschaftlichen Stammdaten des Schiffes (logistische, meteorologische und ozeanografische Parameter) werden permanent aufgezeichnet und validiert.

Das System wird pausenlos in Betrieb gehalten. Es muß auch früher schon unbeeinflußt von rauher See, von Rammfahrten im meterdicken Packeis und anderen extremen Bedingungen ständig verfügbar bleiben. Die Dauer der siebten Forschungsfahrt führt aber zu erhöhten. Ausfallrisiken, und sie wirft wegen des seltenen Anlaufs von Häfen spezielle Kommunikationsprobleme auf. Sie hat deshalb auch zu ungewöhnlichen systemtechnischen Zielen den Anstoß gegeben.

Durch die Kommunikation mit Diagnose-Computern an Land soll die Wahrscheinlichkeit von ungeplanten Systemunterbrechnungen weiter verringert werden. Das zweite Ziel gilt dem aktuellen Datenverkehr. Die Meßergebnisse an Bord sollen auch dann nach Bemerhaven transportiert werden können, wenn das Schiff weit von einem Hafen entfernt operiert.

Außerdem sollen die Forscher unterwegs mit Computerleistungen unterstützt werden können, die ein landgebundenes Großsystem voraussetzen, zum Beispiel bei experimentbegleitenden Modellrechnungen. Durch die Funktionalität der DEC-net-Kommunikationssoftware kann von Bremerhaven aus neue Software überprüft und eingespielt werden. Darüber hinaus lassen sich auf dieser Grundlage auch Fehlerdiagnosen durchführen.

Die systemtechnischen Arbeiten liegen in den Händen der Rechnergruppe des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung (AWI), Bremerhaven. Zu ihren Aufgaben gehören neben der Konfiguration und dem Test des gesamten Bordrechner-Systems auch die Software-Entwicklung für den Systembetrieb und die Experimente. Das VAX- 11/750-System an Bord der Polarstern ist über den Ferndiagnose-Adapter von Digital Equipment mit dem Satelliten-Funksystem des Schiffs verbunden. Je nach Schiffsposition auf der Erde werden die Signale mit dieser Sendeanlage an das geostationäre Nachrichtensatellitensystem IMMARSAT übertragen.

Die Kommunikation verlangt eine genaue Antennenausrichtung, die in der Regel selbst bei voller Fahrt problemlos funktioniert.

Die Datenübertragung erfolgt über synchrone Modemstrecken mit einer Rate von 1200 Bit pro Sekunde. Die Satelliten geben die Daten an die Empfangsstation der Satelliten-Bodenstation Goonhilly in England ab. Über dieses "Relais" können die Teilnehmer im öffentlichen Fernsprechnetz beziehungsweise über Norddeichradio mit dem Computer an Bord des Forschungsschiffes Verbindung aufnehmen.

Zur Schiffsbesatzung gehören Elektroniker, die von Digital Equipment gründlich für die Wartung, Fehlerdiagnose und Reparatur ausgebildet wurden. Für Hardware-Ausfälle führt das Schiff einen Ersatzteilbestand mit, der etwa 80 Prozent der wahrscheinlich auftretenden Störungen abdeckt. Bei den bisherigen Reisen, die maximal ein halbes Jahr dauerten, konnte Digital Equipment den Bordrechner zweimal im Jahr gründlich durchprüfen und damit weitere Ausfallsicherheit erreichen. Bei längerer Entfernung von Land ist jedoch mit Abweichungen vom Wartungsrythmus und mit Fehlern zu rechnen, die sich nicht mit bordeigenen Mitteln diagnostizieren lassen. Deshalb soll das bisher schon an Land eingesetzte Ferndiagnose-System von DEC nunmehr auch unterwegs nutzbar gemacht werden.

Der Fernservice ist 1984 zuerst in Bremerhaven getestet worden, in Verbindung mit dem DEC-Ferndiagnosezentrum von Valbonne/Frankreich. Auf der letzten Arktis-Expedition 1985 wurden bereits erste Erfahrungen mit dem Fernservice gesammelt; während der jetzigen Reise wird er erstmals in vollem Umfang eingesetzt. Wenn vom Schiff aus Störungen gemeldet werden oder wenn vorgesehene Routine-Testläufe durchgeführt werden sollen, wählt sich der Diagnosecomputer von Digital Equipment über die Satellitenverbindung automatisch in das Bordrechnersystem ein.

DÜ noch fehlerhaft

Während des Schiffsaufenthalts in Bremerhaven wurde auch zum ersten Mal die Datenübertragung von Meßergebnissen getestet. Auf der jetzigen Reise wird sie routinemäßig einbis zweimal in der Woche angewandt. Dabei treten keine Übertragungsfehler auf, hingegen kommt es gelegentlich zum Ausfall auf der Satellitenstrecke und zu nur kurzzeitigen Unterbrechungen. Die Kommunikation kommt damit der frühzeitigen Übergabe von Meßwerten während der Fahrtabschnitte und der gesamten Reise zugute.

Darüber hinaus soll auch die Datenübertragung in beiden Richtungen und im Echtzeit-Dialog erprobt werden. Bei erfolgreichem Verlauf können dann in kommenden Jahren echte Meßergebnisse mit Modellrechnungen verknüpft werden, die ein Großrechner des Max-Planck-Instituts in Hamburg durchfuhrt. Damit ließe sich die Experimentplanung bedarfsweise noch während der Reise korrigieren. Besondere Bedeutung hat diese Möglichkeit bei Messungen, die mit zeitlichen und räumlichen Skalen verbunden sind. Denn bei ihnen läßt sich damit die Meßnetzplanung erleichtern und optimieren.