Rationalisierung schließt Kreativität nicht aus

02.05.1980

Dr. rer. nat. Hans H. Jung

Leiter der Forschungsplanung, Zentralverwaltung der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der Angewandten Forschung e. V.

Wie sich der Arbeitsplatz im Büro oder in sonstigen Verwaltungspositionen entwickeln wird, dazu will ich folgende, sicherlich sehr persönliche Meinung äußern: Man kann feststellen, daß es im Fertigungsbereich in den vergangenen Jahrzehnten, vielleicht auch im vergangenen halben Jahrhundert, ganz erhebliche Rationalisierungserfolge gegeben hat; nur aufgrund dieser Rationalisierungserfolge war es überhaupt möglich, die Produktivität in unserem Lande zu steigern und sie auf einem solchen Niveau zu halten, daß wir konkurrenzfähig geblieben sind.

Der Gemeinkostenbereich ist

von der Rationalisierung

unbehelligt geblieben

Diese Rationalisierungs-, oder sagen wir besser, Automatisierungsmöglichkeiten erschöpfen sich langsam im Fertigungsbereich. Ein anderer Bereich, der Gemeinkostenbereich, also das Büro, ist von diesen Tendenzen in den letzten Jahrzehnten noch weitgehend unbehelligt geblieben.

Die Rationalisierungsgrade unterscheiden sich noch in Größenordnungen und deshalb sind die Automatisierungspotentiale in diesem Gemeinkostenbereich heute so groß und werden deshalb wohl zu ganz gravierenden Änderungen des Arbeitsplatzes führen.

Das ist zunächst eine Frage der Technologie, die Technologie ermöglicht eine Rationalisierung, aber die Technologie hält dabei grundsätzlich noch sehr viele Wege offen. Es wird eine Frage der Arbeitswissenschaft sein, verschiedene, auch wirtschaftlich mögliche Wege zu analysieren und sie soweit aufzubereiten, daß dem Menschen eine Entscheidung darüber gegeben wird, ob der die Potentiale, die die Technologie bietet, besser nutzt, als es vielleicht seinerzeit in der Fertigung beispielsweise mit dem Einführen des Fließbandes geschehen ist. Es wird darum gehen, humane Arbeitsplatze im Büro zu erhalten beziehungsweise zu schaffen. Dazu ist es zum Beispiel notwendig, die Arbeitsstrukturierung sinnvoll zu machen, die Arbeitsteilung nicht zu weit zu treiben. Anonyme Schreibbüros, in denen der Mitarbeiter nicht mehr weiß, was er für wen aus welchem Grunde schreibt, sind letztlich inhuman.

Die Mikroelektronic bietet jede

Möglichkeit, alte Fehler zu

wiederholen oder zu vermeiden

Man wird zu sinnvollen Arbeitsgruppierungen kommen, damit der arbeitende Mensch irgendwie noch seinen Arbeitsinhalt, seinen Arbeitsoutput begreift.

Auch die neu entstehende Technologie auf Computer- und Mikroelektronikbasis bietet, glaube ich, jede Möglichkeit in der einen oder anderen Richtung zu gehen, alte Fehler zu wiederholen oder aber zu vermeiden.

Wie bereits gesagt, es wird ganz gravierende Veränderungen geben; wir haben die große Chance, diese Technik human zu nutzen.

Wie das Büro nun später in praxi aussehen wird, kann ich als Nichtfachmann sicher nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich kann mir vorstellen, daß Briefe gar nicht mehr auf Papier geschrieben, in einen Umschlag gesteckt und vom Briefträger transportiert werden. Die Technik bietet doch die Möglichkeit, diese Briefe unmittelbar auf das Papier des Adressaten zu schreiben. Das ist nur eine Frage der Nachrichtennetze. Ich muß nicht mehr auf das eigene Papier schreiben und trotzdem bleibt die Dokumentationsfähigkeit - nämlich die schriftliche Form des zu übermittelnden Textes - erhalten. Gleichzeitig kann man aber von der Schnelligkeit einer Nachrichtenübermittlung über Leitungen Nutzen ziehen.

Persönlicher Kontakt wird bei

aller Automatisierung von

Bedeutung bleiben

Ein anderes Beispiel, das mehr den Managementteil in einer Verwaltung betreffen wird, ist die Nutzung der Nachrichtentechnik für Konferenzschaltungen über Bildschirme, um beispielsweise Reisetätigkeiten einzuschränken. Ich will keineswegs damit sagen, daß die Reisetätigkeit von Managern dadurch überflüssig wird, denn persönlicher Kontakt wird bei aller Automatisierung von Bedeutung bleiben. Persönlicher Kontakt heißt, sich unmittelbar in persona gegenüberzusitzen, was sicherlich auch dann nicht- die Erfahrung haben wir bereits beim Telefon gemacht vollkommen überflüssig wird.

Alle diese Rationalisierungsmöglichkeiten und Rationalisierungsfortschritte werden ganz überwiegend die mechanischen Tätigkeiten in einem Büro betreffen. Was sie keinesfalls überflüssig machen, ist die Notwendigkeit, schöpferisch und kreativ in einem Büro zu denken. Dort wird es unterstützende Techniken als Hilfsmittel geben, aber sicherlich niemals diesen Prozeß von Kreativität und schöpferischer Betätigung ersetzen, der die Arbeit für den Menschen interessant und wertvoll macht.