Rationalisierung heute*

11.11.1988

Rationalisierung ist das ständige Bemühen, Systeme (zum Beispiel Unternehmen, Betriebe, Produkte, Fertigungssysteme) in ihrer Struktur und in den Abläufen so zu gestalten, daß der Nutzen und die Leistung mit notwendiger Qualität durch sparsamsten Einsatz von Ressourcen (Arbeit, Material, Energie, Kapital und Informationen) umweltschonend erbracht werden. Die Mengenanteile und Kombinationen der Ressourcen (Produktionsfaktoren) werden durch technisch-wistschaftliche Gegebenheiten sowie politische und ökologische Rahmenbedingungen bestimmt.

Die Definition geht erheblich über das herkömmliche Verständnis des Rationalisierens als Aufwand/Ertrags-Verhältnis hinaus.

Rationalisieren ist also ein allgemeines, vernünftiges menschliches Verhalten und Handeln. Allerdings haben sich die Rationalisierungsmethoden weiterentwickelt und verändert. Dies ist für den VDI Anlaß, in einer gemeinsamen Erklärung der VDI-Hauptgruppe, der VDI-Gesellschaft Produktionstechnik (ADB) und der VDI-Gesellschaft Meß- und Automatisierungstechnik (GMA) in fünf Thesen die Bedeutung von heutigen Rationalisierungsbemühungen hervorzuheben.

These 1

Rationalisierung ist wirtschaftlich notwendig

Die Notwendigkeit der Rationalisierung resultiert unter anderem aus der nationalen und internationalen Konkurrenz-situation: Nur wer kostengünstig und damit rationell produziert, hat eine Chance, seine Produkte abzusetzen. Dies ist eine Voraussetzung für Unternehmen, um Löhne und Gehälter zahlen zu können, neue Investitionen vorzunehmen und den Bestand des Betriebes zu sichern.

These 2

Rationalisierung umfaßt Technik und Arbeitsorganisation

In der Regel bestehen Rationalisierungsmaßnahmen in der gleichzeitigen Veränderung von Technik und Arbeitsorganisation. Dabei ist nicht jede Mechanisierung oder Automatisierung gleichzeitig Rationalisierung. So kann es zum Beispiel einerseits sinnvoll sein, menschliche Arbeit in gesundheitsgefährdenden Umgebungen durch Automaten (zum Beispiel Lackiererei) zu ersetzen, selbst wenn dies kurzfristig nicht wirtschaftlich ist. Andererseits lassen sich etwa durch Änderung der Arbeitsorga-nisation Rationalisierungserfolge erzielen, ohne die bestehende technische Ausstattung zu verändern.

These 3

Rationalisierung und Humanisierung sind keine Gegensätze

Die im Rahmen der Rationalisierung initiierten Änderungen in Organisation und Arbeitsgestaltung müssen nach humanen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Hierfür werden motivierte und qualifizierte Mitarbeiter benötigt, die in der Lage sind, die komplexe Technik zu handhaben und flexibel auf veränderte Anforderungen zu reagieren.

In dieser Situation ergibt sich die historische Chance, die bisher häufig aufgetretenen Gegensätze von Rationalisierung und Humanisierung des Arbeitslebens auszugleichen. Bei der Ausarbeitung von neuen technischen und organisatorischen Konzepten müssen zunächst die betroffenen Mitarbeiter informiert und einbezogen werden.

Eine so verstandene Rationalisierung erfordert dann eine Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen, in denen die Fähigkeiten des Menschen optimal durch die technische Ausstattung unterstützt werden. Diese Fähigkeiten lassen sich unter anderem durch motivierende Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit sozialer Kontakte und geplante ständige Weiterbildung entwickeln.

These 4

Rationalisierung schließt Umweltschutz ein

Rationalisierung minimiert den Verbrauch der Ressourcen Energie und Material. Dabei müssen die jeweiligen Vor- und Nachteile der eingesetzten Hilfsmittel und Prozesse abgeschätzt und bewertet werden. Rationalisierung schließt auch vernünftige Konzepte der Entsorgung mit ein.

These 5

Rationalisierung schafft Gestaltungsspielräume

Rationalisierung führt dazu, daß mit dem gleichen Aufwand ein besseres Ergebnis oder das gleiche Ergebnis mit weniger Aufwand erreicht werden kann. Die dabei gewonnene Zeit kann als zusätzlich verfügbare Arbeitszeit oder als zusätzlich verfügbare Freizeit genutzt werden.

Beide Wege können zu mehr Wohlstand führen: Der erste über ein höheres Produktionsvolumen, der zweite über eine Steigerung des Lebensstandards durch mehr Freizeit. In den letzten Jahrzehnten wurde in der Bundesrepublik überwiegend der Weg der Verkürzung der Arbeitszeit gewählt. Die durchschnittliche Regelarbeitszeit ist von 48 Stunden in den 50er Jahren auf unter 40 Stunden gesunken, während zugleich der tarifliche Jahresurlaub von zwei auf sechs Wochen gestiegen ist.

Alle mit Rationalisierung zusammenhängenden Faktoren, wie zum Beispiel Arbeitszeitverkürzung, Lohn- und Produktivitätssteigerung werden auch von volkswirtschaftlichen und politischen Gegeben-heiten beeinflußt (zum Beispiel demographische Entwicklungen). Bei diesem Prozeß ist es eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die verschiedenen Einflußfaktoren im Gleichgewicht zu halten.

Rationalisierung eröffnet also ganz allgemein neue Freiheitsgrade, die es allerdings zu gestalten gilt.

* Gemeinsame Erklärung der VDI-Hauptgruppe - Der Ingenieur in Beruf und Gesellschaft, VDI-Gesellschaft Produktionstechnik (ADB) sowie VDI/VDE-Gesellschaft Meß- und Automatisierungstechnik (GMA), vorgestellt zur Tagung "Mensch und Automatisierung" am 22. September 1988 in Aachen.