Ratgeber: So gelingt der globale ERP-Rollout

29.05.2007
Von Jutta Schneider und Martin Nusswald
Unternehmen wollen ERP-Software weltweit ausrollen. Über den Erfolg entscheidet in aller Regel nicht die Technik.

Es gehört für Unternehmen mittlerweile zum Pflichtprogramm, sich international aufzustellen. Dabei stehen vor allem Kostenaspekte und das Erschließen neuer Märkte im Vordergrund. Auch deutsche Firmen forcieren den Auf- und Ausbau ihrer ausländischen Produktionsstätten sowie ihrer logistischen Netze – das jedenfalls geht aus der aktuellsten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages bei mehr als 7.000 Unternehmensverantwortlichen hervor. Demnach wollen 43 Prozent der auslandsaktiven Industrieunternehmen ihre Auslandsinvestitionen aufstocken, 47 Prozent wollen sie beibehalten, und nur zehn Prozent haben eine Verringerung im Visier. Das ist ein Rekordwert bei den Auslandsinvestitionen. Vermehrt richten Unternehmen Niederlassungen und Produktionsstätten vor allem in China, Indien, Osteuropa sowie in lateinamerikanischen Ländern ein.

Hier lesen Sie ...

  • was globale ERP-Rollout-Projekte auszeichnet;

  • die Skizzierung zweier Rollout-Negativbeispiele;

  • dass die Technik bei derartigen Projekten nicht im Vordergrund steht;

  • warum kulturelle Unterschiede bei globalen ERP-Rollouts nicht zu unterschätzen sind;

  • welche Anforderungen sich bei Rollouts für das Top-Management ergeben;

  • die Darstellung der verschiedenen ERP-Rollout-Szenarien.

Diese Expansionsvorhaben haben auch einen starken Einfluss auf die genutzen IT-Lösungen, speziell auf die verwendeten Systeme für Enterprise Resource Planning (ERP). Solche Software steuert Abläufe im Finanzwesen, in der Produktion sowie in der Personalwirtschaft. Daher müssen sich Unternehmen Gedanken darüber machen, wie sie ihre Unternehmenssoftware auf ausländische Niederlassungen und Standorte erweitern können.

Betriebswirtschaftliche Vorteile

Mit globalen ERP-Rollouts verknüpfen Unternehmen betriebswirtschaftliche Vorteile. Sie reichen von global vereinheitlichten Geschäftsprozessen und harmonisierten Stammdaten über reduzierte Durchlauf- und Lieferzeiten von Produkten und Waren bis hin zu optimierten Inter-Company-Abwicklungen. Mit Letzterem sind zum Beispiel Geschäfte zwischen Gesellschaften eines Konzerns gemeint.

Verschiedene Rollout-Szenarien: Auf die Anforderungen kommt es an.
Verschiedene Rollout-Szenarien: Auf die Anforderungen kommt es an.
Foto: Hewlett-Packard

Das Management hofft, globale Organisationen durch eine höhere Informationstransparenz besser steuern zu können. Aus IT-Sicht werden insbesondere die Harmonisierung der ERP-Landschaft – die reduzierte IT-Kosten in Aussicht stellt – sowie die zentralisierte Entwicklung neuer Prozesse und Funktionen im System angestrebt.

Darüber hinaus lässt sich mit einem globalen ERP-System der Anwendungs-Support zentralisieren, was zu Kosteneinsparungen und idealerweise zu höheren Service Levels führt.

Geringe Erfolgsquote

Die Vorteile liegen auf der Hand. Doch solche Vorhaben in die Tat umzusetzen ist nicht leicht. Dass die Erfolgsquote bei globalen Rollouts geringer ausfällt als bei klassischen ERP-Projekten, ist ein Faktum. Für das Scheitern gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. In aller Regel kann jedoch die Technik dafür nicht verantwortlich gemacht werden, denn die technischen Rahmenbedingungen und Erfordernisse lassen sich bereits im Vorfeld einer konkreten Rollout-Phase planen, abklären und realisieren. Selbstverständlich sind dabei etwa ausreichende WAN-Kapazitäten. Auch ist darauf zu achten, dass durch unterschiedliche Zeitzonen eine 24X7-Systemverfügbarkeit sichergestellt wird. Von Bedeutung sind ferner die Autorisierung und die Zugangsberechtigungen, für die es einheitliche Regelungen geben sollte; sowie das Konfigurations-Management, was klare Zuständigkeiten und eindeutige Verfahrensweisen für Systemänderungen beinhaltet.

Was die Mehrsprachigkeit beziehungsweise den Unicode anbetrifft, so ist dies als ein eigenständiges Projekt zu behandeln. Zu berücksichtigen sind hierbei zum einen die Anforderungen, die zum Beispiel durch Aktivitäten in Asien oder Osteuropa entstehen. Meist reicht eben dort ein System in englischer Sprache nicht aus, vor allem dann, wenn es sich um die Einbindung von Lieferanten oder die Erstellung von Rechnungen und Lieferpapieren handelt. Zum anderen ist zu prüfen, inwieweit eine genutzte Version eines ERP-Systems auch Unicode-Fähigkeiten aufweist, was etwa bei älteren SAP-R/3-Versionen nicht der Fall ist. Oft ist damit ein Releasewechsel auf eine höhere Produktversion verbunden; ebenso die Verwendung von neuen IT-Infrastrukturkomponenten (zum Beispiel größere adressierbare Hauptspeicher/64 Bit).

ERP-Rollout nach Maß

Typische Phasen eines globalen Rollout-Projekts beinhalten eine Gap-Analyse mit Evaluierung und Abgleich von Ist- und Soll-Prozessen, die Erstellung des Templates inklusive "Business Blueprint" sowie Dokumentation und den ersten Rollout im Rahmen eines Pilotprojekts. Anschließend wird das Template verfeinert und weltweit ausgerollt. Grundsätzlich gibt es zwei Rollout-Szenarien. Beim ersten werden die Prozesse in der Zentrale definiert, vor Ort wird das System gemeinsam mit einem lokalen Team entworfen und implementiert. Beim zweiten Szenario wird das Template mit den Geschäftsprozessen bereits in einem System implementiert und dann lokal auf Basis einer Systemkopie installiert und angepasst. Daneben gibt es die Möglichkeit, quasi einen "Rollin" vorzunehmen. Hier gibt es ein zentrales ERP-System, mit dem das Headquarter und alle internationalen Niederlassungen arbeiten. Berücksichtigt sind in aller Regel länderspezifische Begebenheiten. Angebunden sind die Niederlassungen über VPN oder unternehmenseigenes Netz.

Jedes globale Rollout-Projekt beinhaltet eine Projektorganisation sowie eindeutige Kommunikationsregeln. Bei dem Unternehmen Tagal, einem Joint Venture von ThyssenKrupp Steel und ANSC Angang New Steel, ansässig im nordchinesischen Dalian, wurde das erste Szenario umgesetzt. Tagal produziert Feinblech insbesondere für die Automobil- und Hausgeräteindustrie. Genutzt wurde eine praxiserprobte Best-Practices-Vorgehensweise für globale ERP-Rollouts. Vom Dienstleister wurden die Prozesse in Deutschland definiert, und auf dieser Basis wurde ein spezifisches SAP-R/3-Template in Dalian implementiert.

Zwar sollte die Unicode-Umstellung als eigenes Projekt behandelt werden, jedoch vor dem eigentlichen Rollout abgeschlossen sein.

Kultur und Top-Management

Immer wieder zeigt sich in globalen ERP-Rollout-Projekten, dass insbesondere zwei Dimensionen entweder ungenügend oder falsch Berücksichtigung finden:

  • die rückhaltlose Unterstützung durch das Top-Management, das einen globalen Rollout treibt und verantwortet;

  • kulturelle Unterschiede in anderen Weltregionen.

Dazu zwei konkrete Beispiele aus der Praxis in Kurzform: Bei einem weltweit tätigen Unternehmen wurde nach rund fünf Jahren und mehreren Anläufen das Vorhaben abgebrochen, einen ERP-Rollout in der japanischen Niederlassung vorzunehmen. Es ist nicht gelungen, die dortige Geschäftsführung für das Projekt zu gewinnen. Das Management in der Unternehmenszentrale hierzulande trieb das Projekt nicht mit der notwendigen Konsequenz. Die Folge: Die Projektkosten uferten massiv aus, was auch letztendlich der Grund für das Unternehmen war, diesen ERP-Rollout zu stoppen. Erst in einem erneuten Anlauf mit einem neuen Management stellte sich der gewünschte Erfolg ein.

Kommunikationsdefizite

Bei einem anderen Rollout eines Unternehmens aus dem Maschinen- und Anlagenbau musste der ERP-Produktivstart im chinesischen Werk um mehr als ein halbes Jahr verschoben werden. Die Ursache hierfür: Es war aufgrund mangelnder Erfahrungen nicht gelungen, eine "kulturelle Brücke" zwischen der lokalen Projektmannschaft und der IT-Mannschaft aus Deutschland zu bauen. Immer wieder gab es beim Know-how-Transfer Konflikte. Allein das Wissen um die Bedeutung der Worte "ja" und "nein" in China kann ein Projekt forcieren oder verzögern. "Ja" kann bedeuten: ja, die Aussage wurde akustisch vernommen; sie wurde akustisch vernommen und verstanden; sie wurde akustisch vernommen, verstanden, und es wird zugestimmt. So kann es schnell zu Missverständnissen kommen, die erst spät bemerkt werden und dann weit reichende Folgen haben können.

Beherrschbare Komplexität

Ungeachtet dessen: Bei einem globalen ERP-Rollout-Projekt handelt es sich um kein Buch mit sieben Siegeln. Auf den Punkt gebracht sind gegenüber einem klassischen ERP-Projekt schlichtweg mehr erfolgskritische Faktoren und spezifische Herausforderungen zu berücksichtigen, wobei gemachte Erfahrungen (Best Practices) in derartigen Projekten Gold wert sind.

Warum globale ERP-Rollout-Projekte gewisse Eigenarten aufweisen, hat mit mehreren Faktoren zu tun. Es gibt mitunter große geografische Distanzen und Zeitunterschiede. Und es muss mit Kulturunterschieden sowie anderen Geschäftsgepflogenheiten umgegangen werden. Hinzu kommt, dass man sehr häufig mit einem Redesign von Geschäftsprozessen konfrontiert wird, denn Prozessharmonisierung ist ja eines der Ziele. Dies geschieht dann unter der Maßgabe der Konzernzentrale, aber unter Berücksichtigung lokaler Bedingungen und Vorgehensweisen. Findet der Rollout der ERP-Lösung innerhalb von Joint Ventures statt, muss sogar der lokale Partner in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Projektstart auf der Grünen Wiese

Oft findet die ERP-Implementierung in einem neuen Werk, nach dem Ausbau einer Niederlassung oder nach einer Unternehmensübernahme statt. Das wiederum hat zur Folge, dass nicht selten ein neues, noch wenig eingespieltes Management-Team tätig ist, dass noch keine eingeschwungenen Geschäftsprozesse vorliegen und dass Key User und IT-Mannschaft sich erst noch Know-how aneignen müssen.

Typische Phasen eines globalen Rollout-Projekts.
Typische Phasen eines globalen Rollout-Projekts.
Foto: Hewlett-Packard

Eine weltweit nutzbare Schablone (Template) für ein ERP-Rollout stellt eine Herausforderung dar: Das Team muss ein einheitliches Applikationspaket kreieren, das gleichzeitig den Geschäftsprozessen in verschiedenen Unternehmen eines Firmenverbunds in unterschiedlichen Kulturkreisen sowie Weltregionen gerecht wird.

ERP-Templates

Als nicht praktikabel hat sich erwiesen, eine für eine Unternehmenszentrale entwickelte Lösung direkt zu verwenden und sie dann auf Niederlassungen oder Tochterfirmen zu übertragen. Bei der Template-Entwicklung sind Regeln von Anfang an zu berücksichtigen. Dazu gehören:

  • die Festlegung von Nummernkreisen, die das Hinzufügen weiterer Bereiche erlaubt, ohne dass die Feldlängen überschritten werden,

  • die Festlegung von Identschlüsseln, die sich mit einer einheitlichen Logik erweitern lassen,

  • die Definition von übergeordneten, organisationsunabhängigen Einstellungen, die dann für alle Unternehmen gelten können, sowie

  • die klare Trennung in zentrale, übergreifende Einstellungen auf der einen Seite und lokal zulässige Anpassungen auf der anderen.

Einige dieser Festlegungen lassen sich in der Regel nur treffen, wenn vor Beginn des Rollout-Programms Anforderungen bei den beteiligten Gesellschaften analysiert werden.

Falsche Stammdaten - krasse Nebenwirkungen

Bei der Nutzung mehrerer ERP-Systeme in einer global vernetzten Anwendungslandschaft spielt das Thema Stammdaten-Management eine herausragende Rolle. Stimmen die Stammdaten nicht überein, führt dies zu unerwünschten Effekten – bis hin zu der Tatsache, dass beispielsweise in globalen Reports beim Beschaffungswesen nicht eine Gesamtsumme dargestellt wird, sondern einzelne Summen. Mögliche Auslöser dafür: Auf verschiedenen Systemen weisen gleiche Waren unterschiedliche Merkmale (Namen, Nummern oder anderes mehr) auf; oder die verwendeten Lösungen verfügen über eigene, verschiedenartige Stammdatenverwaltungen. Dies erschwert dann auch gegenseitige Lieferungen innerhalb der Unternehmensgruppe (Intra Group Business), da erst eine "Übersetzung" von Idents und Bezeichnungen stattfinden muss. Hier tut eine Harmonisierung beziehungsweise Konsolidierung not, die mitunter detektivische Spürarbeit erfordert und die sich oftmals nur wenig automatisieren lässt.

Klares Bekenntnis des Managements

Top-Management und IT-Verantwortliche eines Unternehmens sollten sich im Klaren darüber sein, dass ein globaler ERP-Rollout nicht in ein paar Wochen realisiert werden kann. Bei diesen Vorhaben haben betriebswirtschaftliche Unternehmensziele, optimierte Geschäftsprozesse, aber auch der Beitrag, den eine global ausgerichtete IT zum Geschäftserfolg für eine gesamte Firmengruppe beitragen kann, einen hohen Stellenwert. Insofern ist ein klares Bekenntnis durch das Management unabdingbar, und zwar während des gesamten Projekts. So erfordert allein die Lösung des Zielkonflikts "Einhaltung der globalen Kerngeschäftsprozesse" hier und "Veränderungen von bestimmten lokalen Praktiken" dort eine gehörige Portion an Autorität und Durchsetzungsvermögen. Ebenso verhält es sich beim Abwägen, welche Funktionen ein Template aufweisen darf und welche nicht. Auch stellt das Thema Stammdaten-Management immer eine Art Gratwanderung zwischen weltweiter Standardisierung und Akzeptanz vor Ort dar.

Diskussionen darüber, inwieweit eine Vereinheitlichung diverser Prozesse überhaupt möglich ist, wird es bei globalen ERP-Rollouts immer wieder geben. Überzeugungsarbeit mit dem entsprechenden Fingerspitzengefühl und Rücksichtnahme auf kulturelle Unterschiede sowie Disziplinierungsmaßnahmen aber ebenfalls. Alle Beteiligten sollten Folgendes verinnerlichen: Erst durch eine Vereinheitlichung der Prozesse ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen globalen ERP-Rollout gegeben. (fn)

Erfolgsfaktoren für globale ERP-Rollouts

Business-Aspekte

  • Klares Bekenntnis des Managements,

  • einheitliche und konsistente Geschäftsprozesse,

  • Berücksichtigung lokaler Begebenheiten,

  • Etablieren einer globalen IT.

  • Technologische Aspekte

  • Ausreichende WAN-Kapazitäten, -Verfügbarkeiten und -Sicherheits-Features,

  • hochverfügbarer 24x7-Systembetrieb,

  • Autorisierungs- und Sicherheitskonzepte,

  • Unicode-Fähigkeit,

  • integriertes und eindeutig definiertes Transport-Management.

Aspekte, die das Projekt betreffen

  • Unterstützung durch das zentrale und lokale Management,

  • professionelles Change- und Konfigurations-Management,

  • klare Vorgaben über Projektorganisation, eindeutige Kommunikationsregeln,

  • effiziente und genaue Projektüberwachung (auch hinsichtlich Projektkosten).

Kulturelle Aspekte

  • Fähigkeit, kulturelle Unterschiede zu managen,

  • Berücksichtigung der lokalen Kommunikationsgepflogenheiten,

  • ausreichende lokale Sprachkenntnisse,

  • Wissen um den Kenntnisstand in puncto ERP-Fach-Know-hows bei den lokalen Usern,

  • Motivation der lokalen Anwender, ein Geschäftsprozessdenken zu verinnerlichen.