Rahmenbedingungen beim Bau von Corporate Networks (Teil 2) DV und Telekommunikation: Der Weg zur Integration ist steinig

05.11.1993

Wohl selten wurde die Unsicherheit von Anwendern hinsichtlich der konzeptionellen Umsetzung neuer Freiraeume so deutlich wie bei der gegenwaertigen Diskussion ueber Corporate Networks. Dirk Nouvortne* und Reiner Pliefke* beschaeftigen sich mit den organisatorischen und technischen Moeglichkeiten von Corporate Networks in einem heterogenen Herstellerumfeld. Im zweiten Teil ihres Beitrages beschreiben die Autoren eine Reihe neuer Telekom-Services und gehen der Frage nach, wo, wann und wie ein externer Dienstleister dem Anwender in Sachen Corporate-Network-Planung unter die Arme greifen kann.

Eine Bewertung von Corporate Networks waere ohne naehere Betrachtung sogenannter Intelligent Networks, die von staatlichen PTTs oder privaten Carriern betrieben werden, unvollstaendig. Spaetestens hier werden aber die Grenzen einer homogenen PABX-Struktur deutlich.

ISDN ist mit seiner rechnergesteuerten Vermittlungstechnik und einem Signalisierungsnetz zwischen den Dienstleistungsrechnern (Zeichengabe Nr. 7 = SS7) die Voraussetzung fuer ein Intelligent Network mit seinen vielfaeltigen Moeglichkeiten der Produkt- und Dienstleistungsgestaltung. Das Konzept des Intelligent Networks basiert dabei auf einer Trennung zwischen physikalischer Verbindungsdurchschaltung und dienstespezifischer Intelligenz. Im Grunde ist es also eine Ergaenzung des Telefon- beziehungsweise ISDN-Netzes um die Bereitstellung intelligenter Komponenten.

Intelligent Network basiert auf Servicesoftware

In einem Intelligent Network sind Anruf-Routing-Informationen und Anrufverarbeitungs-Intelligenz ueber zahlreiche Netzknoten verteilt, die via SS7 miteinander verbunden sind. SS7 ist ein Steuerungsmechanismus, der zwischen der dienstespezifischen Intelligenz und der Netzvermittlung als Bindeglied fungiert. Die Servicesoftware besteht aus standardisierten, wiederverwendbaren Softwaremodulen, die elementare Netzdienste und -funktionen definieren und mit einer generellen Netzfunktionalitaet ausgestattet sind. Dadurch laesst sich die unmittelbare, einheitliche und netzweite Nutzung jedes beliebigen Services, der aus den Softwaremodulen entwickelt werden kann, realisieren.

Wesentliche Systemfunktionalitaeten von Intelligent-Network- Services sind:

- ein flexibles Instrumentarium zur Tarifierung,

- orts- und zeitabhaengige Verkehrsfuehrung,

- die Veraenderungsmoeglichkeit einzelner Leistungsmerkmale durch den Kunden (Parametrisierung),

- umfassende Statistikprogramme ueber Verkehrs- und Teil- nehmerdaten,

- individuelle und dadurch flexible Rufnummerngestaltung,

- die Ursprungserkennung durch Kunden sowie automatische Verteilung der Anrufe auf verschiedene Ziele,

- einstellbare Belastungsobergrenzen,

- zeitabhaengige Zielansteuerung sowie

- die Anrufumlenkung bei Besetztfaellen.

Das Intelligent-Network-Konzept ist allgemeiner Natur und kann auf unterschiedliche Art und Weise realisiert werden. Beispielsweise ist es in diesem Zusammenhang moeglich, die Servicesoftware entweder in einem zentralen Knoten resident zu implementieren.

Dieser muss sich gegenueber den Vermittlungsknoten als remoter "Steuerungs-Host" darstellen; oder aber die Servicesoftware kann - ueber das ganze Netz verteilt - in individuellen Vermitt- lungsknoten beziehungsweise angebundenen Prozessoren lokalisiert sein. Darueber hinaus muss aber auch die Struktur eines Intelligent Network nicht starr vorgegeben sein. Das Intelligent Network ist also zunaechst immer ein funktional ausgerichtetes Netz, in dem unterschiedliche generelle Funktionen gekoppelt sind, um verschiedene Services bereitzustellen. Entsprechende Komponenten sind unter anderem (vgl. die Abbildung):

- Der "Service-Switching-Point" (SSP): Er ist fuer die Anrufsteuerung und Dienstevermittlung zustaendig und umfasst die Bereiche Vermittlung sowie Signalisierung. Ferner bildet er die Uebertragungs-Schnittstelle zu anderen Netzkomponenten. Seine Schluesselaufgaben liegen dabei in der Erkennung aller Anrufe, die entsprechende Intelligent-Network-Dienste erfordern, sowie in der Interaktion mit der Rufverarbeitung und der Dienstelogik fuer derartige Anrufe.

- Der "Service-Transfer-Point" (STP): Hierunter versteht man im wesentlichen Paketvermittlungs-Systeme, die fuer den Transport von Nachrichten zwischen den SS7-Knoten benoetigt werden. Als kostenguenstige Alternative zur direkten Verbindung aller Knoten fungieren STPs als "Hubs" in einem SS7-Netzwerk. Nachrichten, die an einen STP gesendet werden, koennen dabei an den richtigen Bestimmungsknoten weitergeroutet werden.

- Der Service-Control-Point" (SCP):

Der SCP ist ein nichtvermittelndes Element, das die Intelligent- Network-Dienste-Logik beinhaltet und die netzbasierende Transaktionsverarbeitung fuer diese Logik zu den SSPs und den anderen Netzkomponenten (etwa Datenbanken) bereitstellt. Im Intelligent Network ist der SCP letztlich die Komponente fuer das zentralisierte Bereitstellen von Diensten und Leistungsmerk- malen.

- Das "Service-Management-System" (SMS): Das SMS beeinflusst nahezu alle Netzkomponenten, um die Bereitstellung der Intelligent-Network-Dienste zu gewaehrleisten. Das System stellt Funktionen fuer die Entwicklung, Bereitstellung und Steuerung der Dienste durch den Netzbetreiber und die Anwender zur Verfuegung.

Viele Intelligent-Network-Dienste basieren auf einer Rufnummernuebersetzung, mit der eine Reihe von Funktionalitaeten verbunden sind. Die Erweiterungen beziehen sich zum Beispiel auf die Rufnummern- und Funktionsportabilitaet. So erlaubt etwa der "Service 130 plus" den Anwendern eine Kostenuebernahme fuer Kunden, die diesen Service benutzen. Bereits in seiner Grundform bietet der Service 130 den Kunden eine einzige Rufnummer, ueber die alle Rufe geroutet werden - wobei der Anwender die Kosten uebernimmt. Bei der Aktualisierung des Dienstes wurde seine Funktionalitaet insofern erweitert, als der Anwender die eingehenden Anrufe zu verschiedenen Standorten weiterleiten kann.

Eine etwas "fortschrittlichere" Moeglichkeit, Corporate Networks in Fremdregie zu betreiben, ist der VPN-Dienst (Virtuelles Privates Netz), der eine Mischung interessanter Eigenschaften privater und oeffentlicher Netze bietet - vor allem die Vorteile privater Mietleitungen ohne Entrichtung der sonst ueblichen Standardtarife fuer Mietleitungen sowie die Kosten fuer Hardware und TK-Spezialisten.

Dabei koennen die Anwender eigene Rufnummernplaene erstellen. Zudem werden Corporate-Network-typische Funktionalitaeten wie Least- Cost-Routing, Anrufdisplay (Call Screening), Prioritaetenschaltung, Berechtigungscodes und weitgehende individualisierte Netzwerk- Management-Funktionen unter Beachtung der Restriktionen homogener oder heterogener PABX-Strukturen bereitgestellt.

VPNs tragen vor allem den wachsenden Forderungen der Anwender nach zunehmender Funktionalitaet ohne zusaetzlichen Overhead Rechnung. Obwohl ein privates Netz die Dienste in der Regel kostenoptimiert anbietet, koennen Betrieb, Planung und Wartung zu einer komplexen und teuren Aufgabe werden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmen mittlerweile der Auffassung sind, diesen Service besser einem externen Dienstleister zu ueberlassen. Das VPN-Prinzip laesst sich dabei relativ leicht auf den Bereich der Datenkommunikation ausweiten und fuehrt dann in die Domaene sogenannter Managed Network Services.

Ein VPN ist ein integriertes, von der Software bestimmtes und daher logisches Netz. Es kann fuer sich alleine stehen oder mit einem bereits existierenden Netz verbunden werden und vorhandene Rufnummernplaene und Funktionalitaeten widerspiegeln. Darueber hinaus ist es in der Lage, Sprache, Daten, Images und Video zu kombinieren. Dabei ist das VPN so ausgelegt, dass es international Sprach-, Datenkommunikation, Faxuebertragung und Selbstwahl- Videokonferenzen - angepasst an die Kundenerfordernisse - bereitstellen kann.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass nur die Mitarbeiter des Anwenderunternehmens Zugang zum Netz haben; auch die Ueberwachung und Steuerung erfolgt ausschliesslich durch den Anwender und nur der operative Betrieb liegt in Haenden des externen Carriers. VPNs haben ferner den Vorteil, dass sie eine dynamische Bandbreitenzuordnung zwischen einzelnen Niederlassungen im Sinne einer Bewaeltigung unterschiedlicher Verkehrsaufkommen ermoeglichen. Dies ist um so wichtiger, als eine benutzungsorientierte Tarifierung in der Regel wirtschaftlicher ist als ein Festpreis fuer eine 2-Mbit/s- Verbindung, die nur selten in ihrer vollen Kapazitaet genutzt wird.

Mit dem "Service 180" als einer weiteren Dienstleistung der Telekom besteht die Moeglichkeit, eine bundeseinheitliche Rufnummer zu unterhalten. Der Anwender hat dabei die Option, die Kosten, die beim Aufbau eines Gespraechs an die Telekom zu entrichten sind, teilweise den Gespraechskosten des Anrufers zuzuschlagen. Dies hat natuerlich in erster Linie eine Reihe von Marketing-spezifischen und technischen Vorteilen. So wird mit der einheitlichen Rufnummer immer das Unternehmen assoziiert, was fuer den Aufbau einer Corporate Identity nicht unerheblich sein kann. Alle Anrufe gehen ueber eine einheitliche Rufnummer ein; die Telekom routet jeden eingehenden Anruf an den jeweils optimalen Knoten innerhalb des Corporate Networks. Positiver Nebeneffekt: Die Problematik des Rufnummernplans laesst sich damit entschaerfen.

Weitere Leistungsmerkmale wie Rufumleitung, "Follow-me-Funktionen" sowie die Moeglichkeit, Auswertungen (Statistiken) zur Analyse des Anrufverhaltens der Kunden zu entwickeln, sind in der virtuellen Organisation ein nuetzliches Hilfsmittel. Da die Abrechnung eines Gespraeches gesplittet wird - einen Teil zahlt der Anrufer, den Rest der Angerufene - ist eine sorgsame Abwaegung beim Einsatz dieses Dienstes erforderlich. Sollte es problematisch sein, die Kosten, die in verschiedenen Faellen hoeher als ein Ortsgespraech sind, auf die Kunden umzulegen, kann daher der "Service 181" eine Alternative sein.

Als Erweiterung des Service 180, bei dem die Telekom nur die Option einer bundeseinheitlichen Rufnummer bereitstellt, bietet sie mit dem Service 181 auch den Betrieb eines unternehmenslogischen Netzes an (VPN).

Fuer eine Reihe von Anwendern kann es wirtschaftlich Sinn machen, mit einem bestehenden privaten Backbone-Netz die Hauptniederlassungen zu verbinden. Es kann aber dennoch oekonomisch falsch sein, nach dem gleichen Motto bei den kleineren Niederlassungen zu verfahren. In diesen Faellen ist unter Umstaenden der Centrex-Dienst - als eine Erweiterung des Corporate Networks beziehungsweise VPNs - eine sinnvolle Loesung, da er zum einen ermoeglicht, bestehende PABX-Systeme in groesseren Niederlassungen zu verbinden und zum anderen gleichzeitig kleinere Standorte ueber einen Corporate-Network- oder VPN-Service zu verbinden.

Im Bereich der Datenkommunikation werden den Anwendern schon seit geraumer Zeit entsprechende Carrier-Leistungen angeboten. Auch dort sind es vor allem wirtschaftliche Gruende, die es interessant erscheinen lassen, auf das Angebot privater Netzanbieter zurueckzugreifen. Darueber hinaus sind es sogenannte "Value Added Network Services" (VANS) - etwa das alternative Routing oder das Leitungs-Backup - die sich vom traditionellen Angebot der Tele- kom abheben. Mit der Kombination von Daten- und Sprach- netzen wird also das Angebot der Carrier fuer die Anwender noch interessanter - insbesondere durch die Bereitstellung von Multiplexern, die die Ausnutzung vorhandener Netze weiter optimieren.

Multiplexer-Technik fuer VAN-Dienstleistungen

Aufgrund hoeherer Nutzungsfrequenzen lassen sich dadurch die Netze besser auslasten, als es ein Unternehmen allein je koennte. Darueber hinaus koennen die Carrier durch die Moeglichkeit, Sprache auf 16 Kbit/s oder 32 Kbits/s zu komprimieren, weiter zu einer effizienteren Ausnutzung der Bandbreite beitragen. Konsequenz: Es lassen sich mehr Sprachverbindungen ueber das Corporate Network beziehungsweise VPN schalten als bei einem einzelnen Anwenderunternehmen.

Mittlerweile gehen daher immer mehr Carrier dazu ueber, blosse Netzdienstleistungen - also eine geschaltete Leitung - fuer ihre Kunden bereitzustellen, sondern an Stelle der transparenten Durchschaltung auch sogenannte Value Added Services anzubieten. Das wiederum kann sich vor dem Hintergrund eines Corporate Network in zwei Versionen darstellen:

- Einmal durch die Bereitstellung entsprechend dimensionierter Server fuer alle Nutzer des Service. Kein Anwenderunternehmen muss mehr selbst in Telematik- oder Voice-Server investieren. Der Anwender nutzt vielmehr den Service des Carriers, ohne darueber befinden zu muessen, wo der Server physikalisch lokalisiert ist. Einzige Voraussetzung dabei ist, dass der Service mandantenfaehig angeboten wird.

- Bei der zweiten Moeglichkeit stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen selbst ueberhaupt noch eine PABX-Anlage installieren will. Zumindest ist diese Ueberlegungsweise relevant fuer kleine und mittelgrosse Niederlassungen. Dort kann es Sinn machen, alle PABX- Systeme zum Carrier outzusourcen. In diesem Fall stellt der Dienstleister lediglich Endgeraete und Dienste - also den Centrex- Dienst - zur Verfuegung. Centrex befreit den Anwender von der herstellerspezifischen Mietbindung und gewaehrleistet dadurch ein Hoechstmass an Flexibilitaet.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Corporate Network zeigt, dass die Realisierung einer solchen unternehmensweiten Netzinfrastruktur eine umfassende Beschaeftigung mit den fuer den Anwender jeweils gegebenen technischen Moeglichkeiten voraussetzt. Die Probleme im Zusammenhang mit einer homogenen oder heterogenen PABX-Landschaft und die Frage des Selbstbetriebs oder der Hin- zuziehung eines VPN-Dienstes sind alles andere als trivial.

Eine Unternehmensreorganisation entsprechend dem Modell einer "virtuellen Organisation" ist aber noch ungleich komplexer. Trotzdem muss sich jedes groessere Unternehmen mit diesen Fragen in den naechsten Jahren auseinandersetzen, will es den Herausforderungen des Marktes begegnen. Denn gerade hier liegt der eigentliche Nutzen von Corporate Networks und nicht in dem vordergruendigen Argument einer Gebuehrenreduktion.

Das Intelligent Network ist zunaechst ein funktional ausgerichtetes Netzwerk, in dem unterschiedliche generelle Funktionen verbunden sind, um die verschiedenen Services bereitzustellen.

* Dirk Nouvortne ist Abteilungsleiter Buero-/Telekommunikation und Multimedia, Reiner Pliefke ist Leiter Nachrichtentechnik beim Gerling-Konzern - Gesellschaft fuer Informationsmanagement und Organisation mbH, Koeln.