R/2-Anwendern schlaegt die Downsizing-Stunde spaeter

06.05.1994

Waehrend die SAP AG mit ihrer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware R/3 in neue Umsatzdimensionen vorstoesst, ist die Euphorie bei Anwendern des Mainframe-Vorgaengers R/2 gedaempft. Mit betraechtlichem Aufwand wechseln diese Kunden derzeit auf das neueste Release 5.0 - zwangslaeufig, denn nur den Kunden dieser R/2-Version garantieren die Walldorfer zunaechst Migrationshilfen beim Umstieg auf die Client-Server-Software R/3 sowie eine langfristige Wartung. Mainframe-Anbieter duerfen sich die Haende reiben: Bevor SAP-Anwender eine R/3-Downsizing-Strategie fahren koennen, kommen sie um eine abermalige Investition in Grossrechnertechnologie kaum herum. Unsicher ist, ob die funktionalen Vorteile der neuen R/2-Variante diese Kosten rechtfertigen.

D ie SAP macht mit ihrer neuen Standardsoftware R/3 zur Zeit ueberwiegend Neugeschaeft. Die Zahl der R/2-Abloesungen ist eher gering, bekannte Dietmar Hopp, Vorstandsvorsitzender des Walldorfer Softwarehauses, am Rande der diesjaehrigen Bilanzpressekonferenz. Warum das so ist, wird bei naeherer Betrachtung des von SAP unterstuetzten Migrationspfades deutlich.

R/2-Anwender, die den Umstieg auf Version 5.0 auslassen und mit ihrem aktuellen ReleaseStand 4.3 weiterarbeiten, verlieren zum Ende naechsten Jahres nicht nur den Anspruch auf Wartung. Sie muessen auch bei einem geplanten Wechsel in die R/3-Welt ohne die Hilfe ihres Softwarepartners auskommen. Einen Rueckzieher von dieser Regelung, die Kunden zu einem Release-Wechsel innerhalb der Grossrechnerwelt zwingt, duerfte SAP kaum machen: Rund ein Viertel der R/2-Kundschaft - mehr als 500 Unternehmen also - hat bereits das Upgrade vollzogen.

SAP-Vorstandsmitglied Peter Zencke steht zu der Migrationsstrategie und moechte auch kuenftig "aus Gruenden der Fairness" daran festhalten. Eine Reihe von SAP-Kunden habe sich auf diese Aussage verlassen; man werde sie nicht enttaeuschen. Allerdings weicht der Unternehmenssprecher die Bestimmungen ein wenig auf, indem er ankuendigt: "Wir unterstuetzen zuerst die Migration von R/2, Release 5.0, nach R/3 und dann die Kunden, die von 4.3 aus wechseln wollen." Diese Aussage widerspricht dem Wortlaut eines Briefes, in dem SAP ihren Kunden mitgeteilt hatte: "Basis fuer einen Umstieg auf R/3 wird der Release-Stand 5.0 sein."

Unmissverstaendlich hatte sich SAP bisher auch zum Thema Wartung des R/2-Releases 4.3 geaeussert. Im Brief an einen R/2-Kunden heisst es: "Der Entwicklungsstand 4.3 wird bis Ende 1995 gewartet. (...) 1995 wird es jedoch keine Anpassung fuer 1996 geben. Fehlerkorrekturen werden bis Ende 1995 durchgefuehrt." Auch hier aeussert sich Zencke inzwischen vorsichtiger: "Wir werden mindestens zwei parallele Releases warten. Solange es keine R/2-Version 6.0 gibt, ist die Wartung von 4.3 und 5.0 sicher."

Die meisten Kunden moegen sich auf das Katz-und-Maus-Spiel ihres Herstellers nicht einlassen. Sie glauben, was sie schwarz auf weiss haben - und das laesst einen moeglichst baldigen Release-Wechsel ratsam erscheinen. Dieses Sicherheitsdenken liegt ganz im Interesse der Walldorfer, die damit rechnen, dass 75 Prozent aller R/2-Anwender das Upgrading vollziehen werden. Grund sei nicht etwa, dass diese Kunden die kuenftige Wartung ihrer Software in Gefahr saehen. Es gehe ihnen vielmehr um zusaetzliche Funktionen der R/2-Software in Rechnungswesen, Logistik und Personalwirtschaft sowie um die neue grafische Benutzeroberflaeche.

Mag der Release-Wechsel nun freiwillig oder gezwungenermassen erfolgen, in jedem Fall erfordert er zusaetzliche Investitionen. "Viele R/2-Kunden werden ein Tal der Traenen durchschreiten", meint ein Anwender, der sich bereits nasse Fuesse geholt hat. "Vor allem dort, wo die Vertriebssoftware RV eingefuehrt ist, gestaltet sich der Umstieg als Drama. An diesem Modul haben Anwender in der Regel so viel modifiziert, dass Millionenaufwendungen anstehen, um auf den Standard zurueckzukehren."

Je nach Umfang der Modifikationen entscheidet sich, wie teuer das Projekt wird und wie lange der Umstieg dauert. Relativ gute Erfahrungen hat etwa die Compunet Computer AG in Kerpen gemacht, die sich weitgehend an den Standard gehalten hat. Abgesehen von der PPS-Komponente setzt das Dienstleistungs- und Handelsunternehmen saemtliche R/2-Module ein. Der Uebergang zu Release 5.0 erfolgte, mit Ausnahme der Personalwirtschaft RP, die erst im Oktober dieses Jahres umgestellt wird, komplett. Einige Softwarefehler seien aufgetreten, die SAP aber schnell behoben habe.

"Wir haben etwa 1200 Manntage intern und 210 Manntage an extern bezogener Leistung benoetigt", bilanziert Karl-Peter Buescher, einer der geschaeftsfuehrenden Gesellschafter. Auf externe Hilfe habe Compunet zurueckgegriffen, weil man an das Standardmodul RM-Inst eine Individualsoftware fuer die Ersatzteilversorgung programmieren liess. Wie Buescher erwartet hatte, stiess der hauseigene IBM- Grossrechner nach erfolgtem Release-Wechsel an seine Leistungsgrenze. Compunet benoetigte eine um 25 Prozent leistungsfaehigere CPU, eine um ebenfalls 25 Prozent groessere Plattenspeicherkapazitaet und einen um 80 Prozent erweiterten Hauptspeicher. Die Folge: Ein neuer Mainframe musste her. Die zusaetzlichen Hardware-Ausgaben lohnen sich aber nach Meinung von Buescher, da die Funktionalitaet der Software deutlich verbessert worden sei.

Beispielsweise koennten Batch-Laeufe im Offline-Bereich wesentlich schneller abgewickelt werden. Erstmals habe man einen Bestandsbuchungskreis ueber saemtliche 16 Niederlassungen in Deutschland einrichten koennen. Einkaufsablaeufe seien verbessert, die Lagerverwaltung einfacher gestaltet worden. Compunet plane nun, ergaenzend zur R/2-Umgebung einige Module der R/3-Software einzufuehren. An solche funktionalen Vorteile mag dagegen Peter Klein, Geschaeftsfuehrer der SGE Informatik GmbH, Ludwigshafen, nicht so recht glauben. Es liege in der Natur der Sache, dass sich das Softwarehaus primaer dem neuen Produkt R/3 widme und die Investitionen in R/2 zurueckfahre. Klein kommentiert den bevorstehenden Wechsel auf das R/2-Release 5.0: "Wir haben den Eindruck, zwischen R/2 4.3 und 5.0 hat sich nicht allzu viel geaendert".

Der RZ-Betreiber kritisiert den Stil der SAP: "Wir haben einen Brief erhalten, aus dem hervorging, welche Hardware-Erweiterungen wir durch den Umstieg auf 5.0 vornehmen muessen. Es gab aber keine Erklaerung, worauf dieser Mehrverbrauch an Ressourcen zurueckzufuehren ist." Die SGE Informatik GmbH, die die Datenverarbeitung von 100 Unternehmen der Bau- und Klimabranche betreibe, werde aufgrund des bevorstehenden Release-Wechsels einen neuen Mainframe sowie Speicherplatten mit deutlich hoeherer Kapazitaet anschaffen muessen.

Diese Investitionen will nicht jedes Unternehmen in Kauf nehmen. "Wir werden nicht auf 5.0, sondern direkt auf R/3 umstellen", erklaert Richard Lulay, zustaendig fuer unternehmensweite Systeme beim Mannheimer Pharmakonzern Boehringer. Gespraeche wuerden noch in diesem Jahr mit den Fachbereichen gefuehrt. "Es gibt keine Hilfen. Wir werden Abstriche machen und auf bestimmte Daten der Vergangenheit, auf abgeschlossene Geschaeftsvorgaenge, verzichten muessen."

Ob mit oder ohne Migrationshilfen seitens der Walldorfer: Die Installation von R/3 bedeutet Lulay zufolge keinen wesentlich groesseren Aufwand fuer Boehringer als ein Upgrading auf die neueste Version der R/2-Software. Wegen zahlreicher Modifikationen muesste sich der Konzern auch bei einem Release-Wechsel intensiv mit der Mainframe-Software beschaeftigen; das sei nicht weniger aufwendig als der direkte Umstieg auf die modernere R/3-Software.

"Wir haben versucht, SAP dahingehend zu beeinflussen, dass sie uns bei einem Wechsel von R/2, Release 4.3, nach R/3 unterstuetzen." Lulay kann aber nachvollziehen, dass sich die Walldorfer nicht zu viel mit Altprodukten beschaeftigen wollen und deshalb die Migration von unterschiedlichen R/2-Release-Staenden vermeiden.

Wie Boehringer plant auch die Gossen-Metrawatt GmbH, Nuernberg, einen direkten Umstieg vom R/2-Release 4.3 nach R/3. "Wir haben das durchgerechnet, das kostet auch nicht mehr als ein Wechsel auf 5.0", meint Org./DV-Leiter Peter Opel. Von den Migrationshilfen, die SAP ihren R/2-5.0-Anwendern in Aussicht stelle, verspreche er sich ohnehin nicht viel.

R/3 ist bei Gossen-Metrawatt die Loesung, die eine Mischwelt aus Siline- und SAP-R/2-Anwendungen abloesen soll. Zu dieser Mixtur war es gekommen, nachdem die Fusion der beiden Gesellschaften Gossen und ABB Metrawatt unter Dach und Fach war. Die Verantwortung fuer den Release-Wechsel uebertragen die Franken ihrem Generalunternehmer, der die Hardware liefern und die R/3- Einfuehrung meistern soll. Um den Sechs-Millionen-Mark-Auftrag streiten zur Zeit Siemens-Nixdorf und Hewlett-Packard.

SAP-Brief an Kunden zum Ressourcenverbrauch von R/2

Fall 1 Applikation: RF, RA, RK-S; CPU* 0; Realspeicher 80; Plattenplatz 30.

Fall 2 Applikation: RF, RA, RK, RM-MAT; CPU* 5; Realspeicher -; Plattenplatz 33.

Fall 3 Applikation: RF, RA, RM-MAT, PPS, RV; CPU* 30; Realspeicher 80; Plattenplatz -. * Angaben in Prozent

Nachdem das Release 5.0 bei einer groesseren Anzahl von SAP-Kunden im produktiven Einsatz ist, moechten wir Ihnen unsere Erfahrungen bezueglich des Mehrverbrauchs an Ressourcen mitteilen. Infolge der unterschiedlichen Auspraegung und Nutzung der SAP-Systeme ergibt sich naturgemaess eine grosse Bandbreite. Bei fast allen Kunden werden neue Komponenten eingesetzt oder bestehende Funktionen in verstaerktem Umfang genutzt. Ein direkter Vergleich zwischen den Releasen 4.3 und 5.0 ist daher nur eingeschraenkt moeglich. Um Ihnen einen Eindruck ueber die Schwankungsbreiten zu geben, sind beispielhaft die Ergebnisse von drei Firmen (siehe unten, die Red.) aufgefuehrt. Im Mittel ergibt sich folgendes Bild:

- Der CPU-Verbrauch im Online-Betrieb steigt zwischen 20 und 40 Prozent.

- Fuer den im produktiven Betrieb erforderlichen Speicher (Working- Set) ist mit einer Steigerung zwischen 80 und 100 Prozent zu rechnen.

- Es wird zwischen 15 und 20 Prozent zusaetzlicher Plattenplatz benoetigt.