Quereinsteiger ohne Chance?

31.10.2001
Von Bettina Wirth
Die großen IT-Arbeitgeber verkünden Einstellungsstopps und entlassen Tausende von Mitarbeitern. Dadurch verschlechtern sich auch die Berufschancen für Quereinsteiger. Aber ausgerechnet jetzt strömen die Umschüler und Teilnehmer von Zertifizierungskursen, die ihre Kurse mitten im Branchenboom begonnen hatten, auf den überfüllten Arbeitsmarkt.

„Die Unternehmen bauen entweder Personal ab, das sie während des Branchen-Hypes auf Vorrat eingestellt haben, oder sie investieren in die Weiterbildung der Mitarbeiter“, bewertet Wilfried Hölzer von der Gewerkschaft Verdi die aktuelle Arbeitsmarktlage für IT-Fachkräfte. Nur wenige Unternehmen seien bereit, Neulinge ohne mehrjährige Berufserfahrung einzustellen. Entsprechend notwendig sind erfindungsreiche Strategien, die Quereinsteigern zu einem Job verhelfen.

Die Softwareoffensive Bayern und das Münchner Arbeitsamt ließen sich beispielsweise ein „IT-Casting“ einfallen. Auf der Branchenmesse Systems sollten sich IT-Quereinsteiger potenziellen Arbeitgebern auf einer Bühne vorstellen. Werner Brendli vom Arbeitsamt München pries zusammen mit Robert Stabl, Projektleiter der Softwareoffensive, die Fähigkeiten elf engagierter Umsteiger in kurzen Interviews an. Vom Schreiner mit MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer)-Zertifikat über den IT-Autodidakten, der seine Programmierkenntnisse mit Hilfe von Büchern erwarb, bis zum angehenden Doktor der Computerlinguistik reichte die Spanne der IT- Ein- und Umsteiger.

Fundiertes IT-Know-how notwendig

Eigentlich sollten im Anschluss an die Bühnenshow potenzielle Arbeitgeber ihre Favoriten ansprechen, um den ersten Kontakt herzustellen. Dazu kam es aber nicht. Nur für einen 47-jährigen Vertriebs- und Marketing-Experten interessierten sich zwei Personaler, die ihn um ein ausführlicheres Gespräch baten. Er wollte aus Sorge um seine Erfolgsaussichten ungenannt bleiben.

Der viel zitierte „War for Talents“ in der IT, also der Kampf um die Spezialisten, existiert offensichtlich nicht mehr. Vielmehr entbrennt nun ein Kampf unter den Talenten um die Stellen. Denn ebenso wie der 47-Jährige, der im September seine Umschulung zum SAP-Organisator/Entwickler abschloss, kommen jetzt zahlreiche Umschüler aus den Kursen, die sie aus eigenem Antrieb oder auf Drängen des Arbeitsamtes absolvierten.

Grundsätzlich zeigen sich die Unternehmen Quereinsteigern gegenüber nicht abgeneigt, fragt man aber nach den verlangten beruflichen Qualifikationen, folgt meist die große Einschränkung: Chemieriese Bayer würde zwar Naturwissenschaftler nehmen, aber nur mit Berufserfahrung, die Allianz kann sich vorstellen, Versicherungskaufleute in der IT zu beschäftigen, aber nur mit fundiertem informationstechnischem Know-how. Der Trend ist klar: Die Unternehmen suchen erfahrene IT-Experten, die sich in der jeweiligen Branche auskennen und mindestens drei Jahre Berufserfahrung mitbringen, und: Sie können sich die Wunschkandidaten aussuchen.

"Der Bedarf an MCSEs geht stark zurück"

Ekkehart Gerlach von der Medienakademie Köln GmbH spricht sogar von einer „Flut von Spezialisten“, die derzeit auf den Arbeitsmarkt schwappe. Quereinsteiger haben da trotz Zertifikat einen schlechten Stand. Robert Harst von der Softwareberatung DMC GmbH, München, warnt: „Von Zertifikaten im Microsoft-Umfeld würde ich zurzeit abraten.“

Ähnlich schätzt Christoph Mandel vom Schulungsanbieter CDI GmbH, München, die Lage ein: „Der Bedarf an MCSEs geht stark zurück.“ Allerdings sei die Nachfrage nach Entwicklern ungebrochen. Ein Kurs zum Microsoft Certified Solution Developer (MCSD) biete daher durchaus noch Jobchancen. Peter Littig von der Dekra Akademie GmbH bestätigt dies: „Sowohl im SAP-Bereich als auch im Oracle-Umfeld suchen die Unternehmen weiterhin Entwickler.“

Allerdings diagnostiziert Littig auch hier einen rückläufigen Trend. Er schätzt, dass der Branchenbedarf des letzten Jahres von 20 000 Programmieren nun auf etwa 11 000 geschrumpft ist. Dass die Firmen Quereinsteiger zögernd oder gar nicht einstellen, musste auch Andreas Leyting auf dem COMPUTERWOCHE-Karrierezentrum der Systems erfahren. Der gelernte Radio- und Fernsehtechniker absolvierte von Januar bis August diesen Jahres einen Kurs zum MCSE. Seine Umschulung bei dem Weiterbildungsanbieter GFN AG, Stuttgart, bezahlte das Arbeitsamt.

Zu Kursbeginn, als der Branchenverband Bitkom noch 700 000 fehlende Spezialisten bis 2003 vorhersagte, versprachen die Trainer von GFN, dass man mit dem MCSE-Zertifikat eine hundertprozentige Vermittlungschance habe. Davon wollte im August, als Leyting sein Zertifikat in der Tasche hatte, bei GFN niemand mehr etwas wissen. Er wurde selbst aktiv, bewarb sich, präsentierte sein Profil in virtuellen Jobbörsen und besuchte Messen, um sich den Firmen direkt vorzustellen.

Auf der E-Business-Messe Orbit in Basel fand der Konstanzer, der zuletzt im Vertrieb tätig war, tatsächlich seinen neuen Arbeitgeber – wieder im Vertriebsbereich. „Eigentlich hat meine neue Aufgabe wenig mit dem MCSE zu tun, sondern mehr mit meiner früheren Tätigkeit“, so der Umschüler. Aber das ist dem 25-Jährigen vorerst egal, er freut sich über den Job bei dem Schweizer Unternehmen. Im Nachbarland sind die Verdienstmöglichkeiten nämlich besser als in Deutschland.

Fachmessen sind gefragt

Die Zeiten, in denen die Umschüler und Quereinsteiger problemlos vom Arbeitsmarkt aufgesogen wurden, sind aber endgültig vorbei. Wer einen Job sucht, muss – wie in anderen Branchen auch – Initiative zeigen. Der Besuch von Fachmessen sei eindeutig die beste Strategie findet Leyting: „Nur hier bekommt man schnell direkten Kontakt zu den Firmen.“ Online-Arbeitsvermittlungen hingegen hätten sich nicht bewährt: „Nur Personalagenturen reagierten auf mein Stellengesuch“, so der Umschüler. Die wenigen Bewerbungsgespräche, die Leyting daraufhin mit Agenturvertretern führte, dauerten meist nur einige Minuten. Kein einziges brachte den gewünschten direkten Kontakt mit dem potenziellen Arbeitgeber. „Personalvermittler nutzen die virtuellen Jobbörsen doch nur, um ihre Kundenkartei aufzufüllen“, vermutet der Konstanzer.

Auch Claus Volz erfährt gerade, dass die IT-Jobs einem Quereinsteiger nicht mehr in den Schoß fallen. Der Ludwigshafener absolviert zurzeit bei GFN eine Weiterbildung zum „Web-Master IT-Security Coordinator“. Der gelernte Werkzeugmacher zahlt seine Umschulung selbst, 18 000 Mark muss er für die siebenmonatige Schulung berappen: „Da gehen die gesamten Ersparnisse drauf.“ Auch er besucht Messen, um mit möglichst vielen potenziellen Arbeitgebern persönlich Kontakt aufzunehmen.

Als der 27-Jährige im März die Fortbildung begann, versprach ihm zwar niemand eine Anstellung, dafür bot ihm der Trainer damals an, seine Unternehmenskontakte für ihn spielen zu lassen. Als Volz kürzlich nachhakte, wurde er mit dem Hinweis beschieden, es sei gerade nichts Passendes da. Volz und Leyting werfen dem Schulungsanbieter fachlich nichts vor, vermissen aber beide den Hinweis auf die schlechte Arbeitsmarktsituation: „Die meisten Teilnehmer der Weiterbildungskurse sind schließlich Branchenneulinge. Denen muss man doch sagen, dass sie heutzutage früher anfangen sollten, sich um einen Job zu bemühen.“ Die Arbeitgeber ständen nun mal nicht mehr bei den Schulungsinstituten vor der Tür und übernähmen die Zertifizierten direkt nach dem Kurs.

Volz beobachtet: „Viele Absolventen unternehmen noch gar nichts, obwohl wir im November den Kurs abschließen. Die warten einfach darauf, dass der passende Arbeitgeber anruft.“ Der angehende Web-Master hofft, dass sich gerade deshalb seine Vermittlungschancen verbessern. Weil viele seiner Mitstreiter wenig engagiert auf Jobsuche gehen, findet er vielleicht schneller einen passenden Arbeitgeber.