Quality Circles: "Die Leute an der Basis fangen plötzlich an, gute Ideen zu haben und ihre Sache allein zu machen"

08.10.1982

Mit Gerald Spiess, Vorstandsmitglied des Quality Circle-Verbandes Deutschland, sprach die CW

- Der Begriff "Quality Circles" hat sich bis in die Chefetagen herumgesprochen, gelegentlich mit dem Untertitel "japanische Herausforderung". Sie sind im Vorstand des Quality Circle-Verbands Deutschland - was sind Quality Circles, und was steckt hinter dieser vermeintlichen Herausforderung?

QCs sind Besprechungsgruppen innerhalb eines Unternehmens; Ausgangspunkt ist die gemeinsame Arbeitssituation. Die Besprechungen finden in lockerer Atmosphäre, meist einmal eine Stunde pro Woche statt. Es geht um die bei der gemeinsamen Arbeit anstehenden Probleme und deren praktikable Lösungen. Jeder kann mitmachen, die Teilnahme ist freiwillig, und damit hat jeder die Chance, zum Erfolg des QC beizutragen. Eine Herausforderung kann man darin sehen, daß uns die Möglichkeit, in QCs zu arbeiten, zur Verfügung steht, wir sie aber vielleicht noch nicht hinreichend nutzen. Die andere Herausforderung besteht darin, daß der bekannt hohe Qualitätsstandard der japanischen Veredelungsprodukte mit Sicherheit auch auf die QCs zurückzuführen ist, die wir dort in fast jedem größeren Betrieb finden.

- Wo liegen die realistischen Möglichkeiten, Qualität zu verbessern? Gibt es da spezielle Vorstellungen, ist QC-Arbeit auf bestimmte Bereiche beschränkt?

Obwohl man in der Regel davon ausgehen kann, daß sich Qualitätszirkel hauptsächlich in Produktions- oder Dienstleistungsbetrieben finden, ist grundsätzlich kein Bereich ausgeschlossen. Überall, wo Menschen arbeiten, sind - positiv ausgedrückt - Verbesserungen möglich. In den QC-Gruppen werden die Probleme angegangen, wobei festgehalten werden muß, daß es die Mitarbeiter an der Basis sind, die über ihre eigenen Probleme diskutieren und selbst nach Lösungen suchen.

- Kann man davon ausgehen, daß die Mitarbeiter selbst in der Lage sind, ihre Probleme zu sehen, zu definieren und zu bewältigen?

Davon bin ich überzeugt. Wir müssen einsehen, daß die Mitarbeiter, die ständig "vor Ort" mit diesen Problemen zu tun haben, natürlich auch am besten darüber Bescheid wissen. Ein wichtiger Aspekt für die QC-Arbeit ist der, daß in jedem Mitarbeiter mehr als genügend Potential steckt, Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten zu artikulieren. Viele Mitarbeiter glauben allerdings, sie seien dazu nicht in der Lage. Quality Circles sind der Ort, wo sie das Gegenteil unter Beweis stellen können, wenn sie dazu ermuntert werden.

- Nun hat es so etwas wie "betriebliches Vorschlagswesen" oder "Meckerecken" immer schon gegeben; wo liegen die Unterschiede?

QCs schließen all das mit ein, aber auch viel mehr. Wir argumentieren da auf drei Ebenen. Erstens gibt es die Sachebene. Verbesserungsvorschläge und daraus resultierende Lösungen lassen sich in Zahlen ausdrücken; vielleicht ist das noch mit dem betrieblichen Vorschlagswesen vergleichbar. Die zweite Ebene betrifft die zwischenmenschlichen Beziehungen, und das ist schon weit mehr als eine Meckerecke. QCs sind ein Ort der Kommunikation, das heißt, die Mitarbeiter treten zueinander in Kontakt, tauschen sich aus. Das ist entscheidend wichtig für das Klima am Arbeitsplatz. Die dritte Ebene macht nun den Hauptvorsprung der Quality Circles aus. Es geht um die Persönlichkeit der Mitarbeiter. Sie werden einmal gefordert, sich zu artikulieren, bekommen dadurch das Gefühl, man will ihre Meinung hören, ist an ihren Problemen und Vorschlägen interessiert. Sie werden damit zu verantwortlichen Mit-Arbeitern. Darüber hinaus werden sie aber auch gefördert, denn QC-Arbeit bedeutet auch Fortbildung.

- An welche Fortbildungsbereiche denken Sie dabei?

Fortbildung ganz grundsätzlich. Einmal natürlich in fachlicher Hinsicht; das kann nötig sein, um ein bestimmtes Problem in den Griff zu bekommen - aber auch aus dem persönlichen Wunsch heraus, leistungsfähiger zu sein und ein besseres Produkt zu machen. Daneben geht es um Fortbildung in ganz verschiedenen Techniken, die die Mitarbeiter befähigen, über ihre Probleme nachzudenken und sie kommunikativ zu lösen, damit ständig auch die eigene Verantwortung zu fühlen. Das alles geschieht nicht nur zum Vorteil der Mitarbeiter, sondern auch zum Vorteil des Unternehmens und letztlich der gesamten Volkswirtschaft.

- Wie setzen sich solche QC-Gruppen nun im einzelnen zusammen?

In der Regel übernimmt der nächste Vorgesetzte, zum Beispiel der Meister, die Leitung des Qualitätszirkels. Die ideale Gruppengröße liegt bei sechs bis acht Mitgliedern, besonderes Vorwissen ist nicht nötig.

- Sieht das in der Praxis so aus, daß nun jeder Meister einen QC ins Leben rufen kann?

Das wäre so nicht optimal, denn sobald dieser QC nicht mehr bringt als eine Meckerecke, wird er sehr bald wieder einschlafen. Es geht nicht nur darum, daß die Leute das Gefühl haben, sich ausprechen zu können, sondern daß insgesamt der Qualitätsstandard angehoben wird. Dabei ist eine ganz massive und demonstrative Unterstützung durch die Unternehmensleitung nötig. Wenn das Topmanagement nicht voll und ganz dahintersteht, wird den Leuten zumindest in der Anfangsphase ganz schnell die Luft ausgehen.

- Das ist mit Kosten verbunden - ist QC da ein starkes Argument?

Im Gegensatz zu den Japanern sind unsere Leute nicht bereit, außerhalb der regulären Dienstzeiten dem Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Infolgedessen müssen QC-Sitzungen innerhalb der Arbeitszeit abgehalten werden. Ganz klare Aussage: QCs kosten Geld. Die Schulung der Mitarbeiter als wichtiger Bestandteil kommt als Kostenfaktor hinzu. Dennoch: Jede in QCs investierte Mark hat sich in der Regel versechs- bis verachtfacht, so daß die Investition gegenüber den Einsparungen eigentlich gar kein Thema ist.

- Trotz dieser Vorteile setzen sich QCs in der Bundesrepublik eher schleppend durch. Worauf führen Sie das zurück?

Wenn man ein paar ganz wichtige Dinge mißachtet, sind Qualitätszirkel unter Umständen schon nach ganz kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt. Dazu gehört, daß bestimmte Bereiche - ich denke hier besonders an das mittlere Management oder den Betriebsrat - nicht rechtzeitig und vor allem nicht ausreichend informiert werden. Beim mittleren Management kann es Widerstände geben, wenn "die Leute an der Basis plötzlich anfangen, gute Ideen zu haben und ihre Sache allein zu machen". Wir müssen hier völlig umdenken: Ein Abteilungsleiter ist dann gut, wenn seine Abteilung gut ist, besonders wenn sie aus eigener Kraft gut ist. Insofern ist die Konkurrenzangst, die wir dort antreffen, nicht einmal besonders realitätsbezogen. Wenn man nun QCs einrichtet, dabei mehr oder weniger betroffene Mitarbeiter nicht informiert, gibt es Schwierigkeiten, weil alle Leute Angst haben, man wollte ihnen den Schreibtisch wegnehmen: Da sind zum Beispiel die Leute von der Qualitätskontrolle, vom Vorschlagswesen, der Betriebsrat, vielleicht auch Gewerkschafter. Auch Kosten für eine umfassende Grundinformation sollte man nicht scheuen, da sie sich ebenfalls wieder auszahlen.

- Welche Möglichkeiten sehen Sie, diesen Risiken und Schwierigkeiten zu begegnen?

Durch Information auf der ganzen Linie. Dieser Information dient auch der Quality Circle-Verband Deutschland, der sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, Material herauszugeben, Besichtigungen in Unternehmen zu vermitteln, in denen QCs bereits erfolgreich laufen. Aktivitäten zu koordinieren und internationale Kontakte zu pflegen. Zweitens sollte man gerade in der Anfangsphase alle Schulungsmöglichkeiten nutzen, die zur Verfügung stehen.

- Welche würden Sie dabei empfehlen?

Zunächst einmal gibt es natürlich Literatur, inzwischen auch in deutscher Sprache. Der QCVD hat, gemeinsam mit Advanced Systems, Düsseldorf, ein Handbuch herausgegeben, das Grundlageninformationen enthält und Fragen beantwortet damit ausreichendes Material bereitstellt. Dazu gibt es eine Videokassette, in der wir Grundlageninformationen für alle Hierarchieebenen verständlich visualisiert haben. Das ist nützlich, um sich generell über Quality Circles zu informieren. Auch die weiteren Schritte zur Einführung und Organisation sind dort beschrieben. Seminare und spezielle QC-Schulungen werden vom QCVD vermittelt oder vom Institut für Kreativität und Innovation in Bonn angeboten. Ein breites Forum für den gesamten Bereich QC bildet die QCVD-Tagung am 23. und 24. November 1982 in Düsseldorf.