Qualitaets-Managementsysteme auf dem Pruefstand Die ISO-9000-Zertifizierung ist ein buerokratischer Kraftakt

11.11.1994

Was in der Automobil-Zulieferindustrie Alltag ist, wird nun auch bei Softwarehaeusern und DV-Dienstleistern immer selbstverstaendlicher: die Zertifizierung der Qualitaets-Management- Systeme nach der ISO-9000-Norm. Dabei werden Beratungs- und Entwicklungsablaeufe daraufhin geprueft, ob sie bestimmten international standardisierten Qualitaetsmassstaeben genuegen. Es geht um die Qualitaet von Prozessen und nicht von Produkten, betont Heinz Knopf* in seinem Beitrag.

An das Qualitaetszertifikat nach DIN ISO 9000 ff. knuepfen Unternehmen hohe Erwartungen. Vor allem soll die Einfuehrung eines zertifizierten Qualitaetsmangement-Systems (QMS) Kunden, Interessenten und Lieferanten den formalen Nachweis bringen: "Hier haben Sie es mit einem Spitzenunternehmen zu tun."

Die Rechnung geht insofern auf, als die Nachfrage nach solchen zertifizierten Leistungen zunimmt. Teilweise findet sich das ISO- 9000-Zertifikat sogar schon als Sine-qua-non-Bedingung in Ausschreibungen. Der Trend ist eindeutig und unumkehrbar. Einen "direkten" Wettbewerbsvorteil werden wohl nur die ISO-9000- Pioniere auskosten koennen, da dieser proportional zur wachsenden Anzahl der zertifizierten Unternehmen abnehmen duerfte.

Bei der ISO-9000-Norm handelt es sich um die moderne und umfassende Beschreibung eines Geschaeftsprozess-Modells sowie der zugehoerigen Anleitungen. Sie bietet vielfaeltige Ansaetze und Hilfestellung zur Entwicklung effizienter und produktiver Geschaeftsablaeufe.

ISO 9000 bezieht sich auf die Geschaeftsprozesse

Professionelles Know-how ist bestens dokumentiert, und zwar fuer die breite Masse von Unternehmen. Die ISO-Norm unterstuetzt also auch und vor allem diejenigen, die es sich weder leisten koennen noch wollen, fuer eine Gemeinkosten-Wert-Analyse oder fuer Business Re-Engineering einen extrem hohen internen und externen Aufwand zu betreiben.

ISO 9000 bezieht sich ausschliesslich auf den Geschaeftsprozess, keineswegs auf die Qualitaet eines Produkts! Gegenstand des Zertifikats ist das Tun und Handeln eines Unternehmens. Die Qualitaet von Produkten, beispielsweise einer Software, laesst sich dagegen durch eine Produktzertifizierung nachweisen. Hierfuer waere beispielsweise die DIN 66285 geeignet, die Qualitaetsanforderungen an ein Softwareprodukt festlegt.

Fuer wen kommt eine ISO-9000-Zertifizierung in Frage? Grundsaetzlich fuer jedes Unternehmen. Mindestens zehn Mitarbeiter sollten allerdings schon beschaeftigt sein, sonst kann man auf das Zertifikat verzichten - es sei denn, die Kunden verlangen es. Ausserdem ist festzulegen, welche Zertifizierungsstufe angestrebt wird: ISO 9001 als umfassende Norm oder die Teilmengen 9002 fuer Unternehmen ohne eigene Entwicklung beziehungsweise die ausschliesslich fuer die Endpruefung bestimmte ISO-Norm 9003.

Zu den Voraussetzungen einer ISO-Zertifizierung gehoeren die richtige Einstellung und das Durchsetzungsvermoegen des Managements, Kreativitaet, Innovationsbereitschaft sowie ein bestimmter finanzieller Einsatz. Die Geschaeftsfuehrung treibt das Projekt, der Qualitaets-Management-Beauftragte (QMB) - er sollte einer der besten Mitarbeiter sein - muss es tragen. Der QMB ist in den ersten Projektphasen zu 100 Prozent gebunden, die Quote sinkt spaeter auf zirka 30 bis 40 Prozent. Der Zertifizierungsprozess laeuft parallel zum Tagesgeschaeft und stellt insofern keinen direkten Mehraufwand dar.

Externes Basis-Know-how sollte moeglichst fruehzeitig transferiert werden. Die Schulung sowie die Entwicklung des Qualitaets-Management-Handbuchs ist ohne externe Unterstuetzung auf der Basis bewaehrter Vorlagen kaum moeglich.

Zertifikat sollte fruehzeitig beantragt werden

Eine realistische Planung und das effektive Projekt-Controlling steuern den eigentlichen Prozess und liefern die erforderlichen Informationen fuer Berichtswesen und Fortschrittskontrolle. Ausserdem ist das Zertifikat fruehzeitig bei einer der Zertifizierungsstellen (Anm. d. Red.: TUEV- und Dekra-Dienststellen sowie die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Qualitaets- Managementsystemen mbH, Frankfurt) zu beantragen, damit einer termingerechten Abwicklung des formalen Zertifizierungsaktes nicht im Wege steht.

Das Projekt selbst ist als kontinuierlicher Verbesserungsprozess in vier Stufen zu gestalten:

1. Analyse der Geschaeftsprozesse und Schwachstellen: Die Aktivitaeten des Unternehmens werden zu homogenen Gruppen sortiert und hinsichtlich ihrer strategisch-operativen Relevanz analysiert. Welche Aktivitaeten sind von zentraler beziehungsweise geringer Bedeutung fuer den Unternehmenserfolg? Die weniger wichtigen Taetigkeiten sind zunaechst aus den Qualitaetsueberlegungen auszuschliessen. Sie koennen in einem zweiten Schritt bearbeitet werden.

Die zentralen Aktivitaeten werden nach einem Input-Output- orientierten Geschaeftsprozess-Modell abgebildet und verbessert. Derzeitige Schwachstellen und prozessbedingte Fehlerquellen bilden den Ausgangspunkt fuer die Festlegung dessen, was optimiert werden soll. Den Rahmen fuer zukuenftige Qualitaetsprozesse setzen Verfahrensanweisungen sowie geeignete Unterstuetzungswerkzeuge.

2. Die Fixierung der Normprozesse im QM-Handbuch ist Bedingung der ISO-Zertifizierung: Normgeschaeftsprozesse, Verantwortlichkeiten, Organigramm sowie die erforderlichen Unterstuetzungswerkzeuge (zum Beispiel fuer das Projekt-Controlling) werden schriftlich festgehalten. Im QM-Handbuch wird beschrieben, was zu tun ist, waehrend die Verfahrensanweisungen das Wie in den Mittelpunkt ruecken.

Die sogenannten "phasenbezogenen Festlegungen" im Sinne von Geschaeftsprozessphasen werden durch "phasenuebergreifende Festlegungen" und Fuehrungselemente ergaenzt. Wie die Gliederung des QM-Handbuchs fuer Softwarehaeuser aussieht, zeigt Abbildung 1. Die kontinuierliche, prozessbegleitende Verifikation sowie die abschliessende Validierung des QM-Handbuchs erfolgen nach den Prinzipien des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses.

3. Einfuehrung des QM-Systems und Mitarbeiterschulung: Das validierte QM-System wird nun implementiert. Dieser Prozess gliedert sich in vier Schritte. Zunaechst wird das QM-Handbuch eingefuehrt, indem die erforderlichen schriftlichen Unterlagen an die Mitarbeiter verteilt werden. Anschliessend erfolgt deren Einweisung nach einer Schulungsmatrix. Hier werden QM-Inhalte und Mitarbeiterprofile in Beziehung gesetzt. In einem dritten Schritt sind die Mitarbeiter am Arbeitsplatz anzuleiten. Schliesslich wird ein Qualitaetszirkel zur kontinuierlichen Verbesserung eingerichtet.

4. Formelle Zertifizierung mit Begutachtung durch die Zertifizierungsstelle: Hierbei sind zwei Pruefungsaspekte von Bedeutung. Zunaechst werden das QM-Handbuch sowie die dazugehoerigen Verfahrensanweisungen auf Normenkonformitaet gecheckt. Die Unterlagenpruefung schliesst mit einem Pruefbericht ab. Dieser enthaelt Feststellungen zu Normabweichungen, Empfehlungen zur Optimierung der Unterlagen und Hinweise fuer das Zertifizierungsaudit vor Ort.

Solche Audits dauern ein bis zwei Tage. Zunaechst werden die Fuehrungselemente auditiert beziehungsweise begutachtet. Hier soll festgestellt werden, ob alle erforderlichen Massnahmen eingeleitet wurden, um einen ISO-9000-konformen Geschaeftsprozess aufrechtzuerhalten. Dann werden die phasenbezogenen Elemente anhand von konkreten Geschaeftsvorfaellen am Arbeitsplatz mit den Mitarbeitern begutachtet. Der abschliessende Auditbericht enthaelt:

- Feststellungen zu wesentlichen Maengeln,

- Feststellungen zu kleineren Maengeln und

- Hinweise zur Optimierung des QM-Systems.

Je nach Anzahl und Inhalt der Feststellungen wird das Zertifikat erteilt - entweder mit oder ohne Auflagen. Das Erstaudit findet in einer fruehen Implementierungsphase statt. Jedem Auditor ist klar, dass gute Unternehmen vielleicht zwei bis drei Jahre brauchen, um alle erforderlichen Verfahren in den Ablaeufen fest zu verankern und auch kontinuierlich zu verbessern.

Im Erstaudit sind daher meist nur Fragmente zu begutachten. Dem Erstzertifikat folgen daher jaehrliche Ueberwachungsaudits sowie nach drei Jahren ein Wiederholungsaudit. Je nach Komplexitaet und vorhandenem Organisationsgrad sind Projektlaufzeiten von sechs bis 18 Monaten erforderlich. Im Durchschnitt sollten zwoelf Monate vorgesehen werden.

Die ISO-9000-Zertifizierung kann eine Reihe von Problemen mit sich bringen. Zum Beispiel im Projekt-Management: Fehlen Vorgehensmodell, Projektplan und ein geeignetes Verfahren zur Projektsteuerung, leidet die Verbindlichkeit und damit die Faehigkeit zur konsequenten Realisierung. Termine verstreichen, die konzertierte Arbeitsweise im Team entsteht nicht.

Immer wieder verursacht die Komplexitaet Schwierigkeiten. Der Versuch, "gewachsene Geschaeftsablaeufe" in das QM-System zu uebertragen, schlaegt regelmaessig fehl. Zu vielschichtig, unvollstaendig und personenorientiert sind die meisten Ablaeufe. Nicht selten basieren sie teilweise oder ganz auf Improvisation und informellen Beziehungen. Hier kommt es darauf an, die Komplexitaet zu reduzieren und das Improvisationsbestreben so zu kanalisieren, dass die Geschaeftsprozesse "wahr und klar" bleiben.

Falsche Vorstellungen der Mitarbeiter zu Ziel und Inhalt des Projekts fuehren immer wieder zur Demotivation. Buerokratismus, Formalismus und Einengung der kreativen Freiraeume werden als Argumente gegen das Vorhaben ins Feld gefuehrt. Diese Stoerungen kommen zustande, weil es an sach- und zielgerechter Information sowie einer bedingungslos offensiven Informationspolitik fehlt und Mitarbeiter zu spaet eingebunden werden.

Konsequentes Management ist unabdingbar

Projektlaufzeiten von zwoelf Monaten und mehr erfordern Kontinuitaet und konsequentes Management in jeder Beziehung. Klare Projektstrukturen, die zielstrebige Verfolgung der Aktivitaeten, stetige Information ueber den Projektstand und vor allem die Sicherstellung der erforderlichen personellen und zeitlichen Ressourcen mit hoechster Prioritaet sind unabdingbar.

Die Zertifizierung nach DIN ISO 9000 ist fuer jedes Unternehmen ein typisches Innovationsprojekt. Schulungen und Literatur decken den Know-how-Bedarf zur ersten Qualifizierung ab. Die Einfuehrung von geeigneten Methoden sowie der Transfer von Erfahrungen aus gleichartigen Projekten in Verbindung mit verwertbaren Vorlagen sind zentrale Erfolgsfaktoren.

Ein einfaches und beliebtes Verfahren zur Entledigung der (unangenehmen?) QM-Aufgabe besteht fuer manche Geschaeftsleitung darin, einen QM-Beauftragten zu ernennen und ihn weniger nach Qualifikationskriterien denn nach Abkoemmlichkeit auszuwaehlen. Dieses Verfahren fuehrt in der Regel nicht zum Ziel.

* Heinz Knopf, Unternehmensberatung Knopf + Partner, Krefeld