Qualifiziertes EDV-Personal ist "Mangelware"

30.06.1978

Die Umstellung von Batch auf Online, die Implementierung von Datenbanksystemen und nicht zuletzt die gestiegenen Ansprüche der Fachabteilungen erfordern zusätzliche Manpower an allen Ecken und Enden der EDV-Abteilung. Spezialisten - insbesondere System- und Organisationsprogrammierer - sind gefragte Leute. Doch der Markt ist leergefegt. Anzeigen-Aktionen reichen nicht aus, wie unsere Befragung ergeben hat.

Alternativen: Erstens, das "Heranziehen" aus eigenen Reihen, wobei Operatoren und Mitarbeiter aus den kaufmännischen Bereichen die erforderliche Qualifikation sicher mitbringen, zweitens, das Angebot der Fachhochschulen nutzen. Die Meinung der

EDV-Leiter ist da nicht einheitlich, es kommt auf den Einzelfall an. Dieter Rücker, EDV-Chef bei der Grace GmbH, Worms, holt sich seine EDV-Spezialisten aus England.

Dieter Rücker

Leiter des EDV-Centers Grace GmbH, Worms

Qualifiziertes EDV-Personal über Annoncen zu beschaffen, ist heutzutage sehr teuer - der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Erfolg. Wir hatten kürzlich wieder eine ganzseitige Personalanzeige aufgegeben, in der wir "nur" einen Chef-Operator suchten - es kam nicht eine einzige Antwort auf diese Anzeige.

Die nächste Möglichkeit für uns, qualifizierte Leute zu bekommen, war, sich an eine Personal-Agentur zu wenden. Der Erfolg: Insgesamt kamen von dieser Seite sechs Interessenten, keinen davon konnten wir übernehmen.

Besser lief der Versuch, innerhalb unseres Konzerns - also auch von den

Auslandstöchtern -EDV-Personal nach Deutschland zu holen.

Die besten Erfahrungen konnten wir allerdings machen, in (...) wir uns an englische Personal-Agenturen wandten, um englische EDV-Spezialisten zu bekommen. Denn, bedingt durch den schlechteren englischen Arbeitsmarkt und die guten Karriere-Chancen, die wir in Deutschland diesen Mitarbeitern bieten können, kommen gute Leute gern hierher. Für (...)s ist auch die Sprache keine Barriere, da in unserem Konzern englisch gesprochen wird.

Bei der Personalbeschaffung spielt es heute kaum eine Rolle, ob man in der Großstadt oder in abgelegeneren Kleinstädten EDV-Spezialisten sucht. Die Rezession der letzten Jahre und die zunehmende Arbeitslosigkeit sind der Grund, warum im Personalbereich kaum Bewegungen festzustellen sind. Wer einen guten Job hat, bleibt dabei. Zudem können gar nicht so viele Spezialisten ausgebildet werden, wie in den nächsten Jahren in Deutschland benötigt werden. Einem Bedarf von 150 000

EDV-Mitarbeitern in den nächsten fünf Jahren stehen 90 000 ausgebildete Fachleute gegenüber.

Um unser EDV-Personal aufzustocken, mußten wir bisher - bis auf wenige Ausnahmen - fast ausschließlich Hochschulabsolventen engagieren. Obwohl man vielerorts gerade in diese Richtung sehr skeptisch ist, sind wir mit diesen Leuten gut gefahren.

Vor kurzem erschien eine Untersuchung "Gehaltsstruktur 78" von der Kienbaum Unternehmensberatung. Nach diesen Richtlinien liegen wir mit der Bezahlung bei fast allen Positionen, die besetzt werden sollen, mit etwa 15 Prozent über den dort aufgezeigten Gehältern. Wir tun das, weil wir versuchen wirklich gutes Personal zu bekommen und auch zu halten und vor allem, um zu verhindern, daß das nahegelegene Frankfurt oder Mannheim attraktiver erscheint.

Jürgen Ziemann

SDV-Stab Schering AG, Berlin

Wir versuchen, über regionale und überregionale Annoncen-Aktionen unsere Personalprobleme zu lösen. Das Ergebnis ist aber praktisch immer gleich Null. Auf teure Anzeigen melden sich maximal 10 Personen die entweder unbezahlbar teuer oder nicht qualifiziert sind. Darunter sind auch viele Hochschulabsolventen mit hochgestochenen Erwartungen, ohne jede praktische Erfahrung, in die erst noch - mindestens ein Jahr lang - sehr hohe Ausbildungskosten investiert werden müssen. Hierbei läuft man Gefahr daß diese Leute nach Abschluß ihrer praktischen Ausbildung wieder abgehen, um sich für teures Geld auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen. Wir haben Planstellen für einige

EDV-Spezialgebiete, die wir nicht besetzen können. Auch der Versuch, aus den eigenen Reihen Mitarbeiter auf diesen Spezialgebieten zu schulen, bringt uns nicht wesentlich weiter, da wir - um ein Loch zu füllen - ein anderes wieder aufreißen. Denn nur gute Mitarbeiter sind dafür geeignet, in eine Spezialistenposition zu gelangen, so daß auf seinem Platz wiederum ein guter Mahn fehlt, der erst wieder beschafft werden muß.

Auch die Argumentation mit der 8prozentigen Berlin-Zulage und sonstigen Vergünstigungen zecht nicht mehr. Im Gegenteil, ein Umzug nach Berlin wird länger überlegt als in eine andere Großstadt. Zudem hat Berlin gegenüber anderen Plätzen in Deutschland sicher keinen Standortvorteil. Man muß also zumindest gleich viel, wenn nicht sogar mehr bezahlen, wenn man Mitarbeiter nach Berlin holen will.

Kürzlich hatten wir eine große Anzeigen-Serie laufen mit dem Erfolg, daß wir von insgesamt 180 geprüften Bewerbungen nur 10 freie Planstellen besetzen konnten.

Heute arbeiten in der EDV-Gruppe - abgesehen von Datenerfassung und AV - 55 Mitarbeiter. Leere Stühle gibt es vor allem im Bereich der Software-Entwicklung, -Betreuung DB, IMS, Online-Anwendung obwohl die Aufgaben sehr reizvoll sind. Etwa sieben Spezialisten mit einem Gehalt von etwa 50 000 Mark im Jahr suchen wir noch.

Fazit- Unser Budget für Personalbeschaffung, das bis Ende 1978 reichen soll, ist heute bereits aufgebraucht.

Fritz Hirschmüller

Regionales Rechenzentrum Alb-Schwarzwald Reutlingen

Wir sind ein kommunales Rechenzentrum und betreuen 140 Gemeinden mit etwa 1 Million Einwohnern. Personalprobleme gibt es bei uns - erstaunlicherweise - keine. Innerhalb der von uns angebotenen Leistungen führen wir im Rahmen einer sogenannten Aufgaben- und Zeitplanung bei unseren Mitgliedern verschiedene neue Verfahren ein. Vor und während der Realisierungsphase braucht man einiges Personal mehr, das nach Abschluß wieder frei wird und für andere Anwendungen zur Verfügung steht. Auf diese Art können wir unsere EDV-Spezialisten immer da einsetzen, wo sie benötigt werden. Zudem haben wir eine äußerst geringe Fluktuation - von 27 Mitarbeitern im Bereich Organisation und Programmierung verließ uns in den letzten zweieinhalb Jahren nur ein Mitarbeiter. Mehr Wechsel gibt es im Bereich des Operating. Verdiente Operatoren können bei uns auch einmal eine andere Tätigkeit übernehmen. Bei Eignung können sie durchaus eine qualifizierte Spezialisten-Position erreichen. Neue Mitarbeiter für das Operating anzulernen, ist nicht problematisch.

Kommen wir dennoch in die Situation, neue Leute vom Arbeitsmarkt zu holen, müssen diese nicht unbedingt aus EDV-Berufen kommen. Wir fordern entweder Erfahrung im öffentlichen Dienst oder eine Fachausbildung in EDV-Organisation oder Programmierung. Wir bilden also auch Mitarbeiter in EDV aus, die aus den sogenannten "Fachabteilungen" kommen. Problematisch ist bei uns die Verdienst-Höhe. Wir stellen immer wieder fest, daß Industrieunternehmen für die gleichen Positionen wesentlich mehr bieten, auf der anderen Seite sind diese Arbeitsplätze bei weitem nicht so sicher. Dennoch - und obwohl wir geographisch relativ dezentral liegen - wird der sichere Arbeitsplatz offensichtlich mehr geschätzt als andere attraktive Angebote.

Personal-Anzeigen schalten wir inzwischen nur noch regional. Eine überregionale Ausschreibung hat uns eigentlich nur Schwierigkeiten und keinen Erfolg gebracht.

Bernhard Gabriel

Geschäftsführer der Zeda-Vorwerk & Co, Wuppertal

Auch wir konnten feststellen, daß der Personalmarkt derzeit äußerst angespannt ist. Auf die von uns geschalteten Personalanzeigen kommen kaum Antworten von qualifizierten Leuten. Wir umgehen dieses fehlende Angebot an EDV-Spezialisten, indem wir junge Leute

selbst dazu ausbilden. Voraussetzung ist eine kaufmännische Ausbildung, so daß sich auch Mitarbeiter aus unserem eigenen Haus dafür eignen. Unsere Erfahrungen diesbezüglich sind sehr gut. Sicherlich besteht dann die Gefahr, daß einige versuchen, sich nach Beendigung ihrer Ausbildung für teures Geld auf dem Markt zu verkaufen. Aber hier versuchen wir vorzubeugen, indem wir ihre Gehälter genau den Positionen anpassen, die sie nach ihrer Ausbildung einnehmen und nicht - und das wird oft falsch gemacht - nur etwas anheben, so daß sie dem Gehaltsniveau anderer Auszubildender entsprechen.

Wir haben eigene Datenbanksysteme und TP-Systeme, so daß die Ausbildung zum Spezialisten sehr schnell vor sich geht.

Wir haben auch feststellen können, daß ein Firmenwechsel heute mehr überdacht wird als je zuvor - Rezession und Angst vor Arbeitslosigkeit lassen gute Mitarbeiter lieber auf dem Stuhl verweilen, der ihnen sicher erscheint.

Gerade in der letzten Zeit haben wir auch in verstärktem Maße Hochschulabsolventen eingestellt - und halten eigentlich sehr viel davon. Obwohl vielerorts die rein theoretischen Kenntnisse solcher Studenten der Informatik nicht sehr geschätzt werden, sind wir nicht abgeneigt, diese an den Hochschulen gelehrte Theorie in unsere trockene Praxis hineinließen zu lassen.

Oft schreckt man vor diesen Absolventen zurück, weil sie sich nicht selbst "verkaufen" können. Praktiker mißtrauen der oft hochgestochenen Ausdrucksweise, so daß der Eindruck einer tiefen Kluft zwischen beiden Gruppen entsteht. Aber wenn man diesen Akademikern eine Chance durch gute Ausbildung gibt, werden sie exzellente Mitarbeiter.

Auch der Spruch "Wuppertal so dezentral" kann eigentlich heute kaum noch schrecken: Die Infrastruktur in Deutschland ist doch inzwischen so, daß man über schnelle Verbindungswege schnell überall hingelangt. Wir haben unter unserer sogenannten dezentralen Lage noch nie gelitten. Was heute zählt, ist der Reiz der neuen Aufgabe, die man einem künftigen Mitarbeiter bieten kann.