Multimedia-Berufe: Bedarf übersteigt Angebot bei weitem

Qualifizierte Newcomer haben beste Chancen am Arbeitsmarkt

14.06.1996

Bei den bundesdeutschen Medienmachern überwiegt die Begeisterung für die künftige Multimedia-Welt. Markus Schöneberger, Bereichsleiter und Mitglied der RTL-Geschäftsführung sowie Vorstandsmitglied des "Vereins zur Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Medienwirtschaft", sieht dieses Gebiet nicht als "Job-Killer", sondern als "Job-Knüller". Voraussetzung hierfür sei eine entsprechende Qualifizierungsoffensive sowie ein systematisches Nachdenken über Ausbildungsmodelle für die Medienberufe von morgen.

Der RTL-Manager: "Skeptiker mögen sagen, Multimedia ist nichts anderes als der größte nicht vorhandene Arbeitsmarkt. Doch diese Medienzukunft wird - wenn auch in Raten - kommen." Um diese Prognose zu untermauern, weist Schöneberger darauf hin, daß derzeit der Bedarf an Mitarbeitern für das Multimedia-Umfeld bereits größer als das Angebot ist. Das Dilemma sei das Qualifikationsdefizit. Gerade im Ausbildungsbereich würden die Europäer den Amerikanern hinterher hinken.

Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern im Multimedia-Bereich gestaltet sich derzeit recht schwierig. Diese Erfahrung macht gerade Kai Büchsenmann, Leiter Electronic Publishing beim Axel Springer Verlag in Hamburg. "Anfragen von jungen Leuten bekommen wir genug. Allerdings sind kaum Bewerber darunter, die im Bereich elektronische Medien fit sind. Dazu ist die Branche auch viel zu jung." Der Hamburger Konzern sucht derzeit Online-Entwickler, C- Programmierer und Screen-Designer. Lediglich bei den C- Programmierern gibt es in puncto Ausbildung keine Probleme. Die größten Chancen haben die Informatiker.

Schwierig würde sich die Suche nach Online-Entwicklern gestalten. Die potentiellen Mitarbeiter müßten journalistisch arbeiten und gleichzeitig HTML-Seiten produzieren können. Für diesen gerade entstehenden Beruf gibt es laut Büchsenmann noch keine entsprechende Ausbildung. Deshalb bildet Springer diese Mitarbeiter intern aus. Bei den Screen-Designern sehe es ähnlich aus. Normale Grafiker bewerben sich, so der Hamburger Medienexperte zuhauf, doch die wenigsten von ihnen hätten ausreichend Bildschirm-Erfahrung. Büchsenmann: "Wir benötigen Mitarbeiter, die über journalistisches Verständis sowie ein bestimmtes Fachwissen verfügen und dann noch eine PC-Affinität haben. Solche Leute sind in der Tat schwer zu finden." Der Publishing-Fachmann weiß, daß nicht nur der Springer Verlag mit solchen Personalproblemen zu kämpfen hat. Wie sonst wäre es zu erklären, daß "wir gar nicht so schnell ausbilden können, wie die jungen Leute von Mitbewerbern abgeworben werden".

Bernd Schiphorst, Geschäftsführer der AOL Bertelsmann Online GmbH, sind die Probleme seines Kollegen bekannt: "Erfahrene Profis sind für den Bereich Online-Dienste naturgemäß ebenfalls noch nicht zu finden. Also müssen wir Hochschulabsolventen On the Job trainieren." Da es für Online-Berufe noch keinen funktionierenden Personalmarkt gibt, sehen sich die AOL-Manager derzeit noch in benachbarten Berufssparten um. Während Schiphorst für den Bereich Marketing auf die Erfahrungen bei Bertelsmann und den Pay-TV-Kanal Premiere zurückgreifen kann, entstehen im Bereich der Produktion von Online-Inhalten völlig neue Profile. Dafür müßten Ideen, sogenanntes Artwork, entworfen und später umgesetzt werden. Schiphorst: "Hier entstehen Berufsbilder, die wir in Deutschland bislang noch nicht hatten."

Deshalb würden die Mitarbeiter aus dem Production-Bereich derzeit noch in den Vereinigten Staaten ausgebildet.

Für den Medienfachmann steht fest, daß bei den potentiellen Mitarbeitern weniger das Technik-Know-how als die Kreativität und das Gespür für die Wünsche der Nutzer entscheidend sind. Schiphorst: "Junge Leute, die heute einen Online-Job ergreifen, haben gute Karrierechancen. Die Branche ist jung, genießt hohes öffentliches Interesse und wird sich rasant weiterentwickeln." Derzeit seien in der deutschen AOL-Gesellschaft rund 50 Mitarbeiter beschäftigt, dazu eine Reihe von Beschäftigten in den ausgegliederten Bereichen wie den sogenannten Call Centern. Die Frage, mit wie vielen Neueinstellungen noch gerechnet werden könne, beantwortet Schiphorst sibyllinisch. Das hänge von vielen Faktoren, vor allem aber vom Abonnentenstand der Online-Dienste, ab.

Genaue Zahlen für das Anwachsen der Berufe im Multimedia-Umfeld zu nennen ist nahezu unmöglich. Schließlich verbergen sich hinter dem schillernden Reizwort Multimedia so unterschiedliche Marktsegmente und Arbeitsfelder wie Teleshopping, Interaktives Fernsehen, multimediale Lernprogramme oder Electronic Books. Offiziell werden im Jahr 1996 zwei neue Berufsfelder eingeführt: der "Mediengestalter Ton und Bild" sowie der "Film- und Videoeditor", der als staatlich geprüfter Beruf mit geregelter Ausbildung den klassischen Cutter in Zukunft ersetzen wird.

Jungen Leuten, die in die Multimedia-Branche einsteigen wollen, empfiehlt RTL-Manager Schöneberger vor allem die Qualifizierung im Bereich der Computeranimation, der Computergrafik sowie der Scannertechnik. Gute Chancen sieht der Medienfachmann auch für Quereinsteiger aus dem kreativ-journalistischen Bereich oder dem Bereich Informatik. Schöneberger: "Gesucht wird der kreativ denkende Techniker einerseits sowie der technisch denkende Kreative andererseits. Wenn diese beiden Gruppen dann noch teamfähig sind, kann nichts passieren."