Gehaltsmodelle jenseits von Aktienoptionen

Punkte sammeln für den Firmenerfolg

07.06.2002
Reich durch Aktienoptionen - diese Aussicht motivierte einst Scharen von Angestellten, alles für den Job zu geben. Nach dem Hype ist die IT-Branche in der Realität der Krise angekommen, wo Optionen fast wertlos geworden sind. Firmen müssen neue Wege suchen, um ihre Mitarbeiter anzuspornen. CW-Bericht, Alexandra Mesmer

Einen neuen Konservatismus macht Malte Brümmer in der Gehaltspolitik aus. Der Vergütungsexperte der Kienbaum Management Consultants GmbH, Gummersbach, bezieht diesen Trend nicht nur auf die IT-Unternehmen, die sich im vergangenen Jahr von überdurchschnittlichen Gehaltserhöhungen verabschiedeten und wie andere Branchen nur noch die tarifübliche Steigerung von etwa drei Prozent bezahlten. Auch die Mitarbeiter selbst legen inzwischen wieder Wert auf Beständigkeit: "Es geht nicht mehr um den Spaß im Jetzt und kurzfristige Nebenleistungen wie den Bügelservice, sondern um langfristige Vorsorge wie eine zusätzliche Altersversicherung", so Brümmer. So sei die Altersversorgung neben dem immer beliebten Klassiker Firmenwagen zu den gefragtesten Nebenleistungen aufgestiegen, während Aktienoptionen in der Gunst der Mitarbeiter deutlich zurückgefallen sind und nur noch als eine Zusatzleistung unter vielen angesehen werden.

Kundenzufriedenheit bestimmt Gehalt

Zudem setzen Unternehmen verstärkt auf variable Vergütungssysteme, um durch monetäre Anreize die Leistung der Mitarbeiter und dadurch auch den Erfolg der Firma zu steigern. So führte die Telefonica-Tochter Mediaways GmbH, Verl, vor eineinhalb Jahren einen Qualitätsindex ein, von dessen Wert 20 Prozent des variablen Gehaltsbestandteils abhängen. (Die restlichen 80 Prozent sind an das Erreichen individueller Zielvereinbarungen geknüpft). Der Qualitätsindex setzt sich aus den drei Parametern Kundenzufriedenheit, Verfügbarkeit und Accounting zusammen. Jeden Tag können die Mitarbeiter des Internet-Service-Providers im Intranet beobachten, wie sich die einzelnen Werte des Indexes und damit auch die Leistungen der unterschiedlichen Abteilungen entwickeln.

"Vorher hatten wir nur individuelle Ziele", erklärt Markus Pauli, Abteilungsleiter Corporate Organisation und Quality Management. "Dabei fehlte die Transparenz. Heute können wir uns genau im Intranet darüber informieren, wo es gut läuft und wo noch Nachholbedarf besteht." Alle sechs Monate befragt ein externer Dienstleister im Auftrag von Mediaways die Kunden, die unter anderem die Freundlichkeit der Mitarbeiter oder die Kompetenz des Service per Fragebogen beurteilen. Als Zweites geht die Verfügbarkeit des Netzes, des Access-Bereiches und aller Server- und Hardwaresysteme täglich mit in den Qualitätsindex ein. Zuletzt wird der Bereich Accounting miteinbezogen, in dem der Internet-Provider für Kunden wie AOL berechnet, wie lange dessen Kunden im Netz waren. Als Messlatte gilt hier die Korrektheit der Abrechnung.

"Da 80 Prozent unserer Mitarbeiter im operativen Geschäft tätig sind und viele auch abteilungsübergreifend arbeiten, können viele den Stand des Qualitätsindexes auch direkt beeinflussen", ist Pauli überzeugt. Das erhöhe nicht nur Motivation und Identifikation der Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit, sondern mitunter auch den sozialen Druck untereinander, die Leistung im Sinne des Qualitätsindexes zu erbringen. Bisher wurde laut Pauli das Gesamtziel immer erreicht, wenn es auch in einzelnen Teilbereichen Probleme gab: "Im neu eingeführten Bereich Voice over IP waren die ersten beiden Monatswerte zu niedrig. Durch die danach eingeleiteten Maßnahmen sind die Qualitätswerte im Voice-Bereich aber so gestiegen, dass sie die unbefriedigenden Werte mehr als kompensiert haben." Zweimal im Jahr zahlt Mediaways die variablen Lohnbestandteile aus, die abhängig von der Position im Unternehmen zwischen fünf und 30 Prozent des Gesamtgehaltes betragen können.

Die Unternehmensberatung Avinci geht in Sachen variable Entlohnung noch weiter als Mediaways. In für Berater ungewohnter Offenheit präsentieren sie ihr ausgeklügeltes Vergütungssystem, das zwischen Garantie-, Ziel- und Maximalgehalt unterscheidet, auch im Internet (www.avinci.de). Ehrgeiziges Ziel ist es, "unternehmerisches Denken zu belohnen, die Mitarbeiter am Unternehmenserfolg zu beteiligen und dennoch das Sicherheitsbedürfnis des Einzelnen zu berücksichtigen". Darum kann auch jeder Berater den Prozentsatz seines variablen Anteils innerhalb vorgegebener Grenzen selbst bestimmen. Bei einem jährlichen Zielgehalt unter 50000 Euro kann der variable Prozentsatz etwa zwischen null und 15 Prozent, bei einem Zielgehalt zwischen 60000 und 69999 Euro kann er zwischen zehn und 25 Prozent liegen.

Damit die Berater ihre Ziele erreichen, müssen sie pro Jahr 1300 Stunden dem Kunden in Rechnung stellen oder einen persönlichen Umsatz in Höhe des eigenen Gehalts plus 50000 Euro erzielen. "Im vergangenen Jahr haben 96 Prozent unserer Mitarbeiter diese Vorgaben erreicht - viele schon nach einem dreiviertel Jahr", sagt Karl-Gerhard Pütz, Solution Unit Manager bei Avinci in Frankfurt am Main. Vor allem wer einen langfristigen Projekteinsatz habe, könne es sich erlauben, den variablen Anteil höher ausfallen zu lassen. Pütz wie seine beiden Kollegen Thomas Bolz und Ralf Gernhold geben jedoch zu, dass sich die Situation am Beratermarkt inzwischen verschlechert hat und es nicht mehr selbstverständlich ist, dass auf ein Projekt das nächste folgt und die Ziele von allen problemlos erreicht werden können.

Breiteres Engagement belohnen

Allerdings haben die Frankfurter auch noch das Instrument des Maximalgehalts: So kann jeder Berater unabhängig von seinen Zielvorgaben Punkte sammeln, indem er etwa das Wissens-Management-System pflegt, einen neuen Mitarbeiter anwirbt, eine interne Schulung abhält oder auch einen Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Wie viele Punkte es für welches Engagement gibt, wird zu Jahresanfang immer wieder neu festgelegt. Am Ende des Geschäftsjahres werden 75 Prozent des Gewinns, der zehn Prozent Rendite übersteigt, an die Mitarbeiter ausgeschüttet. Dazu wird der "Renditeüberschuss" durch die Gesamtzahl der Punkte geteilt und jedem Punkt ein realer Wert in Euro gegenübergestellt, so dass der einzelne Berater sein Gehalt nochmals maximal um zwei variable Anteile plus 5000 Euro steigern kann.

"Mit diesem Punktesystem wollen wir auch verhindern, dass die Mitarbeiter Tag und Nacht dem Kunden nur Stunden in Rechnung stellen und ansonsten keine Zeit mehr für den internen Know-how-Transfer haben", so Senior Consultant Bolz. Vielmehr will Avinci ein breiteres Engagement, das die Firma weiterbringt, belohnen und auch auf die Marktlage reagieren: "In diesem Jahr haben wir die Punkte für die zusätzliche Akquise beim Kunden erhöht, um auch auf diesen Weg die Auftragslage zu beleben", erklärt Pütz. Normalerweise fällt das Werben um neue Kunden und Projekte in den Aufgabenbereich der Führungskräfte. Bisher ist das Konzept des Punktesystems bei Avinci aufgegangen. "Die Folge ist, dass die Mitarbeiter wirklich unternehmerisch denken, jeden Euro bewusst wahrnehmen und auch diskutieren, ob gewisse Anschaffungen nötig sind", beschreibt Ralf Gernhold. "Allerdings gibt es keinen sozialen Druck, an allen Ecken und Enden Kosten zu sparen."

Dass Unternehmen auch monetäre Leistungen an die Mitarbeiter derzeit genau hinterfragen, kann Kienbaum-Berater Brümmer bestätigen: "Nebenleistungen werden nicht mehr diffus gestreut, sondern Firmen befragen ihre Mitarbeiter, welche diese für sinnvoll halten." Allerdings sei hier das Sparpotenzial begrenzt, da viele Nebenleistungen wie Firmenwagen in der Regel auf mehrere Jahre zugesichert sind.

Vergütung in der IT

Die IT-Branche hat sich im vergangenen Jahr nicht mehr zu übertariflichen Gehaltserhöhungen hinreißen lassen. Laut der aktuellen Kienbaum-Vergütungsstudie, die 5479 Daten von IT-Fach- und Führungskräften in 283 Unternehmen untersuchte, stiegen die Grundgehälter im Schnitt nur noch um drei bis dreieinhalb Prozent an. Die Gesamtgehälter stagnierten teilweise, was auch auf die variablen Lohnbestandteile zurückzuführen ist, die oft an den Erfolg des Unternehmens geknüpft sind. "Vor allem die Ertragslage des Unternehmens spiegelt sich in den Bonuszahlungen wider. Bei einer überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Situation liegen die Erfolgsbeteiligungen deutlich höher als bei einer mäßigen Ertragslage", erklärt Kienbaum-Experte Malte Brümmer. Mittlerweile erhalten 34 Prozent der Fachkräfte einen variablen Bonus, bei Managern der ersten und zweiten Führungsebene sind es über 60 Prozent.

Demnach stagnierten die Gesamtgehälter der Systemadministratoren und Softwareentwicklern bei durchschnittlich 49000 Euro beziehungsweise 57000 Euro, obwohl sich ihr Grundgehalt um drei Prozent erhöhte. Lediglich IT-Berater und Projektleiter konnten mit durchschnittlich 56000 Euro beziehungsweise mit 65000 Euro auch ihr Gesamtgehalt leicht steigern.

"In der IT macht sich verhaltener Optimismus breit", so Brümmer. "Aber die Spielräume für Investitionen und Gehälter sind immer noch eng." Am besten bezahlen die großen Unternehmen ihre IT-Manager: So kommt ein IT-Leiter inklusive aller Zulagen auf durchschnittlich 109000 Euro Jahresverdienst, wobei die Höhe seines Einkommens von der Personalverantwortung und der Größe des Unternehmens abhängt. Laut Vergütungsexperte Brümmer kann die Position des IT-Leiters in einer großen Gesellschaft doppelt so hoch dotiert sein wie in einer kleinen.

Den Marktwert testen

Inwieweit schlägt sich das wirtschaftliche Tief auf die IT-Gehälter nieder? Welche Berufsgruppen gehören zu den Gewinnern, welche zu den Verlierern? Alle, die eine genaue Antwort haben wollen, können sich noch bis zum 15. Juni 2002 an der IT-Vergütungsstudie der COMPUTERWOCHE beteiligen, die Christian Scholz, Professor an der Universität Saarbrücken, ausarbeitet. Der Fragebogen ist über das Internet www.gehaltsstudie.de abrufbar. Ihn können sowohl Computerfachleute als auch Unternehmen beantworten. Die Studie wird zum vierten Mal aufgelegt und auf der Systems in München vorgestellt.