Psychologisches Institut der Uniklinik Hamburg hilft Migräne-Patienten: \Mit Eclipse-Mini gegen Kopfschmerzen

03.04.1981

HAMBURG - Am Psychologischen Institut der Universitätsklinik wird eine Migräne-Therapie mittels Biofeedback erprobt. Die Messungen werden von einem Data Gerneral-Mini "Eclipse/S 130" ausgewertet.

Die Migräne-Patienten, die meist von Neurologen in das Psychologische Institut der Uniklinik überwiesen werden, sind vorwiegend extreme Fälle. Viele von ihnen leiden unter Anfällen, die sie berufsunfähig machen. Für sie wird von den Mitarbeitern des Instituts ein Therapiepaket entwickelt, laut Rüdiger Herper, Diplompsychologe, "Übungen, gekoppelt mit psychologischem Training". Die Patienten lernen dabei, mit den Migräne-auslösenden beziehungsweise -steuernden Stressoren besser umzugehen". Die Fixpunkte für ein Migräne-gegensteuerndes Verhalten bekommt der Patient durch das Biofeedbackverfahren.

Schneller Datenrückfluß

Biofeedbackprozesse verlangen einen schnellen Rechner, der sowohl die gewandelten Messungen von verschiedenen Körperteilen umsetzt, als auch die Zwischenergebnisse online ohne jeden Zeitverlust zur Verfügung stellt. Im Institut wurde für diese Arbeiten eine Eclipse/S 130 von Data General mit 48 K-Worten Speicherkapazität installiert. Angeschlossen sind 10 MB-Plattenspeicher, ein Drucker, ein Bildschirm sowie eine Ein-/Ausgabestation mit je 16 Kanälen. Die Anlage ist in Fortran und Algol programmiert; die Wandlerprogramme sind in Assembler geschrieben.

Für Programmentwicklungen und Übungsarbeiten wird an den Mini im Bedarfsfalle eine Floppy-Disk-Station angeschlossen.

Der Patient wird in einem abgeschlossenen Raum liegend vom Computer untersucht. Dafür werden ihm mehrere Sensoren angeschlossen, unter anderem Muskelspannungsmesser in analoger Form, EKG, Temperaturfühler an linker und rechter Schläfenseite, an linker und rechter Fingerkuppe, an der Zunge zur Messung der Kerntemperatur. Darüber hinaus wird zum Beispiel die Atemfrequenz ebenfalls online gemessen sowie die Hautleitfähigkeit und andere Kriterien.

Danach werden dem Patienten bestimmte Stressoren über Dias vermittelt. Nach einer zehnminütigen Erholungspause folgt eine geistige Belastung: Der Patient muß hintereinander die Zahl 7 von der Summe 1500 abziehen. Der Versuchsleiter fragt in unregelmäßigen Abständen nach dem Ergebnis. Wurde falsch gerechnet, muß von vorn begonnen werden. Dieser Test dauert etwa zehn Minuten.

Die aufgezeichneten Werte, häufig massiver Temperaturabfall an den Händen sowie kaum Veränderungen beim Oberflächen-EMG (Elektromyographie) werten die Hamburger als ein Indiz für die vasomotorischen Reaktionsspezies bei Migränikern. Die Biofeedbackprozedur zielt demnach auf eine angelernte willkürliche Erhöhung der Finger- und Handtemperatur zur Linderung der Migräne.

Allerdings besteht das Therapiepaket nicht nur aus dem Biofeedback. Weitere Teile sind autogenes Training, abgestuftes Biofeedback einschließlich autogener Übungsformeln sowie konventionelle pharmakologische Behandlung.

Vasomotoren sind die Gefäßnerven, welche die Zusammenziehung der das Blutgefäß umgebenden Ringmuskulatur (Konstriktoren) bewirken. Allerdings besitzt der Mensch (noch) keinen Zugriff auf diese Mechanismen. Könnte der Mensch seine Gefäße beherrschen, so würde er Migräneanfälle unschwer "aussteuern" können. Dieses Unvermögen und individuelle vasomotorische Mängel sind aber die Auslöser von Migräne. Die Psychotherapeuthen im Hamburger Institut vermitteln jedoch dem Patienten, zumindest in ersten hoffnungsvollen Ansätzen, eben diese Aussteuerungsfähigkeiten.

Der Computer ist dabei ein wirkungsvolles Hilfsmittel. Die Kerntemperatur wird beim Patienten jede Sekunde gemessen. Aus jeweils 10 Werten wird ein Mittelwert gebildet und im Rechner abgespeichert.

Die Durchblutungsmaße werden ebenfalls jede Sekunde abgetastet und zwischengespeichert. Das Roh-EMG wird hardwareseitig integriert, das Gleichspannungssignal sekundenweise abgestellt. Das EKG ist ebenfalls integriert. Es gibt die Schläge pro Minute wider.

Auf Grund der bisher durchgeführten Patientenuntersuchungen konnte das Institut große Erfahrungen auf dem Gebiet der hier beschriebenen Signalverarbeitung sammeln.

Neben der Zwischenspeicherung übernimmt die Eclipse/S 130 die Datenkomprimierung und Bereitstellung aller physischen Parameter. Der Rechner entscheidet beim Biofeedback unter anderem darüber, welche Parameter gefahren werden. Die ermittelten Werte werden online komprimiert und können sofort an den Patienten zurückgemeldet werden. Auf diese Weise erhält er über sein Verhalten bestimmte Fixpunkte und kann - bei laufenden Rückmeldungen - sein Verhalten zur Abwehr beziehungsweise Linderung eines Migräneanfalls optimieren.

Die Auswertungen zeigen, daß fast 80 Prozent der im Hamburger Psychologischen Institut behandelten Patienten eine Besserung ihres Leidens erfahren haben. Dauer und Frequenz der Anfälle haben sich bei vielen verringert. Fast alle haben durch die psychotherapeuthische Behandlung und das computerunterstützte Biofeedback ihre Medikamente nahezu abgesetzt.

Im ersten Quartal dieses Jahres hat das Institut neben der Stichprobenerhebung und der neurologischen Gruppenzuteilung auch persönlichkeits- und aktivierungsdiagnostische Untersuchungen von Migränepatienten vorgenommen. Im zweiten Quartal sind Therapiephasen vorgesehen. Bis zum Jahresende 1981 sollen weitere computerunterstützte persönlichkeits- und aktivierungsdiagnostische Untersuchungen folgen. Schon heute hat sich gezeigt, daß die autogene Trainingsbehandlung und das Biofeedbacktraining zu einer deutlichen Minderung von Attackenfrequenz, Anfallsdauer und Kopfschmerzintensität geführt haben.

* Klaus Rosenthal ist freier EDV-Fachjournalist.