Big Blue will Mikrokanal-Karten voll auf den Tisch legen - OS2-Applikationen noch dünn gesät:

PS/2-Erfolg hängt an einem seidenen Faden

06.01.1989

MENLO PARK (IDG) - im Jahr 1989 schlägt der PS/2-Strategie die Stunde der Wahrheit. Ob PS/2 der Flop des Jahres wird oder nicht, darüber wird im wesentlichen die Akzeptanz der Interessenten gegenüber EISA-Rechnern sowie OS/2- und Presentation-Manager-Applikationen entscheiden, meint die CW-Schwesterpublikation COMPUTERWORLD.

Big Blue steht dabei unter einem gewaltigen Zeitdruck. Die für das dritte Quartal 1989 angekündigten EISA-Maschinen lehren den verantwortlichen PS/2-Strategen das Fürchten. Sie sehen sich mit dem Problem konfrontiert, der gesamten Industrie innerhalb von neun Monaten den zu EISA kontroversen Mikrokanal (MCA) schmackhaft zu machen.

Aber nicht nur der Wettlauf gegen EISA wird über das Schicksal von PS/2 entscheiden. Von noch größerer Bedeutung wird die Bereitschaft der Unternehmen sein, schon in diesem Jahr den Schritt von MS-DOS zu OS/2 zu wagen. Zwar gibt es unterdessen am Markt Applikationen für OS/2 und den Presentation Manager, insgesamt ist deren Zahl aber noch dünn gesät. Ob die Quantität und Qualität dieser Anwendungen die Entscheider in den Unternehmen schon zum Umstieg von DOS auf OS/2 bewegen wird, ist eines der vielen Fragezeichen, die hinter PS/2 stehen.

Daß viele Anwender erst 1990 oder später auf OS/2 umsatteln werden, davon scheinen unterdessen selbst die Vorstandsetagen von Big Blue auszugehen. So räumte Bob Carberry, Vize-Präsident System Engineering, in einem Interview ein, daß die hochgesteckten Erwartungen gegenüber der Akzeptanz von OS/2 verfrüht gewesen seien.

Allerdings deuten Angaben der Sierra Group zufolge Anzeichen darauf hin, daß die Front der Verfechter der Bus-Architektur abbröckelt und der Mikrokanal an Boden gewinnt. Dazu Marty Gruhn, Vize-Präsident der Sierra Group: "Wir glauben, daß IBM im Gegensatz zu 1988 wieder Aufwind bekommt, als dem Konzern viele Kunden durch die Lappen gingen."

Wolle IBM nicht noch den letzten Kredit bei seinen Kunden verspielen, sei dem Unternehmen nur zu raten, in diesem Jahr eine seriöse Politik der Produktankündigung zu betreiben. In dem Maße, wie Big Blue seine Kunden im vergangenen Jahr an der Nase herumführte, werden selbst eingefleischte IBM-Jünger nicht unbegrenzt mit sich umspringen lassen.

Leider gibt sich Chet Heath, Chef-Entwickler des MCA bei IBM, bedeckt, was es mit den sogenannten "Reserved Lines" im Mikrokanal auf sich hat. Er lüftete auf der Comdex im Herbst nur einen Teil des Geheimnisses, indem er für 1989 Informationen über die bislang undefinierten Kapazitäten des Mikrokanals ankündigte und die Kompatibilität der Neuerungen versicherte.

Auch ansonsten bewegen sich die für 1989 von Big Blue erwarteten Produkte noch im Nebulösen. Für die erste Hälfte des Jahres wird mit dem Release des Rechners 386SX gerechnet. Verantwortliche der IBM haben erklärt, daß ein Rechner, der um die 16-Bit-Version des Intel-386-Chips gebaut werde, die Marktlücke zwischen High-End-286-Rechnern und Low-End-386-Maschinen schließen könnte.

Außerdem erwartet William Lowe, ehemals Chef der Entry Systems Division der IBM, für Ende 1989 eine 386-Version des PS/2 Modell 30. Dieser Rechner hätte wie der 386SX einen "Family II-Bus" und wäre mit dem AT-Bus kompatibel. Nach Meinung von Experten und Anwendern könnte der Low-End-386-Rechner IBM helfen, seine schrumpfenden Marktanteile aufzufangen.