CW: 30 Prozent aller Angestellten und viele Freiberufler arbeiten in virtuellen Teams. Was unterscheidet diese von Präsenzteams?
APP: Jedes Team durchläuft unterschiedliche Phasen des Zusammenwachsens. In virtuellen Teams muss man einiges mehr beachten. Der erste Schritt muss sein, einen gemeinsamen technischen Nenner zu finden. Hat man auch Externe an Bord, muss man deren Zugriffsrechte auf die Collaboration-Plattform definieren. Zudem sollten alle mit den Tools, gerade auch mit Social-Media-Werkzeugen, vertraut sein. Oft sind virtuelle Teams über den Globus verteilt, so dass die Zusammenarbeit auch interkulturell herausfordernd ist.
CW: Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten interkulturellen Herausforderungen in virtuellen Teams?
APP: Wer als Projektleiter Mitarbeiter in Europa, den USA und Asien in einer Telefonkonferenz zusammenbringen muss, hat schon rein zeitlich einen Spagat zu bewältigen. Bei der Terminplanung sollte er den Arbeitsrhythmus in anderen Ländern, etwa die späteren Mittagspausen in Spanien, aber auch die unterschiedlichen Feiertage berücksichtigen. Manchmal stehen nur die Bedürfnisse der Zentrale im Vordergrund, was Mitarbeiter in anderen Ländern demotivieren kann, wenn etwa Telefonkonferenzen nur frühmorgens stattfinden. Die Kommunikation ist überhaupt ein großes Thema. Englisch ist zwar internationale Projektsprache, aber doch nicht Muttersprache vieler Teammitglieder. Zu Missverständnissen können auch unterschiedliche Kommunikationsstile führen. Deutsche kommunizieren direkt und schreiben gern viele Mails, während Südeuropäer lieber telefonieren und Asiaten eher indirekt kommunizieren. Oft weiß man bei der Antwort nicht, was genau gemeint ist. War es eine Frage, eine Aussage oder ein Witz? Da in virtuellen Teams auch viel über Mail, Chat oder Telefon kommuniziert wird, fehlen hier Gestik und Mimik des Gegenübers, um die Antworten besser einordnen zu können.
CW: Wie können Leiter von global verteilten virtuellen Teams die Kommunikation verbessern?
APP: Bei der Auswahl der Teammitglieder sollte der Projektleiter deren Englischkenntnisse prüfen. Reicht das Englisch eines Experten nicht aus, dessen Fachwissen für das Projekt aber wichtig ist, lohnt es sich, in einen Crash-Kurs zu investieren. Hat der Projektleiter mehrere Fachexperten zur Auswahl, sollte er immer denjenigen mit dem besseren Englisch nehmen. Muttersprachler sollte der Projektleiter daran erinnern, langsamer und deutlicher zu sprechen. Ganz wichtig ist es für Projektleiter, sich mit jedem Teammitglied regelmäßig in einem Zweiergespräch, sei es in der Videokonferenz oder am Telefon, zu unterhalten. Die meisten Leute sprechen kritische Dinge nicht in der großen Runde an. Beziehungspflege läuft in Präsenzteams automatisch mit, in virtuellen Teams muss dafür Raum geschaffen werden. Hat der Projektleiter auch die Linienverantwortung, sollte er die Beurteilungsgespräche in einem persönlichen Treffen führen.
CW: Persönliche Treffen sind in virtuellen Teams also trotz der vielfältigen technischen Möglichkeiten der Zusammenarbeit unabdingbar?
APP: Zumindest zum Kickoff sollte sich ein virtuelles Team persönlich zusammenfinden. Das lässt sich auch gut mit Teambuilding-Maßnahmen oder interkulturellen Coachings verbinden. Ich empfehle auch ein Treffen zum Schluss, um Bilanz zu ziehen. Die Erfahrung zeigt: Je heterogener ein Team hinsichtlich Standorten, Kulturen, technischen Rahmenbedingungen oder auch Alter ist, desto schwieriger wird es für den Projektleiter, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das Kennenlernen virtueller Teams dauert länger und ist noch schwieriger, wenn sich die Mitglieder nie sehen. Vertrauen ohne ein einziges persönliches Treffen aufzubauen ist wirklich schwierig.
CW: Wie können Social-Media-Tools virtuellen Teams helfen?
APP: Informelle und schnelle Kommunikationsmittel wie Chats und Microblogging erleichtern das Kennenlernen. In vielen Collaboration-Plattformen gibt es Fun-Ecken, in denen Teammitglieder Videos einstellen oder Projektgalerien mit ihren persönlichen Interessen anlegen können. Viele Teams nutzen auch Wikis zur Dokumentation. Da mehrere Leute an einem Dokument arbeiten können, sind sie ständig im Dialog. Das hilft sehr.
CW: Sie weisen der Projektdokumentation eine zentrale Rolle zu. Warum?
APP: Es ist an sich schon schwierig, jemanden nachträglich in ein virtuelles Team zu integrieren. Ohne gute Dokumentation ist das neue Teammitglied aber verloren, noch dazu, wenn es allein an einem Standort sitzt. Es empfiehlt sich, in einem Projekt-Blog auch Ideen zu sammeln, die nicht unmittelbar für das aktuelle Projekt von Belang sind. Auf alle Fälle sollte man am Ende die Best Practices und Lessons Learned zusammenstellen und sichtbar machen.
Sonja App
Als Sonja App noch in der Pharmaindustrie und in internationalen Unternehmensberatungen arbeitete, war sie selbst oft Teil von virtuellen, nicht selten über mehrere Länder verteilten Teams. Über Meetings vor dem Frühstück war die Betriebswirtin nicht erfreut, auch sonst bekam sie schnell mit, wie leicht etwas in der interkulturellen Kommunikation schief laufen kann.
Seit sechs Jahren ist App als selbständige Beraterin mit den Schwerpunkten Innovation-Management, Relationship-Management, internationales Marketing und Diversity-Management unterwegs. Als zertifizierter interkultureller Coach und Trainerin hat sie sich auf Spanien, Lateinamerika und Deutschland spezialisiert und zeigt in Seminaren, wie sich interkulturelle virtuelle Teams erfolgreich führen lassen, etwa am 10. und 11. Juni in München. Zudem berät sie Unternehmen bei der Einführung und dem internationalen Rollout von Enterprise 2.0.
- Virtuelle Teams: Beziehungspflege
Von Projekt Beginn an sollten intensive "Kennenlern-Komponenten" eingeplant werden. Teammitglieder müssen die Möglichkeit erhalten, emotionale Verbindungen zu den Kollegen herzustellen. Es ist wichtig, dass Mitglieder für das geschätzt werden, was sie sind und nicht für das, was sie tun. Idealerweise geschieht das über ein Face-to-face Kick-off-Meeting. Falls das nicht möglich ist, wäre eine virtuelle Vorstellungsrunde etwa in Wikis oder per Videokonferenz angebracht. Dabei könnten Mitglieder beispielsweise ihre Interessen, Ziele und Visionen sowie persönliche Bilder untereinander austauschen. - Interkulturelle und virtuelle Teams führen
Fünf Tipps von der Expertin Carolin Schäfer, damit internationale Projektarbeit in virtuellen Teams zum Erfolg wird. - Virtuelle Teams: Klare Ziele
Es zahlt sich aus, zu Anfang genügend Zeit in die Klarstellung des Teamzwecks, der Rollenverteilung im Team und den Verantwortlichkeiten zu investieren. Aufgrund der Distanz bestehen schon ausreichend Unsicherheiten, die nicht noch zusätzlich mit Verwirrung und Ungewissheit angereichert werden sollten. Klare Ziele und Aufgaben, einschließlich der Festlegung von wem, bis wann und in welcher Art diese zu erfüllen sind, schaffen Fokus und Klarheit für alle Teammitglieder. - Virtuelle Teams: Berechenbarkeit
Unmodern, aber nicht wegzudenken: Ein klarer Ablauf und Berechenbarkeit der Teammitglieder sind kritische Erfolgsfaktoren für virtuelle Teams. Ungewissheit erzeugt Zweifel, Angst und Rückzug. Das Resultat ist ein demotiviertes und unproduktives Team. Der Nutzen von einheitlichen Team Tools, Vorlagen, definierte Prozesse oder festgelegte Kommunikationszeiten tragen zu einem klaren Ablauf und somit zu Berechenbarkeit bei. Teamleiter sollten leicht erreichbar sein sowie den Dreh- und Angelpunkt im Team darstellen. - Virtuelle Teams: Ablaufvereinbarungen
Operationale Ablaufvereinbarungen legen Methodik und Prozesse der Teamarbeit fest und sollten zu Beginn des Projektes gemeinsam definiert werden. Ablaufvereinbarungen bedarf es in der Regel für Planungsprozesse, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Koordination. Während virtueller Team-Meetings sollte der Teamleiter sich immer wieder Zeit nehmen zu prüfen, ob und wie gut die Ablaufvereinbarungen gelebt werden. - Virtuelle Teams: Aufmerksamkeit
Was bei Face-to-face-Teams selbstverständlich ist und in Kaffeeecken oder auf dem Flur vor dem Meeting informell passiert, sollten Manager von virtuellen Teams explizit einplanen, nämlich dass sie einzelne Teammitglieder auch außerhalb des offiziellen Meetings treffen. Jedes Mitglied sollte die Möglichkeit bekommen, mit dem Leiter persönliche Erfolge, Herausforderungen, Bedürfnisse und Wünsche zu besprechen. Die Distanz und die Technologien wecken leicht den Eindruck, dass Teammitglieder abstrakt und "ohne Gesicht" sind. Persönliche Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, kostet wenig und bietet einen enormen Vorteil für jeden einzelnen im Team und letztlich für die gesamte Teamleistung.