Programmierer im Wandel: Vom Codier-King zum DV-Entertainer

24.08.1984

Stark gewandelt hat sich in den letzten Jahren das Bild des Programmierers: War er vor einiger Zeit noch der große Codier-King, so muß er sich inzwischen - wie Lutz Homscheid von der Gebr. Storck GmbH sagt - als DV-Entertainer bewähren. Ohne Fachkenntnisse auf dem Gebiet, für das der DV-Spezialist tätig werden soll, kann er heute also kaum noch einen Blumentopf gewinnen. Betroffen von dieser Entwicklung sind in erster Linie DV-Anfänger ohne praktische Erfahrung in einem "herkömmlichen" Beruf. So gibt Herbert Wank, Gebr. Steinhart Wachswarenfabrik in Krumbach, zu bedenken, daß in der Regel neben dem programmtechnischem Know-how vor allem anwendungsbezogenes Fachwissen des Programmierers entscheidende Grundlage für eine durchdachte Softwarelösung ist. Einen Trost für die Greenhorns gibt es allerdings: Viele Großunternehmen bieten Ihnen die Chance einer innerbetrieblichen Ausbildung. kul

Herbert Wank

DV-Leiter, Gebr. Steinhart Wachswarenfabrik, Krumbach

Die Notwendigkeit - gerade im kommerziellen Bereich -, Informationen schnell und korrekt zur Hand zu haben, macht moderne Programmiermethoden unabdingbar. Ausgereifte Programmiertechniken bringen jedoch nur volle Effizienz, wenn das DV-Personal nicht nur entsprechend geschult ist, sondern auch Fachkenntnisse auf dem Gebiet aufweisen kann, für das es Programme schreibt. Dies erfordert natürlich auch ein hohes Maß an Kommunikations- und Integrationsfähigkeit sowie Kooperationsbereitschaft mit den einzelnen Fachabteilungen, um eine optimale Softwarelösung zu gewährleisten.

Hier zahlt es sich aus, wenn das DV-Personal aus den eigenen Reihen kommt. Ein Programmierer, der branchen- und fachspezifisches Wissen besitzt, hat meiner Meinung nach bedeutende Vorteile gegenüber Fach-Know-how. Er kann sich mit auftretenden Problemen einzelner Fachabteilungen entscheidend besser identifizieren und diese durch gezielte Fragen demzufolge schneller lösen. Das ist ein wichtiger Zeit- und Kostenfaktor für jedes Unternehmen. Die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Anwender zum Programmierer wird bei entsprechenden Fachkenntnissen bestimmt wesentlich größer sein. Es bildet sich eine entscheidend bessere Vertrauensbasis. Die Hemmschwelle zwischen Benutzer und "geheimnisvoller" DV-Abteilung wird dadurch, so meine ich, deutlich abgebaut.

Anfangsprogrammierern mit abgeschlossenem Hochschulstudium, beispielsweise Informatiker, die ja in der Regel nicht über die Anwender-Fachkenntnisse verfügen, fällt der Einstieg in die Praxis entsprechend schwerer. Der bestimmt sehr hohe Wissensstand der Newcomer mit Hochschulabschluß wiegt bei Neueinstellungen gegenüber dem branchenspezifischen Fachwissen, das andere Programmierer größtenteils mitbringen, oft nicht auf.

Bei komplexen Projektplanungen dürfte es nur in den seltensten Fällen von Vorteil sein, das gesamte Anwendungspaket selbst zu "stricken", sei es mit oder ohne Fachwissen. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß die Anwender der mittleren Datentechnik zunehmend den Weg einer gemischten Lösung einschlagen. Standardsoftware wird nur noch für bestimmte Bereiche in Form von Basismodulen mit entsprechenden Schnittstellen gekauft. Die eigene Anwendung wird nach den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der Fachabteilung modifiziert. Spezielle Fachkenntnisse können so auf ein Minimum reduziert werden. In der Regel wird es jedoch sein, daß neben dem programmtechnischen Wissen vor allem das anwenderbezogene Fachwissen des Programmierers die entscheidende Lösung für eine durchdachte Softwarelösung ist.

Hans-Dieter Busch

Hauptabteilungsleiter Org./DV, Ferdinand Pieroth Weingut und Weinkellerei GmbH, Burglayen bei Bingen

Sicherlich gibt es auf die Frage, ob Programmierer Fachkenntnisse im Anwenderbereich haben müssen, keine allgemeingültige Antwort. Dies dürfte abhängig sein von Faktoren wie Unternehmensgröße, Mitarbeiter im Bereich Entwicklung, Anzahl der betreuten Anwendungsbereiche und Programme, Art der Programme (Batch oder Dialog) sowie DV-Ausbildungsstand des Fachbereiches. Wir im Hause Pieroth halten jedenfalls Fachkenntnisse aus dem betreuten Anwendungsbereich für zwingend erforderlich.

Mitte 1981 haben wir ein mittelfristiges Organisations- und DV-Rahmenkonzept verabschiedet, das auch die wesentliche Grundlage für unsere Personalpolitik darstellt.

Die derzeit 17 Mitarbeiter zählende Abteilung Programmierung und Systemanalyse wurde nach Anwendungsbereichen gegliedert. Jeder Anwendungsbereich, beispielsweise Werbung, Vertrieb, Rechnungswesen, wird auf Teambasis von zwei bis drei Mitarbeitern betreut. Jeder spezialisiert sich also auf einen bestimmten Fachbereich, übernimmt ansonsten aber alle Arbeiten, von der Organisation bis zur Programmierung beziehungsweise Realisation. Abhängig von Erfahrung und Ausbildungsstand wird es allerdings so sein, daß ein Mitarbeiter beispielsweise zu 70 Prozent seiner Kapazität organisiert und zu 30 Prozent realisiert, während es normalerweise bei einem Newcomer gerade umgekehrt ist.

Für uns liegen die Vorteile einer solchen Struktur auf der Hand:

Es gibt weniger Kommunikationsverluste zwischen Fachbereich, Organisation und Programmierern. Der Fachbereich hat eindeutige Ansprechpartner, die seine Probleme im Detail kennen. Nicht unwesentlich ist, daß eine automatische Aufteilung der Programmierkapazitäten erfolgt (früher verfügten alle Anwender über alle Programmierer). Organisatoren und Systemanalytiker verlieren nicht den Bezug zu System beziehungsweise Programmen. Programmierer sind motiviert, da sie das organisatorische Umfeld kennen. Bei Urlaub oder Krankheit ist Vertretung innerhalb der Teams möglich. Im Laufe der Zeit wird das Qualitätsniveau angehoben, da jeder Mitarbeiter mit allen Phasen und Problemen eines Fachbereiches konfrontiert wird.

Da es nicht einfach ist, derartige Mitarbeiter am Markt zu finden, bilden wir einen Teil unserer Leute selbst aus. Sie durchlaufen dabei neben der allgemeinen DV-Ausbildung auch eine betriebswirtschaftliche Schulung auf dem für sie vorgesehenen Fachgebiet. Diese Lösung hat sich bei uns für alle Beteiligten besonders gut bewährt.

Lutz Homscheid

DV-Leiter, Gebr. Storck GmbH, Oberhausen

Ob ein Programmierer Fachkenntnisse in dem Bereich haben muß, für den er tätig sein soll, hängt von der Unternehmensgröße ab. In mittelgroßen, großen- und Größtbetrieben braucht ein Programmierer nicht unbedingt Fachkenntnisse zu besitzen, da alle Vorarbeiten bereits von der Organisations-Abteilung erledigt wurden. (Ist-Analyse/Soll-Konzept).

Das heißt, daß der Anwendungsprogrammierer nur noch nach Vorgabe kodiert, mehr nicht. In Klein- und mittleren Unternehmen (100 bis 1500 Mitarbeiter) sieht das ganz anders aus. Hier muß der Programmierer ein DV-Entertainer sein, der möglichst das ganze Programmierspektrum abdeckt. In diesen Unternehmen ist die DV-Mannschaft meist so klein, daß Fachkenntnisse unabdingbar sind. Wer soll denn sonst beispielsweise bei einem Ersteinsatz oder gar Wechsel des Herstellers die diversen Standard-Programme beurteilen - von eigener Programmierung ganz zu schweigen. Genau hier fangen die Schwierigkeiten für DV-Neulinge, auch Akademiker ohne Praxis, an.

Bei Ersteinstieg in die DV wird in kleineren Unternehmen meist ein Angestellter ausgeguckt und auf Lehrgänge geschickt (wenn überhaupt), danach ist für die Geschäftsleitung alles klar. Der Mann oder die Frau ist fertig ausgebildet. Was für ein Schwachsinn. Diesen armen Menschen wurde, wenn sie überhaupt etwas verstanden haben, Gewalt angetan. Schuld sind einzig und allein die Geschäftsführer und die Hersteller. Die ersteren wegen totaler Unkenntnis, die anderen wollen verkaufen, und da ist auch heute noch jedes Mittel recht. Ich glaube dies beurteilen zu können, da ich seit zehn Jahren im Geschäft bin.

Was lernen die Neulinge denn in einem Lehrgang? Basiswissen und sonst gar nichts. Nur die Praxis kann es bringen, aber dafür ist keine Zeit mehr. Und unsere examinierten Studienabgänger ohne praktische Erfahrung - haben die es besser? Doch nur in größeren Firmen, in denen Zeit zur Einarbeitung vorhanden ist.

Was wissen diese Leute denn von gewachsenen, innerbetrieblichen Organisationen, von Abteilungsleitern, die schon jahrzehntelang ihre Machtbereiche gegen alles und jedermann zäh verteidigt haben.

Mit diesen Menschen, die nichts, aber auch gar nichts interessiert, außer, wie sie bei der Geschäftsleitung angesehen sind, muß sich dann ein mit viel Wissen vollgestopfter Leiter der Organisation und EDV herumschlagen, der keine Fachkenntnisse beziehungsweise eine andere Vorstellung vom Ablauf des Betriebes hat. Die Abteilungsleiter werden gierig über diesen DV-Leiter herfallen, ihn bei der Geschäftsführung anschwärzen und ihre eigene Profilneurose befriedigen. Nein, in Klein- und Mittelbetrieben ist für Neulinge ohne Branchenkenntnisse nicht viel zu holen. Da sind größere Betriebe zur Praxis-Gewinnung viel besser. Fazit: In größeren Unternehmen braucht ein Programmierer nicht unbedingt Fachkenntnisse über verschiedene Aufgabengebiete. In Klein- und mittleren Betrieben hingegen ist das unabdingbare Voraussetzung. Ansonsten ist noch zu vermerken, daß der reine Anwendungsprogrammierer innerhalb der nächsten zehn Jahre ganz vom Markt verschwindet. Schuld daran ist der "PC" (von Insidern auch zärtlich "Baby-Post" genannt). Noch ist Zeit für diese Programmierer, eine höhere Qualifikation zu erlangen, da die meisten Sachbearbeiter noch vom "PC" überfordert sind.