Zweifel an der Unterstützung von Herstellerseite

Produktpläne sollen Vertauen in die Zukunft der OSF stiften

10.07.1992

BRÜSSEL (gfh) - Von den widersprüchlichen Aussagen der eigenen Sponsoren in Verlegenheit gebracht, war die OSF jetzt gezwungen, Zeitpläne für die weitere Entwicklung der diversen OSF-Technologien bis 1995 offenzulegen. Die ursprünglich nur für Mitglieder gedachten Informationen sollen das angeschlagene Image der Organisation wiederherstellen.

Den in der sogenannten Open Road festgelegten Entwicklungsplänen kommt eine besondere Bedeutung zu, weil die damit verbundenen Kosten von den Sponsoren abgesegnet wurden. Hewlett-Packard, Digital Equipment, IBM, Siemens-Nixdorf, Bull und Hitachi finanzieren die Organisation zu 60 Prozent. Der Rest stammt aus Beiträgen einfacher Mitglieder und von Lizenzerträgen vor allem aus der Vermarktung der grafischen Oberflächen-Umgebung Motif.

Trotzdem ist die Lage der OSF angespannt, denn die Finanzierung ist nicht auf Dauer gesichert. "In zwei Jahren wollen wir für unsere Kosten selbst aufkommen. Bis dahin müssen wir mit einem stagnierenden Budget von etwa 50 Millionen Dollar auskommen", beschreibt OSF-Chef Alain Fastré die Situation. Vor allem der Anteil der Lizenzeinnahmen soll daher erhöht werden. Besonders große Hoffnungen setzt Fastré dabei auf die Techniken für das Management verteilter DV-Umgebungen DCE und DME.

Wenn es gelingt, die OSF in dem vorgesehenen Zeitraum von den Sponsoren finanziell unabhängig zu machen, dann stehen der Organisation tiefgreifende Grundsatzentscheidungen ins Haus.

Laut Fastré diskutieren die Board-Member derzeit, ob es dann nicht sinnvoller wäre, den Status als Non-profit-Company aufzugeben Dem steht allerdings entgegen, daß die OSF als Technologie-Unternehmen keine fertigen Produkte herstellt. Sie ist daher auf die Unterstützung der Hard- und Software-Hersteller bei der Konzeption Entwicklung, Implementierung und Vermarktung der OSF-Techniken angewiesen.

Momentan geht es der Organisation jedoch vor allem dar um, der - von Hersteller-Statements mitverursachten - Ungewißheit über die eigene Zukunft ein Ende zu bereiten. Mit der jetzt erfolgten Freigabe von OSF/1, Version 11, belegt die OSF, daß die Betriebssystem Entwicklung - wie von einigen Kritikern vermutet - keineswegs eingestellt wurde. Im nächsten Jahr soll die Version 1.2. folgen. Das wird dann allerdings das letzte OSF-Betriebssystem mit dem Mach-2.5-Kernel sein. Ab 1995 soll nur noch die auf Mach 3.0 beruhende Microkernel-Version von OSF/1 aus geliefert werden. Die nötigen Migrationspfade zwischen den beiden Betriebssystemvarianten sind in der Open Road festgelegt.

Ein OSF-Unix für Desktop-Rechner

Die jetzt herausgekommene Version zeichnet sich vor allem durch die Kompatibilität zur System V Interface-Definition (SVID) und durch die Eigenschaft der dynamischen Konfiguration aus. Die Schnittstellen Konformität ermöglicht es, den Sourcecode von Anwendungen, die für das Unix System V.4 geschrieben wurden, nach dem Kompilieren unter OSF/1.1 laufen zu lassen.

Die dynamische Konfiguration bewirkt, daß sich das Betriebssystem mit einem Hauptspeicher von 4 MB begnügt. Dabei werden speicherintensive Funktionen wie das Network File System, TCP/IP oder das Dateisystem von System V nur bei Bedarf geladen. Dieses Verfahren ermöglicht es, das OSF Betriebssystem auch auf 386er PCs einzusetzen, für die das Konsortium daher auch eine Referenzimplementierung mitliefert.

Nach Auskunft von Joe Maloney, Technology Manager -der OSF, hat sich bereits ein Mitgliedsunternehmen entschlossen mit dieser OSF/1- Variante in den derzeit heftig umworbenen Markt für Desktop-Betriebssysteme zu gehen. Ansonsten hält sich das Interesse für das Unix-Betriebssystem allerdings in Grenzen Selbst an der bisherigen Treue von Digital Equipment muß inzwischen gezweifelt werden. Nachdem der Hardwarehersteller OSF/1 ursprünglich als Betriebssystem für seine Alpha-Systeme vorgesehen hatte, sich dann dagegen entschied und es jetzt doch einsetzen will warten einige Branchenbeobachter auf den nächsten Gesinnungswandel .

Deshalb rät Fastré den Neukunden, mit der für Oktober dieses Jahres angekündigten Microkernel-Version von OSF/1 anzufangen. Aber auch hier gibt es offensichtlich unter den Sponsoren bereits Abtrünnige. So erwähnt Siemens-Nixdorf in einer Presseinformation über ein europaweites Projekt zur Entwicklung eines Microkernel-Betriebssysstems das OSF-Produkt mit keinem Wort. Im Gegenteil: Das Unternehmen bezeichnet das konkurrierende Chorus Mix Betriebssystem von Chorus Systems als De-facto-Standard Andererseits hat sich die Supercomputer Division des Prozessor Herstellers Intel nach OSF-Angaben bei der Entwicklung von massiv-parallelen Systemen für den Mach-3.0-basierten OSF-Microkernel entschieden.

Doch die OSF versteht sich eigenen Angaben zufolge längst nicht mehr als Betriebssystem-Firma. Sie setzt vor allem auf den Erfolg ihrer verteilten Systemarchitekturen Distributed Computing Environment (DCE) und Distributed Management Environment (DME). Eben wurden die ersten als Snapshots bezeichneten Sourcecodes von DME an die Mitglieder ausgeliefert DCE liegt dort bereits in Betriebssystem-Implementierungen für IBMs AIX, OSF/1 und Unix V.4 vor.

Ihre DME-Technik will die OSF in zwei Stufen ausliefern: Nach insgesamt vier Snapshots in diesem Jahr soll in der ersten Hälfte 1993 das Distributed Services Release freigegeben werden. Neben der Integration von DCE sind dort als erste Services netzweites Lizenz-Management und Installations- und Distributions-Management für Anwendungen vorgesehen. Um die Jahreswende 1993/94 soll dann eine umfangreichere zweite Version mit allen wesentlichen Netzwerk-Möglichkeiten fertiggestellt sein. In dieser Version beginnt mit der Implementation des Object Request Brokers der Einbau von objektorientierten Features. Der Broker ermöglicht die transparente Kommunikation unterschiedlicher Datenformate zwischen heterogenen Hardwareplattformen und über unterschiedliche Netz-Topologien .

Der Trend zur Objektorientierung gilt auch für das DME-Subkonzept DCE, das als erweiterter Remote Procedure Call vor allem den netzweiten Aufruf von Prozeduren steuert Das nächste DCE-Release 1.1 soll in der zweiten Jahreshälfte 1993 freigegeben werden, wenn die Integration in die DME-Umgebung abgeschlossen ist. Dann Ist auch die Unterstützung von Online-Transaktionsverarbeitung (OLTP) vorgesehen.