Content-Management im Alltag

Produktlebenszyklen verwalten

14.09.2001
Abseits aller Web-Content-Hysterie müssen Unternehmen auch täglich Informationen aus den internen Entwicklungs- und Produktionsprozessen verwalten. von Rainer Klopfstock*

Produkt-Daten-Management-(PDM-) Systeme bilden den Grundstein für ein erfolgreiches, unternehmensweites Life-Cycle-Management. Sie verwalten, strukturieren, steuern und verteilen die zu einem Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg erzeugten Daten. Sprach man im Zusammenhang mit PDM ursprünglich von einer unternehmensweiten Bereitstellung der Daten, so geht die Aufgabenstellung zu Zeiten des E-Business und Collaborative Engineering über Unternehmensgrenzen hinaus: Die modernen PDM-Systemen müssen den "Engineering Content" entweder über eigene Web-fähige Benutzeroberflächen bereitstellen oder entsprechende Standards zum Austausch mit E-Business-Applikationen unterstützen.

Geschäftsabläufe steuern

Den Trends des E-Business zum Trotz bildet die herkömmliche PDM-Funktionalität nach wie vor die Basis für die Speicherung, Verwaltung und Bereitstellung aller produkt- oder anlagenbeschreibender Daten und Dokumente. Zusätzlich werden wesentliche Geschäftsprozesse entlang des gesamten Produktlebenszyklus mit entsprechender Funktionalität unterstützt oder direkt gesteuert (Abbildung 1).

Workgroup-PDM-Systeme verwalten die in einer homogenen CAD-Landschaft erzeugten Daten und Dokumente und unterstützen damit den Konstruktionsprozess innerhalb eines Entwicklungsteams. Enterprise-PDM-Systeme dagegen organisieren Daten und Dokumente unabhängig davon, mit welchem Produkt sie generiert werden, und erlauben einen strukturierten, unternehmensweiten Zugriff auf die Informationen. Sie stellen damit funktional die umfassendste Stufe der verfügbaren PDM-Lösungen dar.

Zentrales Element von PDM-Systemen ist eine Datenbank, in der sich Metadaten speichern lassen. Zur Bearbeitung und Verwaltung dieser Daten existieren unterschiedliche Funktionsblöcke. Die Produktdaten- und Dokumenten-Management-Funktionen umfassen beispielhaft die technische Teilestamm- und Dokumentenverwaltung (Artikel- und Materialstammverwaltung sind je nach System synonym verwandte Begriffe). Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten zum Versions-, Status- und Historien-, zum Produktstruktur- und Konfigurationsmanagement, zur Klassifikation und Darstellung von Produktdaten sowie zum Scan- beziehungsweise Plot-Management (gesteuerte Ausgabe von CAD-Dokumenten).

Im Rahmen des Prozess- und Projekt-Managements lassen sich mit einer PDM-Anwendung auch das Freigabe- und Änderungswesen, die Dokumentenverteilung und der Dokumentenaustausch bewerkstelligen. In vielen Unternehmen gilt die Steuerung der Freigaben und Änderungen von Teilen/Materialien und Dokumenten sowie deren lückenlose Rückverfolgbarkeit zur Erfüllung der Anforderungen der ISO 9000/9001 als wichtigster Teilprozess.

Unter dem Begriff Daten versteht man im Zusammenhang mit PDM-Programmen organisatorische, produktbeschreibende Metadaten. Beispiele hierfür sind:

- Teilestammdaten/Materialstammdaten, wie Teile-/Materialnummer, Version, Lieferant, Reifegrad,

- Strukturdaten, wie Konstruktions- oder Fertigungsstücklisten,

- Klassifizierungsdaten nach DIN 4000/4001,

- Historien von Teilen/Materialien durch Versionierung/Revisionierung,

- Konfigurationsdaten und Serialisierungsdaten mit Verwendungsnachweis,

- Projektstammdaten, wie Projektname, Projektnummer und Beschreibung.

Dokumente im Sinne von PDM bestehen aus dem Stammsatz, dem Träger der beschreibenden Metadaten wie Dokumentennummer, Titel, Autor, Reifegrad, Freigabe und Änderungshistorie sowie angehängter Dateien, den so genannten Nutzdaten. Zu Letzteren zählen unter anderem 2D-CAD-Zeichnungen und 3D-Modelle (Geometrie von Bauteilen und Zusammenbauten), Spezifikationen zu Einzelteilen oder Funktionsgruppen, Pflichten- beziehungsweise Lastenhefte etc.

Üblicherweise baut man zwischen Objekten wie Teile- und Dokumentstammsätzen datenbanktechnische Verknüpfungen auf, um zu bestimmen, welche Teile einer Bau- oder Funktionsgruppe enthalten sind und welche beschreibenden Dokumente es dazu gibt. Unterschiedliche Sichten, etwa Funktions- und Konstruktionssicht auf Produktstrukturen, lassen sich somit ebenfalls realisieren.

Flexibilität birgt Risiken

Neben den Elementen Teile- und Dokumentenstammsatz unterstützen moderne PDM-Systeme weitere Objekttypen innerhalb ihres Datenmodells oder lassen darüber hinaus die Definition weiterer Objekte zu. Dies erhöht die Flexibilität der Anpassung und Integration von unternehmensspezifischen Geschäftsprozessen, birgt allerdings auch die Gefahr, bei Änderungen am Datenmodell in der Regel deutlich mehr Anpassungsaufwand zu erzeugen als bei Systemen mit starrem Datenmodell.

Zu den Administrationsfunktionen (Abbildung 2) zählen unter anderem die Benutzerverwaltung (einschließlich Berechtigungs-/ Zugriffsschutzkonzept), das Anlegen/Verwalten von elektronischen Tresoren zur Dokumentenspeicherung, Konfigurationseinstellungen mit Bezug auf die installierten Applikationskopplungen (Office, CAD, ERP) und spezielle Aspekte der verteilten Datenhaltung.

Worin liegen nun die Differenzen von PDM- und Dokumenten-Management-Systemen (DMS)? Zum einen sind PDM-Lösungen für den Engineering- und Produktentwicklungsbereich ausgelegt. In eine solche Anwendung gehören daher keine Dokumente, die nicht mit dem Lebenszyklus eines Teiles, Produktes oder Entwicklungsprojektes verbunden sind wie Arbeitsverträge oder Marketing-Unterlagen. Zum anderen fehlen einem DM-System üblicherweise die Funktionen zur Verwaltung von Teile- oder Materialdaten.

Workflow-Probleme

Gemeinsam ist PDM- und DMS-Systemen allerdings die Fähigkeit, Dokumente zu archivieren. So liefert beispielsweise die Produkthaftung die rechtliche Grundlage für die Langzeitarchivierung der Dokumentdateien. Hierbei wird häufig aus dem Originärformat eine TIFF- oder PDF-Datei erzeugt, die sich mit der Originalapplikation nicht verändern lässt. Zur Ablage dient ein Archivierungssystem.

PDM-Applikationen verfügen weiter über ausgeprägte Workflow-Funktionen, so dass sich der Durchlauf eines Dokuments durch definierte Ablaufschritte steuern lässt. Ausschlaggebend für den erfolgreichen Einsatz breit angelegter Workflows ist jedoch die Stabilität des abgebildeten Geschäftsprozesses. Der Produktentwicklungsprozess bietet hierfür selten ein gutes Beispiel, da es sich häufig um einen kreativen, flexiblen Ablauf handelt, der stark von organisatorischen Randbedingungen eines Unternehmens und seiner Entwicklungspartner abhängt. Objektive Verbesserungen durch Einführung eines Workflows wie Prozessstabilität und -dokumentation werden schnell durch das subjektive Empfinden der Anwender aufgehoben, die meinen, eine Verschlechterung ihrer Abläufe vorzufinden. Bei der Einführung von Workflow-Anwendungen kommt es deshalb auf spezielles Prozess-Know-how und Akzeptanz-Management an.

Weiterhin bieten PDM-Systeme eine Reihe von Möglichkeiten, andere Anwendungen zu integrieren. So lassen sich über Schnittstellen Standard-Office-Applikationen, CAD- oder ERP-Programme ankoppeln. Anspruchsvoll werden solche Anbindungen, wenn es nicht nur um einen lesenden Zugriff geht, sondern um eine aktive Transaktion im Zielsystem, wenn etwa ein schreibender Zugriff gefordert ist. Lesender Zugriff kann heute über Middleware-Systeme realisiert werden. Die Verbindung zu anderen Datenquellen (Legacy-, ERP-Anwendungen etc.) erfolgt meist über Adapter oder Konnektoren. Content-Management-Systeme könnten dann dafür sorgen, die aus einem PDM-Programm ausgelesenen Daten zusammen mit Informationen aus anderen Applikationen anzuzeigen. Allerdings erhöht sich damit auch die Anzahl und der Aufwand der zu administrierenden Schnittstellen.

Mussten in der Vergangenheit Remote Clients für den Zugang zum PDM-System installiert werden, so übernehmen heute Web Clients diese Aufgabe. Nicht jeder ist allerdings bereit, sein Know-how via Internet preiszugeben oder seine PDM-Lösung für Zulieferer zu "öffnen", auch wenn es umfangreiche technische Möglichkeiten für Zugriffs- und Berechtigungseinschränkungen gibt. Deshalb gehört der Datenaustausch mittels Odette File Transfer Protocol (OFTP) mit Engpart/Engdat (Engineering Partner Data/Engineering Data Message) nach wie vor zum Bestandteil der Zusammenarbeit mit Entwicklungspartnern. Das von Daimler Chrysler, Ford und GM 1996 initiierte ANX-Automotive Network Exchange (www.anx.com) und das europäische ENX-European Network Exchange (www.enxo.com) stellen über ihre Web-Portale Netzwerktechniken bereit, welche die hohen Anforderungen an Sicherheit, Verfügbarkeit und Bandbreite für den Datenaustausch in der Automobilindustrie erfüllen sollen.

Mittlerweile stehen über das Internet Collaborative oder Product-Development-Workspaces zur Verfügung, die eine Soft- und Hardwareumgebung zur Durchführung von Entwicklungsprojekten bieten. Die relevanten Daten werden dabei in ein externes Drittsystem transferiert, so dass sich Projekte schnell aufsetzen, Anwender-Accounts und Zugriffsberechtigungen definieren lassen. Zudem ist es möglich, einfache Projekt-Management-Funktionen wie die Bestimmung von Projektmeilensteinen, die Organisation von Web Meetings und die Pflege von To-Do-Listen zu realisieren. Sitzungen mit entsprechend ausgeprägten Viewern erlauben das simultane Arbeiten inklusive Diskussion und Kommentierung an einem Dokument. Allerdings fehlen noch die entsprechenden Praxiserfahrungen, um den Aufwand für das Exportieren der Daten bei Beginn und das Importieren der Daten nach Abschluss eines Projekts beziffern zu können.

Die im Engineering häufigen großen Datenmengen und die somit hohen Anforderungen an die Übertragungskapazitäten insbesondere für die Darstellung von 3D-CAD-Daten werden durch das Verlagern der Daten ins Internet nicht geringer. In PDM-Systemen verfügbare Viewer neuester Generation bieten die genannten Möglichkeiten zumindest für das Abhalten "interner" Besprechungen, was bei Nutzung des LANs bessere Performance erwarten lässt. Unbestritten eröffnen diese Tools und Services enorme Chancen, insbesondere für kleinere Firmen, die sich hohe Investitionen für Hard- und Software bisher nicht leisten können.

Einkauf optimieren

PDM-Anwendungen bieten über den Einsatz in Entwicklung, Design und Produktion hinaus auch Möglichkeiten, Prozesse im Bereich Einkauf zu verbessern. Viele Unternehmen haben erkannt, dass der eigentliche Wert eines Materials nicht selten unter den Prozesskosten für die Bestellung liegt. Große Konzerne zeigen aufgrund dieser Einsparungspotenziale ein hohes Interesse daran, den Einkauf elektronisch abzuwickeln (E-Procurement). Dazu bedarf es der elektronischen, strukturierten und kontinuierlichen Bereitstellung von Produktdaten in Katalogen, die direkt zwischen Kunden und Lieferanten ausgetauscht oder im Internet auf virtuellen Marktplätzen bereitgestellt werden. Als Beispiele seien die Portale Covisint und Supplyon genannt.

Elektronische Konfiguratoren bieten zusätzlich die Möglichkeit, komplexere Produkte online zusammenzustellen und im Idealfall die Bestellung direkt auszulösen. PDM-Systeme liefern dazu die Artikelstammdaten und produktbeschreibende technische Darstellungen (2D-Zeichnungen, 3D-Modelle, Grafiken) und enthalten das Know-how über die Optionen der Produktkonfiguration. Die führenden PDM-System-Hersteller bieten bereits Anwendungen für Produktkataloge und -konfiguratoren an. Aber auch hier gilt: PDM-Lösungen existieren in der Regel nicht allein, weshalb sie in der Lage sein müssen, die Produktdaten auch anderen Anwendungen zur Verfügung zu stellen.

Das Datenformat XML (Extensible Markup Language) schickt sich auch hier an, zentrales technologisches Element zu werden, das den elektronischen Produktdatenaustausch zwischen Hersteller und beschaffender Organisation ermöglicht. Unter der Leitung des BME (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.) beschäftigt sich ein Arbeitskreis mit der Entwicklung einer branchenunabhängigen, Internet-fähigen Spezifikation. BMEcat steht bereits in der Version 1.01 zur Verfügung (www.bmecat.org) und erlaubt neben der Übermittlung reiner Produktstammdaten die Klassifizierung von Produkten, die Definition von Produktmerkmalen und die Einbindung von Bildern, Grafiken, Video- und Sounddateien.

* Dipl.-Ing. Rainer Klopfstock ist bei der CSC Ploenzke AG in Wiesbaden im Bereich Competence Center Life Cycle Management tätig.