Logistikgerechtes und mitarbeiterorientiertes PPS

Produktionssteuerung mit kybernetischen Regelkreisen

15.09.1989

Einer kybernetischen Sichtweise präsentiert sich ein Unternehmen als ein Gefüge von kooperierenden und dabei relativ autonomen Einheiten. Abteilungen, Teams und Mitarbeiter sind hier keine passiven Rädchen im Getriebe, sondern aktive Partner bei einer gemeinsamen Unternehmung. Nikolaus Fecht* beschreibt am Beispiel eines PPS-Systems, wie das in der Praxis aussehen kann.

Die Alfred Thun & Co. GmbH aus Ennepetal setzt auf ihre Mitarbeiter. Bei der Einführung eines Produktionsplanungs- und -steuerungssystems (PPS) zog der Hersteller von Zulieferteilen für die Fahrrad- und Motorradindustrie seine Mitarbeiter schon in der Entwicklungsphase hinzu. Das Konzept für das PPS stammt vom Institut für Unternehmenskybernetik e. V. aus Mülheim an der Ruhr und dem Institut für Systemforschung und Konzeptentwicklung, Köln. Beide Institute halfen bei der Realisierung der Idee, die im wesentlichen darauf beruht, daß Unternehmen oder Teile davon ganzheitlich als selbststeuernde kybernetische Regelkreise betrachtet werden.

Unter Ganzheitlichkeit verstehen die beiden Institute das Einbeziehen von Menschen und Maschinen in das Prinzip der Kybernetik. Das heißt: Der Mitarbeiter wird nicht mehr als passiver Bestandteil, sondern als aktiver Partner gesehen.

In der Praxis wirkt sich das bei Thuns PPS so aus, daß neben ihrer Beteiligung an der PPS-Entwicklung die Mitarbeiter vor und während der Einführung des Systems eine qualifizierende Schulung erhalten und ihre Arbeitsinhalte wesentlich erweitert werden. Außer diesem sogenannten "Job-Enrichment" wirkt sich die Kybernetik so aus, daß die Mitarbeiter - quasi per sozialer Rückkopplung - auch noch in der Realisierungsphase auf die Feinorganisation einwirken können.

Die Fertigung wurde nach einer Strukturanalyse in Steuerbereiche aufgeteilt (Abbildung 1). Zwischen den Steuerbereichen werden Puffer in Form von definierten Zwischenlagern festgelegt, die jeweils einen Steuerbereich als Eingangs- und Ausgangspuffer begrenzen. Jeder Steuerbereich steuert sich als Regelkreis selbst, verantwortlich dafür ist ein Meister oder eine Arbeitsgruppe.

Die Koordination der Steuerbereiche erfolgt zentral (also in der Fertigungssteuerung oder der Arbeitsvorbereitung) durch das Aufstellen von Rahmenplänen, in denen die Fertigungsaufträge zeitlich verteilt sind. Dabei wird der Zeithorizont so festgelegt, daß die Verantwortlichen in den Steuerbereichen die üblicherweise auftretenden Probleme in Eigenverantwortung flexibel lösen können, ohne daß die Rahmenplanung geändert werden muß. Es wird nur das zentral gesteuert, was für die Lieferfähigkeit und die Vorhersagbarkeit von Fertigstellungsterminen notwendig ist, insbesondere der langfristige Abgleich zwischen Kapazitäten und Auftragsvolumen. Dadurch bleiben die Steuerbereiche flexibel - bei gleichzeitiger Reduzierung bereichsübergreifender Reibungsverluste. Vorhandene, gut funktionierende Organisationsformen werden nicht geändert, ein Großteil der informellen Organisation vor Ort kann formalisiert werden.

In den verschiedenen Steuerbereichen kommen derzeit drei unterschiedliche Steuerungsverfahren zum Zuge. Im Steuerbereich I ist dies das Kanban-Prinzip: Über die EDV-gestützte Überwachung von Mindestbeständen im Rondenlager (Halbzeug) werden in der ersten Fertigungsstufe von der Arbeitsgruppe Fertigungsaufträge disponiert, ausgeführt und durch Zuführung des Materials zum Rondenlager zurückgemeldet. Das Disponieren erleichtert die Verwaltung der Rohmateriallager per Computer (Abbildung 2).

Eine werkstattauftragsbezogene Rahmensteuerung koordiniert alle weiteren Steuerbereiche. Für die Bereiche II und III wird die auftragsbezogene Bereitstellung der Material mengen in den jeweiligen Puffern vor dem Steuerbereich und der Bearbeitungszeitraum vorgegeben ( in unserem Fall jeweils fünf Tage). Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt muß das Material in den nächstfolgenden Puffer überführt sein. Alle weiteren Aufgaben der Feinplanung werden dezentral in den Steuerbereichen und nicht vom Standard-PPS-System ausgeführt (Abbildung 3). Feindisposition durch das PPS-System ist hier weder sinnvoll noch notwendig.

Die Steuerbereiche IV und V (Härterei und Galvanik) sind ebenfalls in die Rahmensteuerung einbezogen, arbeiten jedoch nach dem Prinzip der Durchflußsteuerung. Die im Eingangspuffer ankommenden Aufträge werden vor Ort jeweils zu Tagesprogrammen zusammengestellt und abgearbeitet. Weitere Planungen über einen längeren Zeitraum sind hier nicht notwendig.

Zieldefinition, Konzeptbildung, technisch-organisatorische Umsetzung und schrittweise Einführung des Systems führte Thun gemeinsam mit den externen Beratern durch. Mit denselben Methoden soll vom PPS ausgehend in den nächsten Jahren ein vollständiges CIM entstehen.

*Dipl.-Ing. Nikolaus Fecht ist EDV-Fachjournalist in Gelsenkirchen.