Mehr Chancen als Risiken

Problemfall Big Data?

21.07.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.
Big Data erzeugt bei vielen Menschen gemischte Gefühle. Die wirtschaftlichen Chancen liegen auf der Hand. Doch die Möglichkeiten des Missbrauchs sind ebenfalls augenscheinlich.

Als der Schuss sie traf, hatte sie keine Chance. Auf der Autobahn A3 bei Würzburg durchschlug ein Geschoss ihre Autoscheibe und traf sie am Hals. Millimeter entschieden über Leben und Tod. Ein Unbekannter hatte willkürlich auf vorbeifahrende Fahrzeuge, vorzugsweise Autotransporter, geschossen. Im Juni 2013 wurde ein 57 Jahre alter Lastwagenfahrer aus Nordrhein-Westfalen nach einer fünf Jahre dauernden Suche endlich gefasst. Gefunden wurde er dank der Sammlung, automatisierten Auswertung und Analyse von gewaltigen Datenbergen.

Foto: Anton Balazh, Fotolia.de

Prompt kritisierten Datenschützer das Vorgehen der Polizei. Es habe für die benutzte Ermittlungsmethode "keine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage" gegeben, kritisierte der rheinland-pfälzische Datenschutzbeauftragte Edgar Wagner. Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), hingegen freute sich unverhohlen über die Festnahme: "Wir haben die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden."

Überwachung

Der Fall des "Autobahnschützen" ist nicht ohne Pikanterie. Das BKA nutzte nicht etwa die ohnehin vorhandenen Aufzeichnungen des LKW-Maut-Systems von Toll Collect. Stattdessen baute es sich ein eigenes System, um im ganz großen Stil Daten zu sammeln. Die Fahnder hatten an sieben relevanten Autobahnabschnitten Kameras installiert. Diese lasen die Kennzeichen sämtlicher vorbeifahrenden Automobile ein, auch die der beschossenen Kraftfahrzeuge. Im April 2013 wurden der Polizei dann innerhalb von fünf Tagen wieder Schüsse auf Lastwagen gemeldet, insgesamt sechs.

Mit den massenhaft gesammelten Autokennzeichen konnte das BKA wahrscheinliche Fahrtstrecken des Täters und mögliche Tatorte herausfiltern. Auch der Zeitraum, innerhalb dessen der Kriminelle an Kameras vorbeigefahren sein musste, ließ sich stark eingrenzen. Schließlich konnten die Ermittlungsbeamten berechnen, welche Fahrer es waren, die innerhalb einer gewissen Zeitspanne nicht nur an einer bestimmten, sondern auch an anderen Kameras vorbeifuhren.

Dilemma

Sie fanden genau einen einzigen LKW, der dafür in Frage kam. Da die BKA-Beamten zudem Fotos von den Überwachungskameras für ihre Ermittlungen heranziehen konnten, hatten sie bald einen Verdächtigen ausgemacht. Ein Abgleich von dessen Handy-Funkzelleninformationen offenbarte, dass sämtliche registrierten Daten nur auf diesen einen mutmaßlichen Täter zutrafen. Der Mann gestand nach seiner Verhaftung die Taten, die er "aus Ärger und Frust im Straßenverkehr" begangen haben will.

Der Fall beschreibt in treffender Weise das Dilemma von Big Data: Die Auswertung massenhafter Daten hat einen ambivalenten Charakter. Sie hat den Hautgout des Überwachungsstaats, der ausschnüffelnden Unternehmen und Behörden. Nicht umsonst warnte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar vor einigen Wochen gegenüber dpa vor "unsichtbaren Datensammlern in Smartphones, Kraftfahrzeugen und anderen Geräten, die laufend Daten generieren".

Berechtigte Sorgen

Daniel Suarez, ehemaliger Softwareentwickler und Berater für US-Unternehmen, der hierzulande bekannt wurde durch Romane wie "Daemon", "Darknet" und zuletzt "Kill Decision", anwortete auf eine Frage der "Süddeutschen Zeitung" zum Thema Prism: "Ich sage das jetzt nicht als Thriller-Autor, sondern weil ich 19 Jahre lang Big-Data-Systeme konzipiert habe: Die Leute sollten sich verdammte Sorgen machen." Big Data, das zeigen Prism und Tempora, bedient all diejenigen mit Argumenten, die immer davor gewarnt haben, dass die Analyse von Massendaten Teufelszeug sei und Bürgerrechte verletze.

Problemlöser

Mit Big Data eröffnet sich aber auch die Perspektive, durch die rasante Auswertung von Datenmassen Antworten auf viele Menschheitsprobleme zu finden.

Sinnvolle Anwendungsbeispiele finden sich zuhauf. Egal ob im Gesundheitswesen, in der Verbrechensbekämpfung, in der Kalkulation von Versicherungspolicen, bei der Erforschung des Kaufverhaltens, bei der Kundenberatung etc. Egal auch, in welchen Branchen: Ob in der Automobilindustrie, der Medizin, bei der Feuerwehr, bei der Erforschung alternativer Energien oder von Wettermodellen - immer kann Big Data dazu beitragen, Unmengen von Daten sinnvoll zu ordnen, zu analysieren und Handlungsvorschläge anzubieten.