Erwiderung auf die Ansätze eines neuen Taylorismus (Teil III):

Problembereich bleibt die Textbearbeitung

20.04.1979

LINZ (hö) - Im letzten Teil der drei Folgen, in denen Professor Lutz H. Heinrich, Institut für Fertigungswirtschaft und Betriebsinformatik der Universität Linz, sich mit dem Für und Wider von Methoden- und Organisationskonzepten zur Einführung der Textverarbeitung auseinandersetzt, stellt er die Frage, "ob die Entwicklung und Vermarktung spezieller Textverarbeitungssysteme überhaupt sinnvoll ist". Am Beispiel der Computertextverarbeitung beim Deutschen Herold zeigt Heinrich auf, daß dort die Textverarbeitung zumindest in der Nutzung der Hard- und Softwaretechnologie als integraler Bestandteil der Datenverarbeitung und Nachrichtenübermittlung verstanden wird.

Nach Eingabe des gewünschten Briefkopfes (Standard oder freie Formate) gibt der Sachbearbeiter die einzelnen Bausteinnummern, gegebenenfalls ergänzt durch Variable, in logischer Folge ein. Diese Briefanforderung wird dem Programmpaket Hekos übergeben, geprüft und bei korrekter Eingabe wird die Briefschreibung veranlaßt; Fehlermeldung erfolgt mit detailliertem Fehlertext.

Es braucht nur die Briefnummer sowie gegebenenfalls die Variablen eingegeben zu werden. Hekos ruft unter dieser Briefnummer alle zugehörigen Textbausteine auf.

Logisch zusammengehörige Briefe inklusive eventueller Anlagen werden mit nur einer Dateneingabe aufgerufen ("Vorgänge").

Folgende Vorteile dieser Lösung sind hier hervorzuheben:

- Direkte Korrespondenz am Arbeitsplatz über die ohnehin installierten Bildschirme.

- Automatische Bereitstellung von Datenbankinformationen, die ohnehin vorhanden sind (zum Beispiel Kundenadressen).

- Datenfernübertragungsmöglichkeit zwischen den Geschäftsstellen, die ohnehin vorhanden sind, werden für die Textübermittlung benutzt.

- Vermeidung von Schreibsekretariaten für die Textverarbeitung.

- Keine spezielle Hardware für die Textverarbeitung.

Es stellt sich hier die Frage, ob die Entwicklung und Vermarktung spezieller Textverarbeitungssysteme überhaupt sinnvoll ist, eine Frage, mit der sich meiner Auffassung nach die Anbieter ernsthaft befassen müssen.

Computerunterstützte Textverarbeitung ist Realität, wo es um Baustein-, Serien- und Multibriefe geht. Wir wollten dies mit dem Beispiel Hekos demonstrieren und können dies durch eine Vielzahl anderer Anwendungen, vor allem unter Einsatz von Minicomputertechnologien, ergänzen. Problembereich bleibt die Textbearbeitung.

Man muß sich aber auch hier eindeutig an den Sachbearbeiteraufgaben orientieren und sich - etwa im Rahmen einer "Prozeß-Analyse" - fragen, welches textbezogene Aktionsmittel, falls dies überhaupt erforderlich ist, am geeignetsten ist:

- Kurzes Handschreiben,

- Kopierbrief (Urschriftverkehr, Maskenkopie),

- Vordruck,

- individuell zu "diktierender" Brief.

Diese Aktionsmittel-Entscheidung gehört in den Autonomiebereich des Sachbearbeiters, was gewisse struktur- und ablauforganische Voraussetzungen bedingt (auf die später eingegangen wird). Angenommen, es handelt sich um einen nur individuell zu "diktierenden" Text. Hier taucht das Reizwort "Phonodiktat" auf.

Allgemein gesehen geht es hier nicht um "Diktieren", sondern um "Datenerfassung" mit großem Datenumfang der Primärdaten (Ursprungsdaten) gemessen an den Ausgabedaten unter Beachtung komplizierter formaler Regeln und bei Verwendung oft sachgebiets- oder vorgangsspezifischer Begriffe. In dieser Beschreibung stecken alle Ursachen verborgen, die dazu geführt haben, daß es mit dem Phonodiktat als einer Methode zur Datenerfassung nicht so klappt, wie sich das vor allem die Anbieter von Diktiergeräten noch immer erhoffen. Der Anwender wird mit überzeugend wirkenden Kostenvergleichen konfrontiert, die sich in aller Regel nicht realisieren lassen.

Unabhängig davon, welche Methode zur Datenerfassung verwendet wird, ist es hilfreich, zwischen "Routinetext" und "Problemtext" zu unterscheiden.

Routinetext ist frei diktierbar, Erstschrift ist gleich Reinschrift, er wird "direkt geschrieben". Problemtext führt zunächst zu Entwurfstext, er kann nicht direkt geschrieben werden. Folglich heißt die organisatorische Aufgabe, den Anteil "Routinetext" und damit des "Direktschreibens" zu vergrößern.

Aus diesen Gründen ist das Phonodiktat ein Mittel, unvermeidbare räumliche und/oder zeitliche Differenzen zwischen dem "Ort der Datenentstehung" und dem "Ort der Dateneingabe" zu überbrücken. Als Ort der Dateneingabe ist dabei in erster Linie wieder der Sachbearbeiterplatz selbst zu sehen. Bezüglich dieser "Einfügung der Datenerfassung" in die Sachbearbeiterplätze kann auf ganz analoge Überlegungen aus der Datenverarbeitung verwiesen werden.

Erinnern wir uns an das Beispiel Hekos, dann können wir soweit gehen zu sagen, daß

- Programmierte Textverarbeitung computerunterstützt in den Sachbearbeiterplatz eingebunden werden kann, daß

- Textbearbeitung von Routinetexten computerunterstützt vom Sachbearbeiterplatz her bezüglich der Datenerfassung denkbar ist, im Einzelfall aber nicht zweckmäßig sein mag, und daß

- Textbearbeitung von Problemtexten regelmäßig eine Langschrift-Konzeptionsphase und ein nachfolgendes, möglicher weise mehrmaliges Entwurfsschreiben voraussetzt, das im allgemeinen aus der Sachbearbeitung auszugliedern ist, wegen der entstehenden Problemferne aber in zentralen Schreibbüros nicht zweckmäßig angesiedelt werden kann.

Sachbearbeiter-Autonomie

Textverarbeitung ist Teil der Kommunikationsaufgabe der Sachbearbeitung bei der Auswahl der Kommunikationsmittel muß der Sachbearbeiter selbst entscheiden. Deshalb muß ein Kompetenzrahmen definiert werden, und es müssen dem Sachbearbeiter alternative Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen. Insbesondere muß sichergestellt sein, daß das Bestimmen des Textinhaltes Angelegenheit derer bleibt, die mit diesen Texten ihre Kommunikationsaufgaben zu erfüllen haben.

Eingabefunktionen in "Textverarbeitungssysteme" müssen dort angesiedelt werden, wo eine Sachbezogenheit zu den Eingabedaten besteht. Es ist nicht einzusehen, warum bei programmierter Textverarbeitung zwischen Sachbearbeiter und Maschine noch eine Schreibkraft eingesetzt werden muß. Für die Textbearbeitung wird in der Regel die erfahrene Sekretärin gebraucht; ob eine zentrale Lösung sinnvoll ist, muß untersucht werden. Andere Lösungen könnten - neben Einzelsekretariaten - in sachgebietsbezogenen Poolsekretariaten liegen. Ziel ist dabei, jedem Sachbearbeiter einen leistungsfähigen Schreibservice zur Verfügung zu stellen. Es ist klar, daß dies um so eher erreicht wird, je näher dieser Service zeitlich, sachlich und personell beim Sachbearbeiterplatz angesiedelt ist.

Der heute in vielen Unternehmen übliche Arbeitsablauf - zentraler Posteinlauf und eine zunächst von oben nach unten erfolgende Bearbeitung - müßte geändert werden. Die Sachbearbeiterautonomie im Textverarbeitungsbereich kommt nicht zur Wirkung, wenn sie sich in einem zu eng abgesteckten Aktionsrahmen für die Durchführung der Sachbearbeiteraufgabe bewegen muß.

Schulung, Motivation und Zufriedenheit

Daß es an Ausbildung bei verschiedenen am Entwurf und am Betrieb von computerunterstützten Textverarbeitungssystemen Beteiligten mangelt, darauf wurde schon verschiedentlich hingewiesen. Keinesfalls kann dieses Problem so eng gesehen werden, daß man dabei nur die Bedienungskräfte von Textverarbeitungsgeräten und hierbei nur deren Umgang mit diesen Geräten im Blick hat. Folgende Adressatengruppen müssen ins Auge gefaßt werden:

- Die Vertriebsbeauftragten und Organisatoren der Anbieter.

- Die Organisatoren in den Anwenderorganisationen und die Organisationsberater.

- Die Sachbearbeiter und Sekretariatskräfte in den Anwenderorganisationen.

- Schließlich und nur zuletzt die Mitarbeiter, die als spezialisierte Schreibkräfte in ausschließlichen Textverarbeitungsfunktionen tätig sind.

Die Ausbildungsdefizite in der zuerst genannten Gruppe sind besonders groß; die zweite Gruppe ist fast nicht existent. Daß schon das Grundverständnis von Textverarbeitung falsch ist, wurde gesagt. Wenn so Organisationsstrukturen und -abläufe deformiert werden, nur damit die Textverarbeitung funktioniert, während alles andere als nebensächlich betrachtet wird und am Rande liegenbleibt, dann ist es müßig, sich über Schulung und Motivation der Mitarbeiter in den Anwenderbetrieben Gedanken zu machen. Eine Rückbesinnung auf die Aufgaben in den Büros ist Grundvoraussetzung für das Entwickeln von Konzeptalternativen, auf die Aufgaben, als deren Folge auch Texte anfallen.

Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit - wichtige Faktoren für die psychische Belastung und für die Effektivität - hängen in erster Linie nicht von der Beachtung ergonomischer Einzelforderungen ab, sondern von den Möglichkeiten, welche der einzelne Mitarbeiter hat, doch mit seiner Tätigkeit zu identifizieren. Diese werden verschüttet durch Taylorismus, Überorganisation und Einengung arbeitsplatzspezifischer Gestaltungsspielräume. Schaffen und Ausfüllen von Gestaltungsspielräumen wiederum setzen ausreichende Qualifikation sowohl bei Organisatoren als auch bei Benutzern von computerunterstützten Textverarbeitungssystemen voraus.

Es sollte gezeigt werden, daß es notwendig ist, Textverarbeitung aus der Eingleisigkeit eines am Schreiben orientierten Konzepts der "Textautomation" herauszuführen. Wenn wir die Unzweckmäßigkeit dieses Konzepts erkannt haben, haben wir den ersten wichtigen Schritt zur "Computerunterstützten Textverarbeitung" getan; die anderen werden weniger schwierig sein. Ein erstes Paradigma ist mit diesem Konzept angenommen; es ist erfahrungsgemäß schwierig, es durch ein anderes zu ersetzen.