Modelle und Lösungsansätze zur Dienste-Integration in Frankreich und den USA:

Pro und Kontra auf dem Weg zum internationalen ISDN

06.09.1985

Das künftige Dienste-integrierende digitale Netz, kurz ISDN, wird in einigen Jahren die Bürolandschaft stark verändern, und dies nicht durch den Kauf eines bestimmten ISDN-Inhousesystems in Konkurrenz zu einem anderen, sondern durch die technischen Möglichkeiten beim ISDN selbst, wie zum Beispiel echte Sprach-Daten-Integration, die bisher nur über Hilfsmittel möglich war. Deutlich wird dies auch anhand von Beispielen in den USA und am neuen Modellnetz "Renan" in Frankreich.

Hier soll es nun ganz speziell um die Entwicklung in unserem Nachbarland Frankreich, aber auch in den USA gehen. Über die Projekte in Großbritannien wurde bereits in CW Nr. 17/85, Seite 31, berichtet. Viele Länder und Interessenvertretungen haben die Chancen durch ISDN erkannt, die in seiner Internationalität und anwenderfreundlichen Lösungen liegen, für die diese vier Buchstaben auch stehen sollen. Freilich berücksichtigt die ISDN-Philosophie nicht in allen Punkten nur Herstellerinteressen.

Zahlreiche US-Firmen gegen ISDN-Normen

Der Besuch des deutschen Postministers in den USA und die anscheinend eindeutigen Worte zu ISDN, die aus diesem Anlaß gefallen sind, lassen vergessen, daß sich gegen die ISDN-Normen auch noch zahlreiche Firmen aussprechen. Das betrifft nicht die erste Grundnorm, zu der seinerzeit auch die Federal Communication Commission (FCC) zugestimmt hat, sondern das betrifft die Regulierungen im Bereich der Sprach-Daten-Integration. Zu diesen Firmen, die gegen ISDN sind, gehören unter anderem IBM, Northern Telecom, Motorola. Insgesamt sind es 30, die sich in der Computer and Business Equipment Manufacturers Association (CBEMA) gegen eine Annahme der vorgeschlagenen weiteren CCITT-Norm ausgesprochen haben. Dabei geht es nicht nur um eine Beibehaltung des Privatfernmeldewesens, sondern auch um die Auffassung der Schnittstellen, insbesondere der Netzanschlüsse NT 1 und NT 2, die in Europa zum Netz gehören und in den USA zu den privaten angeschlossenen Systemen. Dabei ist es unbedeutend, daß die Netze in den USA von Privaten betrieben werden.

Diese Hersteller sind, auf einen Nenner gebracht, der Meinung, daß durch ISDN gute Privatlösungen gebremst werden und Flexibilität verlorengeht. Und auch der Direktor der strategischen Planung der Pro-ISDN-Firma AT&T, Joseph Weber, sagte neulich: "ISDN ist der Traum eines Technologen."

Im früheren AT&T-Bereich sind die Stimmen also nicht ganz einheitlich. Einige der nun selbständig gewordenen AT&T-Fernmeldeunternehmen, so die Illinois Bell, die Southern Bell und die Wisconsin Bell, haben sich pro ISDN ausgesprochen. Bei der Wisconsin Bell wurde eine Siemens-Vermittlung in Auftrag gegeben. Die Pacific Bell ist mit ihren Planungen noch nicht ganz am Ende. Das bedeutet, daß wir in den Jahren 1986/87 mit den ersten ISDN-Versuchen in den USA rechnen können.

Im Bereich der europäischen CEPT sieht es einheitlicher für ISDN aus. Die verschiedenen Länder versuchen sich über die Standardisierung zu einigen und Modellsysteme zu errichten und zu erproben, um auf alle Fälle für die ISDN-Norm gerüstet zu sein und dann eine lokale Industrie zu haben, die ihre Produkte auf einem einheitlichen europäischen Markt vertreiben kann.

Und so ist auch das nun geklärte französische Projekt "Renan" zu sehen, ein ISDN-Modellnetz, welches bereits im März 1983 geplant wurde und nun mit einem genauen Zeit- und Ausführungsplan der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Man wird mit 300 Anschlüssen in der Provinz Côte du Nord beginnen. Der Grund hierfür ist der, daß in dieser Provinz auch das nationale Zentrum der Fernmeldeentwicklung liegt. In einem weiteren Schritt werden dann 1000 Anschlüsse in der Umgebung von Paris hinzukommen.

Nur am Anfang, im ersten Schritt, sieht dieses Modellnetz ähnlich aus wie unser deutsches Modellnetz, speziell im Hinblick auf die Verbindung zu analogen Fernsprechwegen. Hier sind die klassischen Dienste vorgesehen, Fernsprechen mit 3,1 KHz Bandbreite, Datenübertragung über Modem, Teletex und Faksimile. Dieser Anfang ist für Oktober 1986 geplant, aber bald folgt dann die Einschaltung von drei digitalen Vermittlungen (URN), die von der Firma CIT-CGE geliefert werden.

Bei der Erweiterung auf Paris werden die digitalen Vermittlungen von Thomson, Typ MT25, eingesetzt. Der Terminplan sieht hierfür Oktober 87 vor.

Im eigentlichen Plan liegt die zweite Stufe des Modellnetzes im Juni 87, bei dem die Teilnehmer mit digitalen Anschlüssen ausgerüstet werden. Damit wird dann eine echte Dienstintegration, vor allem eine Sprachintegration, möglich sein.

In dieser zweiten Stufe mit dem ersten digitalen Netz hat man dann Fernsprechen mit 64 KBit/s, Videotex (Bildschirmtext-ähnlich), Graphik und langsame Bewegtbildübertragung als ergänzende Dienste zu den bereits im Analognetz vorhandenen.

Frankreich mit Paket- und Satellitenanschluß

Entgegen dem deutschen Modellnetz wird gleichzeitig im ersten digitalen Netz ein Paketanschluß an das französische Transpac-Paketnetz vorgesehen und ein Anschluß für den Fernmeldesatelliten Telecom I zur Verfügung stehen, und das im Rahmen der französischen Transdyn-Dienste.

Bei den Terminals und den Anschlüssen werden die CCITT-Vorschriften wie auch in Deutschland übernommen, das heißt, der Basisanschluß mit einer Bitrate von 144 KBit/s setzt sich aus zwei B-Kanälen von 64 KBit/s und einem D-Kanal von 16 KBit/s zusammen.

Während sich die deutsche Post bei den Terminals bisher auf den passiven Bus mit acht Terminals festgelegt hat, hat die französische Post noch weitere Möglichkeiten ins Auge gefaßt. Hier sieht man auch noch einen ISDN-Netzanschluß in Sternstruktur und eine Möglichkeit von je acht Anschlüssen, also insgesamt 16 Anschlüssen vor.

Darüber hinaus ist eine Anschlußmöglichkeit in Ringstruktur gegeben.

Damit werden in Frankreich alle Strukturen für die Installation beim Teilnehmer erprobt, die von der CCITT vorgesehen wurden. Interessant ist vor allem der sternförmige Anschluß, der praktisch eine kleine Nebenstellenanlage mit 16 Teilnehmern maximal darstellt. Weiterhin hat man sich für die einheitliche S(0)-Schnittstelle entschlossen. Damit ist es möglich, ein Terminal unabhängig vom Hersteller entweder an das Netz oder an die verschiedenen Anschlußpunkte des Sternes anzuschließen. Wieweit sich dies auf spätere größere Nebenstellenanlagen ausdehnen wird, ist heute noch nicht bekannt. Digitale Telefone sind bei dieser ersten Konfiguration vorgesehen.

In einer letzten Stufe sieht man dann eine digitale Leitung von 384 KBit/s beziehungsweise auch n x 64 KBit/s im Rahmen der bestehenden Standardisierung vor. Größere Nebenstellenanlagen haben einen Primärmultiplexanschluß, ähnlich wie bei uns.

Bei dieser dritten Stufe sind dann auch Dienste wie Telemetrie vorgesehen, außerdem wird es Telekonferenzmöglichkeiten geben. Daß bei uns Telemetrie bereits heute möglich ist, ist in diesem speziellen Plan unwesentlich.

Wieweit die Nebenstellenanlagen und andere ISDN-Anschlüsse in beiden Ländern gleichartig sein werden, läßt sich heute noch nicht in allen Einzelheiten sagen.

Die französische Post hat aber angekündigt, daß sie bis zur dritten Stufe die Überprüfung des noch nicht standardisierten D-Kanalprotokolls (Q 920 - Q 930) vornehmen will.

Das erste vollständige ISDN-Netz

Das französische Modellnetz hat sich vorgenommen, das erste komplette ISDN-Netz zu sein, welches den möglichen Empfehlungen der letzten Studiengruppe des CCITT folgt und welches auch den im CEPT-Kreis noch diskutierten Normempfehlungen folgt.

Frankreich bleibt auch dabei, ebenso wie Deutschland, mit kleinen Unterschieden wie zum Beispiel dem Paketanschluß und einigen anderen den ISDN-Weg zu gehen. Sollte dies gelingen, dann wäre die Schwierigkeit der Sprach-Daten-Integration, die verschiedene der amerikanischen Fernmeldefirmen bewogen hat, sich im Sinne der Verwender für ISDN zu entscheiden, leichter gelöst als mit den Vorschlägen der amerikanischen Computerfirmen. Aus diesem Grunde bat sich auch die McDonald´s Restaurantkette in ihrer Zentrale in Oak Brook (Illinois) in der Nähe von Chicago für einen großangelegten ISDN-Versuch entschlossen. Bei diesem Versuch werden alle Restaurants in dieser Gegend angeschlossen. Ein Grund hierfür war die wesentlich leichtere Sprach-Daten-Integration bei ISDN als mit anderen Lösungen.

Es scheint so, daß die ISDN-Lösung sehr anwenderfreundlich ist. Deshalb haben sich für diese Lösung nicht nur unsere europäischen Länder entschlossen, sondern auch einige der Fernmeldegesellschaften in den USA. Trotz Bedenken kann ISDN auch hier heute nicht mehr ganz verhindert werden.

*Dr. Carl Friedrich Schuh Unternehmensberater in Nürnberg.