Neue IT-Studiengänge

Privatinitiativen springen in die Bresche

22.02.2000
Von VON Angelika
Privaten Hochschulen werden fast wundersame Kräfte zugesprochen. Was auf jeden Fall stimmt: Sie reagieren schneller und ohne Berührungsängste auf die Nachfrage aus der Wirtschaft, wie die zahlreichen neuen Informatik-Studiengänge zeigen.

"Wir fördern die privaten Gründungen gern, weil sie wie ein Stachel im Fleisch die staatlichen Hochschulen zu verstärkten Reformanstrengungen anregen", sagt der Kölner Unternehmer Arndt Oetker, der gleichzeitig Vorstandsvorsitzender des wirtschaftsnahen "Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft" ist. Vor ein paar Jahren noch ein Tabuthema in Deutschland, wird die Gründung von Hochschulen in privater Trägerschaft derzeit mit Hochdruck betrieben - bundesweit und mit besonderem Fokus auf zukunftsträchtige Branchen ausgerichtet.

Private Unis reagieren flexibler

Die privaten Neugründungen reagieren flexibler als die staatlichen Hochschulen auf die Anforderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, wollen mit kurzen, praxisorientierten Studiengängen dazu beitragen, den dringend benötigten Nachwuchs für die Informations- und Kommunikationsbranche auszubilden.

"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein" - diese bewährte Formel für unternehmerischen Erfolg beherzigten die Gründer der International University (IU) im baden-württembergischen Bruchsal. Die IU ging im Wintersemester 1998/99 mit dem Master-Studiengang "Information and Communication Technology" an den Start. Zielgruppe sind deutsche und ausländische Studierende, die bereits einen Bachelor-Grad oder den Abschluss einer Fachhochschule oder Berufsakademie mitbringen.

Das zwei Jahre dauernde, englischsprachige Studium vermittelt neben IT-Know-how Kenntnisse aus deutscher Politik, Kultur und Geschichte. Dieses Angebot richtet sich vor allem an die ausländischen Studenten, die später im Beruf über künftige Wirtschaftsbeziehungen und Aufträge mitentscheiden werden. Der kulturwissenschaftliche Exkurs soll ihre Beziehungen zu Deutschland verfestigen helfen. Spezielle Vertiefungskurse wie zur Unternehmensgründung im IT-Bereich und ein Praktikum in einem international tätigen Unternehmen runden die derzeit 36 000 Mark teure Ausbildung ab.

Die Mitgründerin und Präsidentin der International University, Heide Ziegler, konnte Unternehmen aus Baden-Württemberg für ihr Vorhaben gewinnen. Zu einer Anschubfinanzierung durch das Land kommen Sponsorengelder von ABB, IBM, Alcatel, Siemens, Nacamar und SAP. SAP-Mitbegründer Klaus Tschira liegt die neue Hochschule besonders am Herzen. "Die IuK-Technologien sind eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien, die über unsere Zukunft entscheiden. Wir brauchen dringend Menschen, die in der Lage sind, die Dimensionen der IuK zu begreifen und sie zu nutzen." Das Ausbildungsangebot der IU, die neuerdings auch einen Master of Business Administration (MBA) und einen "Bachelor of Science" im Programm hat, setzt für Tschira die richtigen Akzente.

Dass private Hochschulen derzeit einen wahren Gründungsboom erleben, liegt auch an der freien Trägerschaft, die ihren Betreibern Handlungsspielräume ermöglicht, von denen die staatlichen Hochschulen nicht einmal zu träumen wagen. Für Professor Keith Maunders, Direktor des ebenfalls in Baden-Württemberg frisch aus der Taufe gehobenen "Stuttgart Institute of Management and Technology" (SIMT), bestehen die Vorzüge vor allem in "der Anwendung von Eignungstests und Interviews zur Auswahl der besten Studierenden, der Möglichkeit zur Straffung des Studiums, der unbürokratischen und flexiblen Anpassung der Studienangebote an die Bedürfnisse der Wirtschaft, der befristeten Anstellung des Lehrpersonals und der Möglichkeit zur Erhebung von Studiengebühren."

Das SIMT ist als Kooperationsprojekt der baden-württembergischen Industrie und der drei Universitäten Hohenheim, Stuttgart und Tübingen entstanden. Das Land beteiligt sich mit 15 Millionen Mark am Kapitalstock des Instituts, die Stadt Stuttgart mit insgesamt fünf Millionen Mark. Weitere 20 Millionen Mark sollen durch die Wirtschaft aufgebracht werden.

Internationales Niveau

Das Stuttgart Institute of Management and Technology versteht sich als "Dienstleistungsorganisation, die anwendungsbezogene und international ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsprogramme auf hohem Niveau" anbieten will. Um sich von anderen Anbietern abzugrenzen, setzen die Initiatoren des SIMT auf Praxisnähe, Internationalität und Kundenorientierung. Um den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht zu werden, wird diese aktiv bei den Ausbildungsplänen mitwirken, Mentorenfunktionen übernehmen und Projekte für Studien- und Diplomarbeiten stellen. Das internationale Niveau soll durch ausländische Dozenten garantiert werden.

Zum Sommersemester 1999 startete das SIMT mit dem Masterstudiengang "Information Technology". Der vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg genehmigte, zweijährige Studiengang schließt mit dem internationalen Master of Science ab. Getragen wird der englischsprachige Studiengang von den beiden Fakultäten Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik. Zulassungsvoraussetzungen sind ein internationaler Bachelor-Abschluss oder ein Diplomabschluss einer Fachhochschule oder Berufsakademie in den Studienfächern Elektronik, Technische Informatik, Nachrichtentechnik oder Informationstechnik. Künftig können auch Studierende von Universitäten mit den Fächern Elektrotechnik, Informatik oder Softwaretechnik nach ihrem sechsten Fachsemester in den internationalen Studiengang wechseln. Insgesamt werden pro Jahr 50 Studierende, davon etwa die Hälfte aus dem Ausland, aufgenommen. Das technische Studienangebot mit den beiden Vertiefungsrichtungen

"Communications Engineering and Media Technology" sowie "Embedded Systems Engineering" wird durch ein Pflichtprogramm in Fremdsprachen, Wirtschaftswissenschaften, Telekommunikations- und Medienrecht, Vertragsrecht sowie Innovations- und Technologie-Management ergänzt.

Ein im Aufbau befindliches Netzwerk von IT-Unternehmen im südwestdeutschen Raum soll den Praxisbezug sicherstellen. "So soll eine anwendungsnahe Ausbildung ermöglicht werden. Die ausländischen Studierenden, die vom Akademischen Auslandsamt betreut werden, können später ein wichtiges Bindeglied zur sehr stark exportorientierten Wirtschaft Baden-Württembergs bilden", fasst SIMT-Direktor Maunders zusammen.

"Die Privatunis fordern den Staat heraus, endlich zu handeln und den Reformprozess an den deutschen Hochschulen voranzutreiben", lautet das positive Urteil. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn keine der Hochschulen, die in Deutschland das Etikett "privat" trägt, ist tatsächlich zu hundert Prozent eine private Einrichtung. Bei allen Institutionen finanziert der Staat kräftig mit und hat von Anfang an dazu beigetragen, dass die Projekte überhaupt angeschoben werden konnten.

Dass die enge Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft die Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage nach IT-Experten korrigieren hilft, zeigt das Beispiel der Fachhochschule Dieburg. Eng mit der IuK-Branche abgestimmt, startete die FH zum Wintersemester 1999/2000 einen Bachelor-Studiengang für Informatik. Die eine Hälfte der Ausbildung findet an der FH, die andere in einem Betrieb statt.

Am Anfang stand der Vorstandsbeschluss der Deutschen Telekom AG, die in ihrer Trägerschaft stehende Hochschule demnächst zu schließen. Das ehemalige Staatsunternehmen sah nach der Privatisierung keine Notwendigkeit mehr, eine Hochschule mit staatlicher Anerkennung zu unterhalten. In Dieburg, 1968 gegründet, werden noch die Studiengänge Nachrichtentechnik, Telekommunikationsinformatik und Betriebswirtschaftslehre angeboten.

Kopie der Berufsakademie

Die drohende Schließung hat den Bundesverband Informations- und Kommunikations-Systeme (BVB) auf den Plan gerufen. "Angesichts der schwierigen Nachwuchssituation in unserer Branche haben wir befürchtet, dass der Engpass dann noch größer werden würde. Schließlich wurden in Dieburg früher bis zu 1200 IT-Spezialisten ausgebildet", erklärt Werner Senger, Geschäftsführer des BVB.

Der Verband, dem rund 300 Unternehmen aus den Sparten Hardware, Software und Telekommunikation angehören, wurde beim hessischen Wissenschaftsministerium und seinen Mitgliedsfirmen vorstellig, um die FH Dieburg zu erhalten und gleichzeitig die Chance zu ergreifen, dort mit einem verkürzten, praxisorientierten Informatikstudiengang an den Start zu gehen. Die Intervention hatte Erfolg: Das Land Hessen übernimmt künftig die Finanzierung der FH Dieburg, die organisatorisch der nahe gelegenen FH Darmstadt angeschlossen wird, aber ihren eigenen Standort behält. Zum Wintersemester 1999/2000 nahmen erstmals 40 Studierende ihr Informatikstudium mit dem international anerkannten Abschluss Bacherlor of Science in Dieburg auf. Ginge es nach dem BVB, soll die Zahl der Studienplätze bereits zum Studienjahr 2000/2001 auf rund 100 erhöht werden. Das allerdings hängt von der Finanzlage des hessischen Haushaltes ab.

Das Konzept des neuen Studienganges ist stark an die vor allem in Baden-Württemberg beheimateten Berufsakademien angelehnt und sieht eine duale Ausbildung vor. Die dreieinhalbjährige Ausbildung soll vier Semester an der Hochschule und drei Semester in einem Unternehmen stattfinden - und zwar alternierend, damit die Studierenden ihr theoretisches Wissen schon nach kürzester Zeit in die betriebliche Praxis umsetzen können. Vorgesehen ist, dass sie von Anfang an in den Firmen an konkreten Projekten mitarbeiten.

Anders als bei den in anderen Studiengängen üblichen Praktika schließen Unternehmen und Studenten einen über die gesamte Studiendauer gültigen Vertrag ab, in dem Ausbildungsinhalte und Vergütung geregelt werden.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Bonn.