Eigenentwicklung soll dieses Jahrhundert überleben

Privatbank hat ihr Hauptbuch Jahr-2000-fähig gemacht

11.09.1998

Das Kapital einer Bank besteht nicht nur in Mark, Dollar oder Schweizer Franken, sondern auch im Vertrauen, das die Anleger ihr entgegenbringen. Deshalb ist das Thema Jahrtausendwechsel für die Finanzdienstleister besonders brisant.

Die SMH-Bank setzt für den Geld- und Devisenhandel sowie das Kreditgeschäft eine Standardsoftware ein, deren Jahr-2000-Probleme der Anbieter zu lösen hat. Ein Sorgenkind blieb jedoch die in Cobol entwickelte Kontenverwaltung. Sie bildet neben Hauptbuch, Kontokorrentbereich und Teilen des Wechsel-Geschäfts auch das interne Berichtswesen, die Bilanzen und andere Auswertungen ab.

Von dieser Anwendung will sich die SMH-Bank vorläufig nicht trennen. "Die Eigenprogrammierung ist Stück für Stück mit dem Unternehmen gewachsen", erläutert Michael Mack, Abteilungsdirektor Anwendungsentwicklung, "da fällt ein Wechsel auf eine Standardlösung schwer." Immerhin hat die Software vor vier Jahren bereits den Sprung von einem Bull-Mainframe zu einer Midrange-Maschine der IBM-AS/400-Familie überstanden. Damals stellte die SMH-Bank ihre Kontenverwaltung eins zu eins auf die neue Systemplattform um. Und in diesem Zusammenhang traf sie die Entscheidung, auch über den 31. Dezember 1999 hinaus daran festzuhalten.

Aus dem erfolgreich abgeschlossenen Rightsizing-Projekt bezogen die insgesamt 36 Mitarbeiter der SMH-eigenen IT-Abteilung soviel Selbstbewußtsein, daß sie es wagten, auch das Jahrtausendproblem selbst anzugehen. "Allerdings nicht ohne entsprechende Unterstützung", stellt Ulrich Rauschkolb, der Leiter des Jahr-2000-Projektes, klar. "Eine rein manuelle Umstellung wäre ein Sisyphus-Job gewesen, den niemand verantworten, geschweige denn ausführen wollte."

Auf verschiedenen Tagungen machte sich der Projektleiter auf die Suche nach Hilfe für die Umstellung der AS/400-Applikation. "Überraschenderweise war von der IBM dort nicht viel zu sehen", erinnert sich Rauschkolb. Die angebotenen Werkzeuge anderer Anbieter vermochten ihn auch nicht zu überzeugen, zumal die meisten zwar Analysefunktionen, aber weder eine automatische Konvertierung noch Testhilfen boten.

Außerdem gingen viele der Angebote richtig ins Geld. Unter den Alternativen, die Rauschkolb einer Prüfung unterzog, war beispielsweise ein Pauschalangebot, das für die Umstellung einen zweistelligen Pfennigbetrag pro Line of Code veranschlagte. Die SMH-Software setzte sich aus 350000 Cobol- und 160000 RPG-Statements in 550 Programmen mit mehr als 500 physikalischen Dateien zusammen. "Da wäre schnell ein nettes Sümmchen zusammengekommen", konstatiert der Projektleiter.

Mehr oder weniger zufällig erfuhr Rauschkolb von dem Produkt "Bypass 2000" des italienischen Anbieters HAL Informatica, der sich hierzulande in Rehlingen angesiedelt hat. Das Tool, das ursprünglich für die Software-Umstellung von MVS nach OS/400 konzipiert war, beherrscht sowohl die Analyse als auch die teilautomatische Anpassung von Quellcodes. Diese Funktionen lassen sich gleichfalls für die Umstellung von Datumsfeldern nutzen.

Im ersten Schritt analysiert das Werkzeug die bestehenden Programm- und Datenstrukturen und ermittelt, wo sich mutmaßliche Datumsfelder befinden. Haben die Entwickler die relevanten Felder identifiziert, erstellt das Tool eine Übersicht darüber, wie sie sich in den Programmen und Dateien fortpflanzen, und nimmt die Änderungen vor. Zuvor muß sich der Entwickler allerdings entscheiden, ob er das Datum auf ein achtstelliges Feld umstellen oder den Weg über eine "Windowing"-Funktion gehen will. Im letzteren Fall bleibt das sechsstellige Datum bestehen; bei Berechnungen wird es jedoch wie ein achtstelliges behandelt, indem das System Jahreszahlen ab 50 dem 20. Jahrhundert, kleinere hingegen dem 21. zuordnet.

Im Dezember vergangenen Jahres brachte HAL ein AS/400-Modell 40 S, auf dem die Bypass-Software installiert war, in das SMH-Rechenzentrum. Das eigentliche Projekt startete am 20. Januar 1998. Mit Ausnahme einiger weniger Programme, die ohnehin inhaltlich überarbeitet und neu programmiert werden sollten, war die Umstellung der gesamten Kontenverwaltungs-Software das Ziel. Neben dem Projektleiter waren zwei Mitarbeiter permanent und drei sporadisch an dem Vorhaben beteiligt.

Die dreitägige Schulung, bei der das SMH-Team im Umgang mit dem Konvertierungs-Tool fit gemacht wurde, erfolgte bereits am lebenden Objekt - genauer gesagt: an der Teilanwendung Wechselbestandsführung. Dabei zeigte sich, daß das Werkzeug auch eingesetzt werden konnte, um Daten zu bereinigen, bei denen die Tages- und Monatsfelder vertauscht worden waren. Die Vorphase diente aber vor allem der Bestimmung, welche Programme und Dateien entfallen sollten oder durch geplante Neuprogrammierungen zu ersetzen waren.

Nachdem die Kontenverwaltung auf den Umstellungsrechner aufgespielt war, nahm das Werkzeug eine Analyse der Programm- und Datenstrukturen vor. Bei der darauffolgenden "Ankerfeld-Bestimmung" identifizierte es diejenigen Jahresfelder im Datum, die auf vier Stellen zu erweitern waren, und verwies auf die Stellen, die manuelle Eingriffe erforderten. "Dann lag es an uns, die Hinweise, Kommentare und Fragen abzuarbeiten, die das Konvertierungs-Tool während des Prozesses erstellt hatte", erinnert sich Rauschkolb.

Auf diesen als Seeding bezeichneten Identifikationsprozeß folgte die Verbreitungsanalyse (Propagation), das Herzstück des gesamten Umstellungsvorgangs. Schließlich konnten die betroffenen Statements und Datenfelder korrigiert werden - über weite Teile ohne manuelle Eingriffe des Projektteams. Es mußte nur dann Hand anlegen, wenn das Werkzeug aus den vorliegenden Informationen keine eindeutige Anweisung generieren konnte. "Die Aufgaben der Programmierer lagen dabei nicht im Suchen und Ändern, sondern im Überprüfen und Testen," betont Rauschkolb.

De facto war die Erweiterung auf achtstellige Datumsfelder bei der SMH eher die Ausnahme als die Regel. In etwa zwei Dritteln der Fälle entschied das Projektteam, es bei den sechsstelligen Daten zu belassen und die "Win- dowing"-Technik zu nutzen.

Im Juni dieses Jahres kam das Projekt zu seinem offiziellen Abschluß - mit der Übertragung der Daten von der Umstellungsmaschine auf den Produktionsrechner der SMH-Bank. 320 Cobol- und 230 RPG-Programme waren untersucht und mehr als eine halbe Million Lines of Code bearbeitet worden. "Damit haben wir die Funktionalität unserer Kontenverwaltung bewahrt, die durch ihre Individualität faktisch nicht zu ersetzen gewesen wäre," freut sich Entwicklungsleiter Mack.

Zeitbedarf und Kosten hielten sich dabei im Rahmen. Das Projekt nahm sechs Monate in Anspruch und verschlang 80000 Mark. Knapp 50000 Mark entfielen auf die Softwarelizenz sowie die Schulungs- und Supportleistungen der HAL Informatica; der Rest floß in die Miete des Umstellungsrechners.

Besonderen Wert legte die SMH auf die Probeläufe. Dazu Rauschkolb: "Das Testen der umgestellten Programme ist die zugleich längste und wichtigste Phase. Die Berichte der Analysten überschlagen sich, was die Höhe der prognostizierten Testing-Anteile bei Jahr-2000-Projekten betrifft." Dank der Hilfe-Routinen des Bypass-Tools habe die Testphase in seinem Projekt aber nur einige Wochen gedauert.

Allerdings sind Rauschkolb und seine Mitarbeiter derzeit noch mit einem abschließenden Testlauf beschäftigt. Sie simulieren im Rechner einen Tages-, einen Monats- und einen Jahresabschluß zum 30. und 31. Dezember 1999 beziehungsweise zum ersten Arbeitstag des Jahres 2000. Dafür verwenden sie die Daten von Ende Juli und Anfang August des laufenden Jahres, die sie per Rechnersimulation um 518 Tage in die Zukunft verschieben. Erst wenn diese "künstliche Datenalterung" zu denselben Ergebnissen kommt wie die realen Berechnungen aus diesem Jahr, kann die SMH dem Millenniumswechsel beruhigt entgegensehen.

DAS UNTERNEHMEN

Vor knapp 30 Jahren aus der Fusion dreier Privatbanken hervorgegangen, hat sich die Schröder Münchmeyer Hengst AG vor allem im deutschen Wertpapiergeschäft hervorgetan. 220 der insgesamt 400 Mitarbeiter arbeiten am Börsenstandort Frankfurt am Main, die übrigen sind am Stammsitz Hamburg sowie in den Niederlassungen Berlin, München, Offenbach und Luxemburg beschäftigt. Vor etwa einem Jahr wurde die SMH-Bank von der Schweizer Bankgesellschaft, Zürich, übernommen, die kurz darauf mit dem Schweizerischen Bankverein zur Union Bank of Switzerland (UBS) fusionierte. Zuvor hatte der private Finanzdienstleister 14 Jahre zum britischen Lloyd TSB gehört. Mit Ausnahme der Luxemburger Dependance greifen alle SMH-Standorte per Standleitung auf eine in Offenbach installierte AS/400-Umgebung zu. Als Produktionsrechner fungiert ein Modell 320, als Backup-Maschine eine 310.