US-Mutter hält deutsche Tochter an zu kurzer Leine:

Prime-Mitarbeiter flüchten in Scharen

21.08.1981

WIESBADEN - Die bisher zu kurze Leine der US-Mutter könnte die ehrgeizigen Ziele der deutschen Prime GmbH abwürgen. Eine regelrechte Massenflucht im Management des Wiesbadener Minicomputer-Anbieters war die erste Folge überzogener Umsatzziele. Hoffnungen werden jetzt auf die neuen US-Bosse gesetzt.

Optimistisch gab sich Herbert Bechtel noch im April dieses Jahres, als er mit der Präsentation des neuen 32-Bit-Rechners "850" sein Debut als neuer Prime-Geschäftsführer abgab. Zwei große Ziele hatte der 34jährige Senkrechtstarter vor Augen: Technischwissenschaftliche Anwender wollte er zu einer "Mischehe" mit der kommerziellen DV bewegen. Als Ziel noch höher gesteckt, sollte der Gesamtumsatz in diesem Geschäftsjahr um fünfzig Prozent nach oben katapultiert werden. Dazu war schon ein Zwanzig-Prozent-Anteil der Kinder aus der Mischehe geplant.

Vier Monate nach Bechtels Verheißung gilt sein Konzept schon als "vorläufig gescheitert" Was der Ex-Wang-Chef damals offenbar nicht wußte, wird jetzt umso deutlicher: Bereits Anfang dieses Jahres begann es in den Vertriebsreihen der GmbH "an allen Ecken und Enden zu knistern", wie Prime-Kenner behaupten. Überzogene Umsatzvorstellungen der amerikanischen Mutter hätten die Verkaufsmannen demoralisiert. Meuterei war die Folge. Zusätzliche Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Deutschland-Boß - die Bechtel keineswegs bestreitet - ließen das Faß überlaufen. Nach und nach lichtete sich daraufhin das gesamte Prime-Management. Innerhalb eines halben Jahres warfen neben zahlreichen Verkäufern vor allem gestandene Manager das Handtuch, wurden gefeuert oder "vorübergehend beurlaubt":

- Horst Reinhard, Verkaufsleiter Deutschland

- Hans Dirk Paulsen, Distrikt-Leiter Nord,

- Wolfgang Marcour, Distrikt-Leiter Mitte,

- Eberhard Witte, OEM-Manager,

- Karl-Ullrich Brüll, Leiter "Zentraler System-Report" und

- Bernhard Otremba, Personal-Manager.

Hans-Dieter Holler, der Anfang 1981 seinen Posten als Prime-Geschäftsführer gegen einen konzerninternen OEM-Job in Spanien tauschte, wechselte Mitte August zum Mini- und Terminal-Hersteller Harris (siehe CW Nr. 33/81).

In Anbetracht dieser Massenflucht halten "Prime-Geschaßte" die Bechtelschen Ambitionen im kommerziellen DV-Markt vorerst für fehlgeschlagen. Zwar hätten die Wiesbadener bereits eine Million in dieses Engagement hineingepulvert. Aber inzwischen gebe es in diesem Geschäftsbereich keinen einzigen Mitarbeiter mehr. Auch die erfolgversprechende 850 konnte noch nicht an den Mann gebracht werden. Verkaufsprämien von 10 000 Mark pro Maschine sollen jetzt für schnellen Umsatz sorgen. Angesichts einer angeschlagenen Verkäufer-Crew ein schwieriges Unterterfangen, wie ein Ex-Distrikt-Leiter beschäftigt.

Was Bechtel im April verschwieg, äußern jetzt freimütig die Gekündigten: Wenn auch die GmbH im letzten Jahr umsatzmäßig wieder zugelegt habe, seien jedoch erstmaIs die US-Vorgaben unerfüllt geblieben. So hätten die Wiesbadener das Umsatzziel um glatt dreißig Prozent verfehlt, in der Gewinnrichtung seien sie sogar um fünfzig Prozent vom Wege abgekommen. Diese Einbußen hatten Folgen. Reorganisationsmaßnahmen sollten Marketing und Vertrieb nun Beine machen. Frei nach dem Motto "Wir bauen das beste Produkt der Welt und das hat auch in Deutschland zu passen - und wenn der Dollar steigt, müssen eben die Preise angezogen werden". Bechtel griff auf die klotzige US-Philosophie zurück. Weniger erfolgreichen Verkäufern wurde gekündigt, andere gingen von selbst.

Wie von den Geschäftsstellen zu erfahren ist, seien allein im Distrikt Mitte von einstmals acht Leute sechs gegangen. Von der einst stolzen Hamburger Verkaufsmannschaft blieben ebenfalls nur zwei Mitarbeiter übrig. Im Süden hätte insgesamt drei Mitarbeiter die Sehnsucht gepackt. "Mit eingefrorenem Personalbestand sollten wir plötzlich doppelten Umsatz machen", ärgert sich ein Ex-VB.

Gravierende Entscheidungsbeschränkungen der Distrikt-Leiter rief auch auf oberster Verkaufsebene Frustration hervor, so der Originalton eines Frustrierten. Der gesamte Auftragsprozeß einschließlich der simplen Auftragsannahme hätte fortan zentral abgewickelt werden müssen. "Man saß beim Kunden wie ein dummer Junge, der bei jeder Kleinigkeit den Pappi in Wiesbaden fragen muß", grämt sich ein Ex-Distrikt-Chef noch im Nachhinein.

Bechtels Frust-Aktionen seien Prime-Kennern zufolge eindeutig in den verstärkten Kontrollen der US-Bosse begründet. Bei vielen Entscheidungen seien selbst dem Deutschland-Geschäftsführer die Hände gebunden. Dagegen behauptet Bechtel: "Es trifft zwar zu, daß viele deutsche US-Töchter Direktiven von der Mutter bekommen. Das ist bei Prime aber absolut nicht der Fall." Auch zukünftig wolle er sich keine Umsatzzahlen "aufs Auge drücken" lassen.

Prime-Mitarbeiter sehen dies völlig anders: Mittelmäßigkeit bei der Mutter habe dazu geführt, daß das US-Management nicht mehr über den eigenen Tellerrand blicken könne. Noch vor kurzem hätten Leute Kontrolle über internationale Management-Positionen ausgeübt, die nie über die Grenzen von Massachusets hinausgekommen seien. Daher brachten die US-Oberen auch nur wenig Verständnis für europäische Größenordnungen auf Amerikanische Vorstellungen über Profit, Wachstum und Investitionen seien häufig übertrieben gewesen. Dies habe auch in anderen Ländern Unruhe nach sich gezogen. Die französische Prime-Tochter sei massiv gegen die US-Vorhaben angerannt. In Deutschland seien indessen schon zu Hollers Zeiten Planziele stillschweigend hingenommen worden.

Mit dem unfreiwilligen Abgang von Prime-Präsident Kenneth Fisher im letzten Monat (siehe CW Nr. 30/81) und weiteren Top-Managern in seinem Gefolge habe nach Ansicht von Prime-Beobachtern die US-Mutter einen Markstein für eine neue Europa-Politik gesetzt. Unter den Wiesbadener Mitarbeitern wird der Führungswechsel in Natick positiv aufgenommen. Die neuen Leute seien von einem ganz anderen Kaliber: Schon lange im internationalen Business tätig und bereit, zuzuhören.