Preise und Softwareverfügbarkeit sprechen für PCs: Börsenjobber pfeifen auf Workstations

03.03.1989

FRAMINGHAM (IDG) - Unix-Workstations verlieren gegen Hochleistungs-PCs in einem Bereich an Boden, der sich durch einen großen Leistungshunger auszeichnet: die Börsen und Banken der New Yorker Wall Street. Der Trend überrascht selbst Insider.

Ursprünglich hatten die Finanzfachleute eine Hardware gesucht die sämtliche Funktionen ihrer Spezialterminals übernehmen und zusammenfassen konnte. Dafür schienen die multitaskingfähigen Unix-Workstations wie geschaffen. Aber Multitasking ist nicht länger eine Domäne der teuren Workstations, mittlerweile gibt es auch für PCs Multitasking-Betriebssysteme. Sie versetzen diese in die Lage, mehr als einen Job zur gleichen Zeit zu tun. "Wenn es um die Kosten für Workstations geht, ist meine Frage: Kann ich das auch mit einem PC machen?" erklärte James Stoddard die Situation (Vice President der Fidelity Software Development Co, die ihrerseits wieder eine Tochter des Bostoner Maklerunternehmens Fidelity Instruments ist).

Eine Anzahl speziell maßgeschneiderter Multitasking-Betriebssysteme sowie Microsoft Windows ermöglichen den PCs den Online-Zugriff auf die ständig wechselnden Aktienkurse - ein Essential für Börsenjobber.

Aus den Statements von Fidelity und mehr als einem Dutzend weiterer befragter Geldhändler und Broker geht eindeutig hervor: Für die meisten Aufgaben genügt ein PC. Nachdem der Börsenkrach von 1987 die Budgets in Wall Street hatte drastisch schrumpfen lassen, ist eine Unix-Workstation für 15 000 bis 20 000 Dollar nicht mehr automatisch der Gewinner bei einem Beschaffungsvorhaben. Auf der Kundenliste der PC-Lieferanten finden sich mittlerweile so illustre Namen wie Merril Lynch & Co, Nasdaq, Goldman Sachs & Co, die Charles Schwab Corp. oder Shearson Lehman Hutton.

"Die Unix-Workstations haben nicht annähernd die Versprechen ihrer Anbieter erfüllt", resümiert der für lokale Vernetzung zuständige Manager von Bear, Stearns & Co. Er vertrat die Ansicht, daß die von seinem Unternehmen angekauften Sun-Workstations "ihr Geld nicht wert" sein. Dafür sei der Mangel an Software verantwortlich sowie der Entwicklungsaufwand, der getrieben werden müsse, um die Maschine einsatzfähig zu machen. Als Konsequenz seiner schlechten Erfahrungen führt Bear, Steorns & Co. jetzt neue Evaluationen durch; möglicherweise wird das Unternehmen künftig Unix den Rücken kehren.

Obwohl Fidelity mehr als 50 Sun-Rechner beschafft hat, glaubt Vice President Stoddard, daß ein High-End-PC unter Windows mit der entsprechenden Integrationssoftware in der Leistung "nahe genug" an eine Unix-Workstation herankomme.

Dabei hatte es eine Zeit gegeben, in der der Brokermarkt fest in der Hand der Workstation-Lieferanten war. 1986 gelang es Sun, in der Finanzszene Fuß zu fassen und sich einen Marktanteil von 87 Prozent zu sichern. Aber jetzt scheint für diese Anbieter eine wesentlich agressivere Strategie vonnöten, um die Wall Street bei der Stange zu halten.

So sind, immer noch als Folgelast des Börsenkrachs, die Beschaffungsetats kleiner geworden, die PCs jedoch leistungsfähiger - und billiger. Während für eine Unix-Workstation im Durchschnitt 20 000 Dollar hinzublättern sind, ist selbst ein absoluter High-End-PC für die Hälfte zu haben. Dazu kommt, daß viel Software für die Workstations erst noch entwickelt oder angepaßt werden muß. Für die PCs ist sie dagegen bereits vorhanden, und läßt sich mit wenig oder keinem Aufwand sowohl auf künftige Betriebssystemumgebungen (OS/2) als auch Prozessoren (80486) portieren.

Die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Rechnerwelt ist jedoch mitnichten schon gefallen. Für viele User stellen die Workstations immer noch den Weg in die Zukunft dar. So findet etwa Don Trogan, verantwortlicher Manager für den Handel mit Dividendenpapieren bei Merril Lynch, MS-DOS, Windows und auch OS/2 zu limitiert für Anwendungen, die mit sehr großen Datenmengen arbeiten. Er weiß auch die in der Unix-Welt vorherrschende Unabhängigkeit der Anwendungen von ihrer Hardwarebasis zu schätzen. "Wir versuchen unsere (Hardware)-Plattform offen und flexibel zu halten", erklärte der Börsenmakler. "Das bedeutet die Verwendung von C, TCP/IP, X. 11 und Unix".