IT in Versicherungen/Customer-Relationship-Management: Mehr als eine Systemevaluation

Praxiserprobte Rezepte für CRM

15.02.2002
Customer-Relationship-Management (CRM) kann in Versicherungsunternehmen sehr unterschiedliche Formen annehmen, doch stets muss sich das Management der Kundenbeziehungen in historisch gewachsene Umgebungen einfügen. Bevor es aber um die eigentliche CRM-Software geht, müssen Hausaufgaben gemacht werden. Von Rainer Hiss*

CRM ist für die einen ein Erfolgsrezept, für die anderen eine Worthülse. Was damit gemeint sein soll, ist von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Das gilt auch für größere Versicherer. Eines ist jedoch fast allen gemein: die Herausforderung, eine CRM-Lösung zu entwickeln, die sich in eine historisch gewachsene Umgebung integriert. Denn ideale Voraussetzungen existieren so gut wie nie, im Gegenteil: Spartenorientierte Organisation, heterogene Systemlandschaften, gewachsene Prozesse und länderspezifische Eigenheiten sind an der Tagesordnung. Damit ist es völlig unpassend, wenn als Problemlösung allzu schnell die Softwarekarte ins Spiel gebracht wird. Denn bevor es um Software geht, sind einige Hausaufgaben zu machen.

Zum Beispiel die Optimierung des Beziehungs-Managements bei einem Versicherungsunternehmen, das europaweit agiert und durch Akquisition diverser lokaler Versicherungsunternehmen in den verschiedenen Märkten gewachsen ist. Das Unternehmen ist in Business Units gegliedert; jede repräsentiert eine Ländereinheit, die sich auf System- und Prozessebene sehr unterschiedlich darstellt. Innerhalb dieser Einheiten haben sich aus den lokalen Bedürfnissen heraus Systeme und Prozesse im Sinne von CRM etabliert. Unvermeidliche Konsequenz daraus: Das Unternehmen weist weder einheitliche, koordinierte Marketing- und Vertriebsaktivitäten auf, noch agiert es mit homogenen und zielkonformen Philosophien im Umgang mit ihren Kunden und Kundendaten. Vergeblich suchte man nach Ansätzen für ein besseres Kundenbeziehungs-Management, eine unternehmensweite Datenbasis oder kostensenkende Ansätze durch eine Vereinheitlichung der Systemlandschaft. Es liegt nahe, dass die Unternehmensspitze hier begann, nach einer CRM-Lösung Ausschau zu halten. Doch CRM-Lösung heißt nicht CRM-Softwarelösung, und der Weg dahin ist weit mehr als eine Systemevaluation.

Sich an die Roadmap haltenUm dieses vielschichtige und komplexe Problem zu lösen, müssen sich die Berater an ein klares Vorgehen - eine CRM-Roadmap - halten, das letztendlich zu einer homogenen und hochwertigen CRM-Lösung führt. Die Roadmap leitet von der Konzeption und Evaluation über die Geschäftsprozessoptimierung bis hin zur Realisation und Einführung eines CRM-Systems. Die ersten Schritte bis zur Definition einer Zielarchitektur, die Basis für die Bestimmung der CRM-Softwarelösung, sehen so aus:

-Frühzeitiges Buy-in: Über die CRM- Roadmap werden alle beteiligten Stakeholder in das strategische Projekt frühzeitig integriert. Viele CRM-Projekte scheitern an unklaren und schlecht kommunizierten Schritten sowie der mangelnden Akzeptanz der Systemanwender. Gerade in der Versicherungswirtschaft ist das Know-how über den Kunden das Kapital der Versicherungsvertreter und der Agenturen. Die Bereitschaft zu Veränderungen ist hier gering, besonders wenn es darum geht, Kundeninformationen in ein System zu liefern. Bereits minimale Eingaben werden als unnötige und zeitraubende Belastung angesehen. Aus diesem Grund ist es notwendig, den Anwendern und den Verantwortlichen aufzuzeigen, dass sie vom System im Gegenzug einen entsprechenden Mehrwert erhalten.

-Zieldefinition, Prozessoptimierung und Aufbauorganisation: Nachdem im ersten Schritt die strategischen Zielsetzungen klar festgelegt und kommuniziert wurden, steht im nächsten Schritt die Optimierung der Geschäftsprozesse an. Aber wie? Bei dem erwähnten Versicherungsunternehmen hat sich eine Benchmarking-Studie bewährt. Darin werden die bestehenden technischen Lösungen und Geschäftsprozesse der Business Units anhand einer Landkarte einander gegenübergestellt, um "best practices" zu identifizieren und diese in eine neue Lösung optimal zu integrieren sowie weiterzuentwickeln. Denn vieles, was an der Front gelebt und praktiziert wird, hat sich im Sinne von CRM bewährt. Bietet ein neues System innerhalb der bestehenden Prozessen wesentliche Verbesserungen und Unterstützungen an, steigt die Akzeptanz. Ein weiterer Vorteil der Benchmarking-Studie ist die Tatsache, dass alle Beteiligten einbezogen werden und so die Möglichkeit besteht, ein einheitliches CRM- Verständnis im Unternehmen zu etablieren.

-Architekturen führen zur Lösung: Erst nach diesen Vorarbeiten ist es sinnvoll, sich dem Entwurf einer CRM-Lösungsarchitektur zu widmen. Diese ist abhängig von den individuellen, strategischen Zielen, gesetzlichen wie organisatorischen Rahmenbedingungen und Ausprägungen eines Unternehmens. Eine Standardantwort gibt es nicht. Ein zentrales CRM-System mit zentralisierter Datenbasis und Wartung ist ebenso denkbar wie lokale, individuelle Lösungen, die sich an individuellen Bedürfnissen orientieren. Jede Lösungsvariante hat starken Einfluss auf die zu wählenden Standardsoftwarelösungen und -komponenten. Bei Variante 4 sind kleine, schnell zu realisierende Standardsoftwarelösungen einsetzbar, dagegen ist bei Variante 1 der Einsatz von komplexen Softwarelösungen erforderlich, die für Großunternehmen ausgelegt sind.

In der Praxis kommt oft ein Mix zum Einsatz, nämlich ein zentraler Ansatz, der mit dezentralen Ausprägungen gekoppelt ist. Er vereint die Vorteile eines zentralen Systems mit denen individueller Lösungen, ist aber die komplexeste und anspruchsvollste Variante. Einen solchen Weg wählten zum Beispiel die Zürich Versicherung und die Winterthur Versicherung. Die Zürich Versicherung setzt auf eine einheitliche Plattform auf Basis von Siebel-Komponenten, die durch zusätzliche Lösungen erweitert werden. Winterthur entwickelte, vom selben Ansatz ausgehend, eine europaweite CRM-Lösung, in der Softwarekomponenten nach der Best-of-Breed-Idee zusammengestellt sind.

Alle aufgeführten Lösungen lassen sich anhand einer idealtypischen Architektur, einem CRM-Blueprint, positionieren. Dieser zeigt ein komplettes Bild der Lösungsarchitektur inklusive Kundenkontaktmedien, Kanälen und operativen Systemen und bildet die Ist-Situation innerhalb eines Versicherungsunternehmens ab, der dann die skizzierte Soll-Lösung gegenübergestellt wird. So können nicht abgedeckte Bereiche identifiziert, priorisiert und gegebenenfalls im Rahmen der Lösung beseitigt werden. Standardsoftwarelösungen lassen sich damit positionieren. Es ist möglich, sowohl Kontextmodelle und Datenflüsse als auch Schnittstellen-Definitionen zu designen und zu visualisieren. Jeder Baustein des Blueprints kann dabei einer weiteren detaillierten Betrachtung unterzogen werden. Praktiker schätzen solche Blueprints als wertvolles Instrument, um relevante Personen und Rollen ins Projekt zu integrieren.

Fazit: Die komplexen Aufgaben in Bezug auf CRM lassen sich in den seltensten Fällen einfach durch das Überstülpen einer beliebigen Softwarelösung bewältigen. Vielmehr steht die Entscheidung für eine Lösungsvariante im Kontext der Unternehmensstrategie und -kultur sowie der bestehenden Lösungen und der ökonomischen Rahmenbedingungen. Bei Versicherungsunternehmen führt das immer öfter zu einem Mix aus den bestehenden und den am besten geeigneten Standardlösungen. Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung ist ein standardisiertes Vorgehensmodell - von der Formulierung der CRM-Strategie bis hin zum operativen System. (bi)

*Dr. Rainer Hiss ist Business Area Manager CRM Solutions bei der Systor AG in Köln.