Standardsoftware

Praxisbezug wichtiger als neue Ideen

05.11.1999
Schlagworte, Visionen und Kürzel geistern durch die betriebswirtschaftliche IT-Welt: Vom Application Service Provider (ASP) über E-Commerce bis zum Supply-Chain-Management (SCM), vom Customer-Relationship-Management (CRM) bis zur Komponententechnologie reichen die aktuellen Themen. Doch was wollen die Unternehmen wirklich? Johannes Kelch* hat leitende IT-Manager befragt.

Warum sollte sich ein Unternehmen betriebswirtschaftliche Software anschaffen, individualisieren, warten und pflegen? Die benötigte Leistung kann es schneller und billiger von einem spezialisierten und versierten Dienstleister beziehen. Schon offerieren Application Service Provider (ASP) die betriebswirtschaftliche Software aus der Steckdose. Doch die befragten IT-Verantwortlichen aus der Wirtschaft verschmähen diese Art von Service. Die ASPs finden vorerst offenbar noch wenig Gegenliebe.

"Durchaus ein Thema" war vor einiger Zeit die Zusammenarbeit mit einem Application Service Provider für Reinhard Mittel- staedt, Leiter der Abteilung Informationssysteme bei der traditionsreichen Paulaner-Brauerei in München. Doch hat er sich schließlich dagegen entschieden. Die Abhängigkeit von vielen nicht beeinflußbaren Faktoren, zum Beispiel unsicheren Datenleitungen, hielt Mittelstaedt davon ab, sich ernsthaft auf die Suche nach einem ASP zu begeben. Statt dessen kümmert er sich energisch um Notfall- und Hochverfügbarkeitssysteme. Das Bier muß schnell vom Hof, schon am nächsten Tag ist es nicht mehr zu verkaufen. Eine lahmgelegte DV wäre da fatal.

Herbert Asanger, beim ADAC für die Systemprogrammierung zuständig, kann sich immerhin "vorstellen, daß auch kleinere Unternehmen SAP R/3 einkaufen". Für den ADAC komme jedoch diese "durchaus interessante Alternative zu bestehenden Anwendungen" nicht in Frage. "Rein technisch" sieht er keine Schwierigkeiten, doch Datenschützer hätten "erhebliche Kopfschmerzen, wenn die Daten beim Provider rumliegen". Gefragt sei hier eine "saubere, hundertprozentige Lösung".

Friedrich Guth, Leiter der Informationsverarbeitung beim Fertighaus-Hersteller Weberhaus in Rheinau-Linx, hält die Kooperation mit einem ASP für "schwierig". Die bisherigen Erfahrungen mit derartigen Anbietern seien "eher negativ". Besser kann sich Guth vorstellen, die Pflege des Wide Area Network (WAN) auszulagern.

Heike Wagner, Leiterin des Controlling beim Portugal- und Italien-Reisespezialisten Olimar in Köln, findet, die eigenen Anwendungen seien "viel zu individuell", als daß sie extern von einem Dienstleister bezogen werden könnten. Wenn überhaupt, so sei allenfalls die System-Administration nach außen zu geben.

Alter Wein in neuen Schläuchen

"Nein" sagt auch der Leiter des Informationsmanagements Christoph Kleu beim Aachener Arzneimittel-Hersteller Grünenthal auf die Frage, ob er sich die Zusammenarbeit mit einem ASP vorstellen könne. Sicherheitsprobleme und die individuellen Eigenheiten einer jeden Firma stünden der Übertragung von Aufgaben an externe Dienstleister entgegen. Immerhin hält es Kleu für möglich, daß "die Situation in drei bis fünf Jahren anders aussieht".

Bei produzierenden Unternehmen, die zum Thema Supply-Chain-Management (SCM) befragt wurden, kommt die Idee der Rationalisierung der Wertschöpfungskette über Unternehmensgrenzen hinweg nicht gut an. Friedrich Guth von Weberhaus wertet SCM lediglich als "alten Wein in neuen Schläuchen" entschieden ab. Weberhaus betreibt den Datenaustausch und die betriebsübergreifende Analyse in der Zusammenarbeit mit den Zulieferern bereits seit Jahren über die Produktionsplanung und Logistik. Eine Verbesserung an dieser Front "strebe man nicht mit hoher Priorität an", so Guth.

Ähnlich stellt sich die Lage bei Paulaner dar. Zwar drängt der Getränke-Fachgroßhandel bereits die Brauerei, etwas zu tun, und Abteilungsleiter Mittelstaedt hält SCM für "sinnig". Doch die IT-Abteilung konzentriert sich gegenwärtig auf die SAP-R/3-Einführung, die indirekt später die Rationalisierung der Wertschöpfungskette durch optimierte Planung und Analyse möglich machen soll.

Für reine Dienstleistungsunternehmen außerhalb des Handels, beispielsweise das Touristik-Unternehmen Olimar, spielt SCM überhaupt keine Rolle.

Alle befragten Unternehmen schreiben sich den E-Commerce auf die Fahnen, allerdings mit mehr Zurückhaltung als Euphorie. Besonders deutlich zeigt sich das an der Position von Heike Wagner von Olimar Reisen. Schon kann der Internet-Surfer auf der Website des Spezialveranstalters detaillierte Informationen abrufen und eine Reise per E-Mail buchen, doch bekommt er damit noch nicht die Garantie, daß ein Platz in der gewünschten Maschine oder ein Bett im bevorzugten Hotel frei ist. Das soll sich bald aber ändern. An der Schnittstelle wird bereits gearbeitet, so daß der Reisewillige Auskunft über freie Plätze und die Buchung online - über das Reisebüro - bestätigt bekommt.

Dennoch bleibt Heike Wagner skeptisch: "Das Internet ist nicht alles". Für sie stelle es nur "ein zusätzliches Medium dar, mit dem man Interesse wecken und Informationen vermitteln könne". Gerade für einen Spezialveranstalter wie Olimar, der viele besondere Wünsche erfüllt und nicht mit Dumping-Angeboten lockt, läßt sich laut Wagner die persönliche Beratung "nicht gänzlich umgehen". Das individuelle Gespräch führe dazu, daß der Kunde seine Entscheidung "qualitativ und nicht nur preislich" treffe. Der menschliche Kontakt sei auch das, "was den Reiseveranstalter bekannt und beliebt macht". Nach ihren Erfahrungen kehren sogar Geschäftskunden aus dem Internet wieder zurück in ihr vertrautes Reisebüro, um gemeinsam mit ihrem persönlichen Kundenberater die nächste Tour zu planen.

Eher gedämpfte Stimmung verbreitet auch Herbert Asanger vom ADAC beim Stichwort E-Commerce. Schon heute gibt es in der ADAC Reise GmbH Online-Abfragen bei Autoverleih-Firmen. Künftig will man auch Reservierungen über den Rechner tätigen. Darüber hinaus denkt man bei dem Automobilclub beispielsweise darüber nach, ob die Büromaterial-Bestellung für den internen Betrieb nicht elektronisch erledigt werden könnte.

Weberhaus und Paulaner interessieren sich für E-Commerce nur als Business-to-Business. Guth hält es nämlich für "schwierig, ganze Häuser übers Internet zu verkaufen".

Grünenthal kann ebenfalls die eigenen Produkte - apothekenpflichtige Arzneimittel - nicht übers Internet verkaufen. Allenfalls andere Länder, wo deutsche Gesetze nicht gelten, erlaubten es, daß Kunden bestimmte Tropfen und Tabletten auf elektronischem Wege bestellen.

Erste Ansätze verwirklicht

Zwar denkt keiner der befragten IT-Manager bereits an die Anschaffung einer reinen Spezialsoftware für Customer-Relationships-Management, die Kundenkontakte dokumentiert und analysiert, spezielle Wünsche und Bedarfe aufdeckt und auf der Basis solcher Erkenntnisse eine individuelle Ansprache der Kunden zuläßt. Doch Ansätze finden sich bereits. So sind bei Weberhaus bereits erste Funktionen einer derartigen Software im Einsatz; ein "Interessenten-Management" unterstützt die Aquisition.

In Richtung CRM bewegt sich auch der Pharma-Hersteller Grünenthal nach Auskunft von IT-Chef Kleu. Verbraucherinformationen und Service-Dienstleistungen für die Kunden haben einen hohen Stellenwert. Für Kleu ist CRM softwaretechnisch "noch nicht ausgereift". Kleu wörtlich: "Es gibt sehr interessante Ansätze, aber sie liegen noch weit von der alltäglichen Praxis hierzulande entfernt."

Bei Olimar begreift man CRM durchaus als ein Thema. Erste Ansätze bietet bereits die "Haussoftware". Sie ermöglicht es den Mitarbeitern, am Rechner unter den Agenturnummern die letzten Kontakte nachzuvollziehen. Auch der ADAC denkt über CRM nach, anders als bei Paulaner, wo derzeit kein Bedarf gesehen wird.

Bei keinem anderen Stichwort zeigten sich die befragten IT-Fachleute aus der Wirtschaft so einig wie bei der Komponententechnologie. Einhelliger Tenor: Die Idee ist gut, aber realitätsfern.

IT-Chef Mittelstaedt von Paulaner findet die Vorstellung "wunderbar, nur so viel Funktionalität einzukaufen, wie man braucht". Er befürchtet aber, daß die Abstimmung von Komponenten unterschiedlicher Hersteller "äußerst schwierig zu entwickeln ist".

Herbert Asanger vom ADAC bemängelt, auch bei der Komponententechnik handele es sich um den "Anzug von der Stange". Nur ein Maßanzug, also die Eigenentwicklung, könne genau das abbilden, was ein Unternehmen brauche. Komponenten ließen sich erst dann "sinnvoll einsetzen, wenn die Schnittstellen definiert und fixiert sind", da sonst das Chaos drohe. Softwarehersteller konzentrierten sich aber erfahrungsgemäß zuerst auf die Anwendungen und schauten "erst in zweiter Linie" auf die Kompatibilität. Asanger weiter: "Um den richtigen Weg zu finden, muß man noch viel Gehirnschmalz investieren."

Friedrich Guth wird beim Stichwort Komponententechnik fast sakastisch: "Die Idee ist von der Praxis extrem weit entfernt." Schon der Plattformwechsel einer Software innerhalb der R/3-Welt verursache erfahrungsgemäß erheblichen Aufwand und Consulting-Kosten. Weitaus schwieriger sei es aber, Software wie "Duplo und Lego" zusammenzusetzen.

Ebenfalls auf Komponententechnologie angesprochen, antwortet Christoph Kleu, es handele sich dabei um einen "sehr schönen Traum, den die Automobilindustrie umgesetzt" habe. Von "wilden Mixturen" sei die Softwarebranche aber noch weit entfernt. In Wirklichkeit konzentrierten sich die IT-Lösungen in den Unternehmen immer stärker auf einen einzigen Softwarehersteller.

Supply-Chain-Management

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wissen noch nicht, was sie mit einer verbesserten Wertschöpfungskette über Unternehmensgrenzen hinweg erreichen können. Zu dieser Diagnose kommt Frank Gehr vom Supply-Chain-Management Competence & Transfer Center (SCM-CTC) der Fraunhofer-Gesellschaft. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien gebe es fünfmal so viele laufende SCM-Projekte bei führenden Anbietern wie in der Bundesrepublik. Deutschland sei "als Markt noch nicht erschlossen".

Das 1999 von drei Fraunhofer-Instituten gebildete SCM-CTC hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Unternehmen über "immense Rationalisierungspotentiale" aufzuklären. Bislang wurden zu diesem Zweck Branchenkreise gebildet. Drei Branchen gehören laut Gehr zu Vorreitern in Sachen SCM: Automobil- und Automobil-Zulieferindustrie, Logistikdienstleister (Speditionen), Konsumgüter- und Lebensmittel-Handel.

Da die bisher erhältliche SCM-Software überwiegend den Belangen von Großunternehmen angepaßt ist, entwickelt das SCM-CTC eine einfache, flexible Software für kleine und mittlere Unternehmen. Im Mittelpunkt der Software steht der Datenaustausch zwischen Partnerunternehmen. Ein weiteres Ziel ist die Datenanalyse und das unternehmensübergreifende Termin- und Mengencontrolling.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.