Einsatzüberlegungen zu interaktiven Schulungssystemen:

Präsentieren, Probieren und Simulieren mit Lidia

25.05.1979

MÜNCHEN (pi) - Dialogsysteme können neben ihren einheitlichen Aufgaben, für die allein sie in der Regel ausgelegt sind, auch zur Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz genutzt werden. Die Kosten-Nutzen-Situation für einen derartigen innerbetrieblichen Computer-unterstützten Unterricht ist von Faktoren wie vorhandene Rechner, Produktionsausfall, individuelle Lerngeschwindigkeit etc. abhängig. Außerdem muß der CUU auch im betrieblichen Bildungswesen den Vergleich mit herkömmlichen Bildungsmethoden bestehen. "Einsatzüberlegungen", die sich an dem interaktiven Siemens-Schulungssystem "Lidia" orientieren, bringt "Data Praxis" aus der Siemens-Schriftenreihe wie folgt:

Die bisher veröffentlichten Aufwandsbetrachtungen wurden hauptsächlich für CUU-Einsätze im öffentlichen Bildungswesen vorgenommen. Sie berücksichtigen schwerpunktmäßig Hardwarekosten.

Es leuchtet ein, daß die Kosten-Nutzen-Situation in der betrieblichen Bildung von anderen Faktoren beeinflußt wird.

Bezugsgröße: Individuelles Lernen

Die stets auftretende Frage "Wieviel Verarbeitungsaufwand muß für eine Unterrichtsstunde erbracht werden?" bedarf der Differenzierung.

Hier müßte zunächst eine CUU-spezifische Bezugsgröße eingebracht werden: der (individuell) Lernende.

Prinzipiell gilt, daß der (Programmier-) Aufwand, bezogen auf langsam Lernende mit geringen Vorkenntnissen, als angemessen zu bezeichnen ist: gute Nutzung des programmierten Stoffes. Dagegen erscheint der Aufwand, bezogen auf schnell Lernende mit guten Vorkenntnissen relativ hoch. Jedoch ergibt sich hier der Vorteil, daß sie

- schnell Platz machen für neue Auszubildende

- demzufolge schnell wieder produktiv -sein können.

Hier zeigt sich schon, daß die rein rechnerische Darstellung des

CUU-Vorteils kompliziert sein kann, zumal Parameter wie unterschiedliche Gehälter, Produktionsdaten etc. in die Kalkulation einbezogen werden müßten. Deswegen und auch wegen der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Methoden sowie der unterschiedlichen Qualifikation der Lehrprogrammautoren wird es allgemeingültige Werte kaum geben können.

Ein "Ungenügend" darf es nicht geben

Folgender Verweis auf den Frontalunterricht soll deshalb einen weiteren Vorteil des CUU zeigen. Beim konventionellen Unterricht hat der Unterweiser den Langsamsten auch bei den Übungen am Gerät voll zu berücksichtigen. Ein "Ungenügend" darf es für Bediener eines Realzeitsystems nicht geben. Darüber hinaus muß er sich bei vielen Lerneinheiten auf andere langsame Teilnehmer einstellen und sicherstellen, daß das Lernziel sichtbar vollständig von allen erreicht wird. Er muß der Gruppe also insgesamt mehr Lehrschritte anbieten, damit alle das Ziel erreichen.

Im Vergleich dazu kommen die geschilderten Vorteile des CUU, unter anderem Zeit-Wege-Adaptivität (also die individuelle Anpassung des Lerntempos und des Stoffes) hier voll zum Tragen.

Planungsphase

Faktoren, die den Vorbereitungsaufwand beeinflussen:

- Lernziele

- Lehrstrategien (Methoden)

- Adressatenkreis

- Anzahl/Umfang der Lehrschritte

- Art der darzustellenden Information

- Fachliche und pädagogische Qualifikation der Lehrprogrammautoren

- Verwendbarkeit vorhandener Unterlagen

- Verfügbarkeit von Datenstationen für Programmerstellung und -Tests (Lidia, BS2000).

Für das angestrebte Ziel - didaktisch optimale Lehrprogramme - mit möglichst geringem Aufwand an Programmierarbeit bietet Siemens mit dem System Lidia die geeignete Basissoftware.

Eine besondere und wirtschaftliche Vorgehensweise kann für interaktive Schulungssysteme in Verbindung mit in Planung befindlichen Dialogsystemen empfohlen werden:

- Nutzung von Vorarbeiten, die in der Design-Phase solcher Projekte erbracht wurden, für die Erstellung des Schulungssystems.

Erläuterung:

Die Planung von Kommunikationssystemen, Datenbanksystemen, Systemen für bildschirmorientierte Sachbearbeitung etc. wird unterstützt, indem Bildschirmformulare und Arbeitsabläufe anhand von Fallbeispielen in der Autorensprache Lidia entworfen, präsentiert, ausprobiert und iterativ verbessert werden, bevor die eigentliche Programmierung beginnt (Anwendungssimulation).

Vorteile:

- Designhilfe

- bessere Information

- Bindung der Fachabteilung

- Motivationshilfe

- Vorgabe für Programmierer

Die so entstandenen "Vorführprogramme" und das in dieser Phase erworbene Know-how können genutzt werden, um darauf aufbauend das interaktive Schulungssystem zu realisieren.

Damit ist auch gewährleistet, daß rechtzeitig das Schulungssystem in Arbeit genommen wird und die zukünftigen Bedienungspersonen ohne Termindruck eingewiesen und trainiert werden können.

Bild I zeigt den üblichen Verlauf der Entstehung von (dialogorientierter) Anwendersoftware:

Kritische Terminsituation

Nach einer relativ kleinen Designphase (Benutzeranforderungen werden anhand von Bildschirmentwurfsblättern skizziert) beginnt die Programmierabteilung zu arbeiten. Sie erstellt das mehr oder weniger anwenderfreundliche Programm. Bei den ersten Demonstrationen (Abnahme) zeigen sich Mängel, die umfangreiche Änderungen (weil am Originalsystem) zur Folge haben. Um ein lebensfähiges und wartbares System zu erhalten, ist das mehrfach modifizierte System einer Gesamtrevision (Endprogrammierung) zu unterwerfen. Die dadurch

heraufbeschworene kritische Terminsituation läßt dann allzuoft kaum noch genügend Zeit für eine ausgereifte Benutzerschulung - worunter manche Systeme zeit ihres Bestehens leiden.

Im Gegensatz dazu ist es mit relativ geringen Mitteln (Mehraufwand in der Designphase) möglich, Benutzerforderungen eindeutig und rechtzeitig durch Demonstration der (simulierten) Anwendung einzubringen (siehe Bild II). Der anfängliche Mehraufwand amortisiert sich schnell durch die ausbleibenden Änderungen am Originalsystem. Darüber hinaus ist der Grundstein für das interaktive Schulungssystem gelegt, das unabhängig von der Realisierung des Originalsystems vervollständigt und genutzt werden kann!

Einsatzphase

Faktoren, die die Wirtschaftlichkeit eines interaktiven Schulungssystems während des Einsatzes beeinflussen:

- Gerätekosten

- Rechenzeit

- Lehrerstunden (Betreuung)

- Effizienz der Lehrprogramme

- Lernerstunden (Anzahl der Lernenden, Wiederholungen etc.)

- Produktionsdaten (zum Beispiel schnellere Wiederaufnahme der produktiven Tätigkeit des Lernenden)

- Gemeinkosten (zum Beispiel Einsparung von Raum- und Reisekosten beim Lernen am Arbeitsplatz)

- Systembetreuung

Wie immer die Kosten-Nutzen-Betrachtung rechnerisch ausfällt - die Entscheidung für ein interaktives Schulungssystem hängt auch in der betrieblichen Bildung von der Bewertung derjenigen Lehrstrategien und Lernziele ab, die erst mittels Computereinsatz ermöglicht werden.