Umkehren ist manchmal schneller als stur weitergehen

PPS-Projekt: Wie Keso seine Interessen durchsetzte

05.12.1997

Gewaltige Lagerbestände, Probleme mit der Termintreue, hartnäckige Lieferschwierigkeiten - das sind die Schwierigkeiten, mit denen sich Fertigungsunternehmen herumschlagen müssen. Und die Aufzählung der leistungsmindernden Faktoren ließe sich noch weiter fortsetzen.

Immer mehr Mittelständler wollen den Weg von der Serienfertigung zur prozeß- und kundenorientierten Kleinlosherstellung, vom Bestandsdenken zur lagerlosen Produktion beschreiten. Doch traditionelle Strukturen und altbackene DV-Systeme richten hohe Hürden auf.

Da reicht es keineswegs aus, nur ein leistungsfähiges PPS-System anzuschaffen. Im Gegenteil: Die hochgesteckten Ziele zu Beginn eines Einführungsprojektes werden oft von trostloser Realität eingeholt. Der Anwender steht mit leeren Händen da, während sich der Vertragspartner mit einem hübschen Sümmchen im Portemonnaie davonstiehlt.

In diese Falle wollte die Keso AG nicht stolpern. Der in Richterwil am Züricher See ansässige Spezialist für mechanische und elektronische Sicherheitssysteme stellte vergleichsweise niedrige Ansprüche an den Return-on-Investment des PPS-Systems. Daniel Hitz, Initiator und Leiter des Projektes, braucht nur zehn Prozent der jährlichen Lagerkosten einzusparen, um den Aufwand für Hard- und Software sowie Beratungskapazität wieder hereinzuholen. Sehr viel Wert legte der als Leiter der Arbeitsvorbereitung direkt dem Betriebsleiter unterstellte Keso-Manager hingegen auf ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Vertragspartnern.

Voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres wird bei Keso eine neue Auftragsbearbeitung in Betrieb gehen, gefolgt von der Fertigungsplanung und der Betriebsdatenerfassung. Daß das Projekt inzwischen dieses Stadium erreichen würde, stand vor einem Jahr noch in den Sternen. Statt auf Planungs- steuerte Hitz damals auf Schlingerkurs. Wer weiß, was passiert wäre, hätte sich der Projektleiter nicht des großen Rückhalts von Keso-Gründer und -Präsident Ernst Keller sicher sein können. Vor knapp drei Jahren sah es noch aus, als würde dies ein Allerweltsprojekt werden. In der Zwischenzeit aber drohte das Vorhaben an zahlreichen Widerständen zu scheitern.

Anlaß für dieses Projekt war die Tatsache, daß Hitz die Variantenvielfalt des Produktangebots als den größten Hemmschuh der weiteren Unternehmensentwicklung geortet hatte. Bei acht Produktgruppen mit jeweils 60 bis 70 Basiserzeugnissen und wiederum zigtausend Variationen ergeben sich leicht Zahlen im Trillionenbereich. Damit der Sachbearbeiter die jeweils richtige Variante auswählen kann, ist er darauf angewiesen, Informationen aus allen relevanten Unternehmensbereichen zu erhalten.

Diese Informationen sind jedoch nicht konsistent. Spätestens bei der Kommissionierung tritt das Problem zutage: Die Bestellung läßt sich nur mit Zeitverlust abwickeln.

Auch die DV-Altlasten mahnten zur Veränderung, da jede Abteilung ihr eigenes System unterhielt. Eine unternehmensweite DV-Org.-Abteilung existierte nicht, vielmehr hatte die Informatik ihre Heimstatt in der Berechnungsabteilung. Last, but not least wollte Keso von der DOS- in die Windows-Welt umsteigen.

Alle diese Problem sollten auf einen Schlag gelöst werden - im Rahmen des PPS-Projekts. Um herauszufinden, welche Strategie sich dafür am besten eignete, ging Hitz mit einem Kernteam einige Wochen in Klausur. Unterstützt von einem externen Berater, erarbeitete die Gruppe ein Pflichtenheft und schickte es an zwölf Anbieter. Damit begann die Odyssee.

Zunächst ging der Schuß nach hinten los. Die Entscheidung fiel auf den indischen Anbieter Ramco, da er ansprechende betriebswirtschaftliche Konzepte vorweisen konnte. Die Schlußpräsentation vermochte jedoch nicht zu überzeugen.

Daraufhin nahm Keso den Kontakt zu SAP auf. Als großes, global auftretendes Unternehmen kamen die Walldorfer auch dem Sicherheitsdenken der Schweizer entgegen. Man wurde sich schnell einig. Die Einführungsstrategie war zurechtgelegt, eigentlich fehlte nur noch die Unterschrift. Allerdings bestand der Projektleiter auf einer vierwöchigen Machbarkeitsstudie. Das Abkommen sah vor, daß beide Seiten innerhalb dieser Frist aussteigen konnten.

Für den Fall der Fälle nahm Hitz noch zu einem zweiten Anbieter Kontakt auf, der Infor GmbH, Karlsruhe, die das PPS-System "VPPS" anbietet. Für diesen Hersteller hatte sich der beauftragte Unternehmensberater eingesetzt. Hitz war ohnehin der Ansicht, daß sowohl das SAP-System als auch die Infor-Software die Zielvorgaben erfüllen könnten.

Der Startschuß für die Machbarkeitsstudie mit der SAP-Software R/3 fiel im März 1996. An der Professionalität von SAP gab es keinen Zweifel. Auch die Machbarkeitsstudie, die ein SAP-Vertriebspartner verantwortete, war souverän angelegt.

Doch nach einer Woche mußte Hitz erkennen, daß er ohne Entwicklungsauftrag nicht weiterkommen würde, wenn er seine Variantenproblematik lösen wollte - ein Aha-Effekt, wie er heute sagt. Es sollten also "Abap/4"-Rucksäcke angeschnallt werden, und genau davor hatte man ihn eindringlich gewarnt. Plötzlich standen Folgekosten mit hohen Stundensätzen auf dem Tapet.

Negativ fiel auch die mangelnde Flexibilität des Anbieters ins Gewicht. SAP wollte Keso nicht gestatten, für die Dauer der Machbarkeitsstudie ein R/3-System zu installieren. Der Anbieter habe darauf bestanden, daß zunächst ein Vertrag unterzeichnet werden müßte - "sonst könnte ja jeder kommen", wie Hitz aus dem Gedächtnis zitiert. Vertrauen aufbauen, Partnerschaft - Fehlanzeige.

Das Maß war voll: Hitz rief sofort bei Infor an und bat um eine schnellstmögliche Präsentation. Diesmal hatte Keso-Chef Keller ein gutes Gefühl: Der Anbieter überzeugte menschlich, verhieß eine fachliche Lösung der Problemstellung und hatte bei der Kostenkalkulation ebenfalls die Nase vorn.

Auch Infor mußte selbstverständlich durchs Stahlbad der Machbarkeitsstudie. Das Ergebnis wies aus, daß das Projekt ohne Zusatzprogrammierung an den Start gehen konnte. Zwar waren einige organisatorische Anpassungen auf seiten des Kunden notwendig. "Doch wir mußten Keso nicht um 180 Grad drehen", stellte Hitz erleichtert fest. Im September vergangenen Jahres konnten die Schweizer endlich Nägel mit Köpfen machen.

Der ursprünglich anvisierte Stichtag für die Inbetriebnahme ist verstrichen. Aber Hitz arbeitet trotzdem ohne Druck. Bevor das neue System gestartet werden kann, muß das Unternehmen in der Lage sein, Aufträge zu erstellen, zu erfassen und die Preisfindung damit zu verkoppeln. Auch die Papiererstellung für die interne Produktion sowie für Bestätigungen, Lieferscheine und Rechnungen muß unter Dach und Fach sein. Darüber hinaus sind drei Schnittstellen vorgesehen: eine für das Berechnungssystem, eine zweite fürs Rechnungswesen und eine dritte für CAD.

Der Übergang von der DOS-Welt nach Windows 95 und NT ist ebenfalls in vollem Gange. Das deckt sich mit der von Hitz proklamierten Absicht, in Gestalt der neuen Lösung auch aktuelle Informationstechnik zu implementieren.

Die Investitionskosten für die PPS-Einführung blieben im Rahmen: Berappen mußten die Schweizer für die VPPS-Lizenzen rund 325000 Franken, für den Aufbau des Netzwerks 125000 Franken, für einen Server 65000 Franken sowie jeweils 3000 Franken für etwa 65 PCs. Die Gesamtkosten schließen die Aufwendungen für die Beratung des externen Partners ein. Doch erst wenn der tatsächliche Umfang der internen Kosten ans Tageslicht gekommen ist, wird sich zeigen, ob man in Richterwil aufs richtige Pferd gesetzt hat.

*Winfried Gertz ist freier Autor in München.