Durch Gewichtung des Zielssystems betriebsspezifische Anforderungen berücksichtigen:

PPS-Auswahl über Nutzwertanalyse sicherer

17.02.1984

Die Leistungsfähigkeit eines produzierenden Betriebes wird zum einen durch den Stand seiner Fertigungstechnologie bestimmt, zum anderen aber auch in erheblichem Maße durch die Qualität seiner Betriebsorganisation, insbesondere der Produktionsplanung und -steuerung (PPS). Die Anwendungssoftware von Standardsystemen der PPC ist bis auf wenige Ausnahmen an die Hardware gebunden, auf der sie entwickelt worden ist. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit des Systems sind dabei jedoch die Eigenschaften der Software.

Die Aufgaben der PPS erstrecken sich auf die Hauptfunktionen

-Produktionsprogrammplanung (Grobplanung, Prognose),

-Mengenplanung (Materialwirtschaft),

-Termin und Kapazitätsplanung (Zeitwirtschaft),

-Auftragsveranlassung und

-Auftragsüberwachung.

Zur Unterstützung der Produktionsplanung und -steeuerung werden in den letzten Jahren verstärkt spezielle EDV-Systeme herangezogen. Neben Individuallösungen, die für jeweils einen einzelnen Anwendungsfall konzipiert und erstellt worden und damit in aller Regel auch nur für diesen speziellen Fall geeignet sind, haben insbesondere die Standardsysteme der PPS Bedeutung gewonnen. Solche Standardsysteme der PPS sind für die Anwendung bei einem breiten Benutzerkreis bestimmt, wobei sie nur noch in einem bestimmten Rahmen an betriebsspezifische Anforderungen der einzelnen Unternehmen angepaßt werden müssen und können.

Die wesentlichen Vor- und Nachteile bei der Beschaffung von Standardsystemen der PPS beziehungsweise individuell programmierten Systemen sind in Abb.1 gegenübergestellt.

Während im Jahr 1977 erst 165 Standardsysteme der PPS bei Anwendern im Einsatz waren, beliefen sich die Installationen 1980 schon auf etwa 1300 (vergleiche [1], Literaturhinweise). Diese expansive Entwicklung hält auch weiterhin an.

Trotzdem tun sich noch viele Unternehmen schwer mit der Entscheidung für ein Standardsystem der PPS. Wesentliche Gründe hierfür liegen in dem Problem der Auswahl des für den jeweiligen Betrieb "richtigen" Systems, das die individuellen Belange möglichst umfassend erfüllt, sowie der komplexität der damit verbundenen Fragestellungen. Hier seien nur zwei Fehler genannt, die bei der Systemauswahl typischerweise immer wieder gemacht werden: Zuerst wird die Hardware, dann die Software ausgewählt oder es wird überhaupt keine Auswahl vorgenommen, da durch langjährige Zusammenarbeit mit einem Anbieter die Entscheidung schon vorprogrammiert ist.

Für eine abgesicherte Entscheidung ist dagegen folgende Vorgehensweise erforderlich:

-Untersuchung des Marktangebotes von Standardsystemen der PPS,

- Ermittlung der Leistungsfähigkeit der angebotenen Systeme,

- Ermittlung der betrieblichen Anforderungen an die PPS,

- Schaffung einer Vergleichsgrundlage von systemseitiger Leistungsfähigkeit und betrieblichen Anforderungen und

-Durchführung eines systematischen Auswahlverfahrens.

Erfahrungsgemäß tun sich gerade kleine und mittlere Unternehmen die nicht über Stabsabteilungen zur Lösung solcher Aufgaben verfügen, sehr schwer, zielorientiert und mit dem erforderlichen Know-how vorzugehen.

Vor diesem Hintergrund wurde am Forschungsinstitut für Rationalisierung, Aachen, ein Verfahren (2) entwickelt, das auf der Basis allgemeingültiger Merkmale eine betriebsspezifische Bewertung von auf dem Markt angebotenen Standardsystemen der PPS ermöglicht. Da die betriebsspezifischen Anforderungen von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein können, berücksichtigt das flexible Verfahren diese Anforderungen. So erlaubt es zum Beispiel auch lediglich die Auswahl eines Teilsystems der PPS, sei es ein System der Materialwirtschaft oder der Zeitwirtschaft.

Alternativenvergleich via Nutzwertanalyse

Das Auswahlverfahren basiert auf der Methode der Nutzwertanalyse. Die Nutzwertanalyse wird bevorzugt dann angewendet, wenn mehrere Alternativen verglichen und eine Vielzahl von Zielen berücksichtigt werden sollen. Auf der Basis der Zielvorstellungen des Anwenders werden die Alternativen in eine Rangreihe gebracht. Zur Ermittlung dieser Rangreihe wird der sogenannte Nutzwert jeder Alternative errechnet. Dieser Wert ist eine dimensionslose, ausschließlich von den Zielvorstellungen des Anwenders bestimmte Größe. Anhand der einzelnen Teilschritte der Nutzwertanalyse (Abb.2) sollen im folgenden Entwicklung und Ablauf des Auswahlverfahrens beschrieben werden.

Der erste Teilschritt besteht in der Zusammenstellung der Alternativen. Im Rahmen des Auswahlverfahrens werden hierunter die zur Zeit verfügbaren Standardsysteme der PPS verstanden. Zur Erfassung des Marktangebotes wurde eine breitangelegte Untersuchung durchgeführt (3). Über 30 Systeme konnten in das Verfahren einbezogen werden, wobei dieser Fundus ständig aktualisiert und erweitert wird (Abb. 3)

Der zweite Teilschritt besteht in der geordneten Zusammenstellung aller Bewertungsmerkmale in Form eines Zielsystems, mit dem die Leistungsfähigkeit der PPS-Systeme vollständig beschrieben werden kann (Abb. 4). Insgesamt wurden 126 Bewertungsmerkmale definiert.

Mit Hilfe dieser Bewertungsmerkmale führten die Autoren im nächsten Teilschritt die Erfassung der Leistungsfähigkeit der angebotenen Standardsysteme durch. Zu diesem Zweck wurde jedes Bewertungsmerkmal in bis zu fünf Ausprägungsstufen gegliedert. Die Gesamtheit aller Merkmale mit ihren jeweiligen Ausprägungen stellt die charakteristische Beschreibung, sozusagen den "Steckbrief" eines Systems dar, der als Zielertrag bezeichnet wird.

Die Ausprägungsstufen der Bewertungsmerkmale sind numerisch oder verbal beschrieben und nach steigendem Zielertrag geordnet. Von neutralen Experten aus Forschung und Praxis wurde im vierten Teilschritt eine Punktebewertung der Zielerträge vorgenommen. sie stellt die eine Komponente für eine rechnerische Ermittlung der Nutzwerte dar.

Die andere Komponente bilden die Gewichtungsfaktoren, die vom Anwender den Elementen des Zielsystem im Zuge der Ermittlung der betrieblichen Anforderungen zugeordnet werden. Mit diesen beiden Komponenten ist eine Vergleichungsgrundlage von systemseitiger Leistungsfähigkeit und betrieblichen Anforderungen geschaffen. Im sechsten Teilschritt werden aus den Gewichtungsfaktoren und den bewerteten Zielerträgen die Nutzwerte der einzelnen Systeme ermittelt. Eine sogenannte Empfindlichkeitsanalyse kann zum einen durchgeführt werden, wenn die besten Systeme bezüglich der errechneten Nutzwerte nur minimale Unterschiede aufweisen und geringfügige Variationen entweder der Gewichtungsfaktoren oder der bewerteten Zielerträge zu einer Verschiebung der Rangreihe führen können. Zum anderen kann durch eine gezielte Variation dieser Gewichtungsfaktoren der Einfluß bestimmter Ziele auf das Gesamtergebnis festgestellt werden.

Im letzten Teilschritt werden die endgültigen, auf Basis der Empfindlichkeitsanalyse erzielten Ergebnisse, in Form der Nutzwertmatrix dargestellt. Die Standardsysteme der PPS sind in Abhängigkeit vom erreichten Nutzwert aufsteigend sortiert.

Nachdem hiermit die Erläuterung der Grundlagen für das entwickelte systematische Verfahren zur Auswahl von Standardsystemen der PPS abgeschlossen ist, soll im folgenden die Vorgehensweise bei einer praktischen Anwendung beschrieben werden.

Praxisanwendung erfordet Rechner

Aufgrund der Komplexität des Zahlenmaterials (über 30 Standardsysteme der PPS, 126 Bewertungsmerkmale mit durchschnittlich vier Ausprägungsstufen) ist eine wirtschaftliche Anwendung des Auswahlverfahrens nur rechnergestützt möglich, insbesondere dann, wenn sehr rechenintensive Empfindlichkeitsanalysen erforderlich sind. Infolgedessen wurde ein Programmsystem entwickelt, das auf der EDV-Anlage des Rechenzentrums des Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) implementiert wurde.

Mit den Teilschritten Zusammenstellung der Alternativen, Aufstellung des Zielsystems, Beschreibung der Zielerträge und Bewertung der Zielerträge sind die methodischen Voraussetzungen zur Anwendung des Auswahlverfahrens geschaffen. Durch die Gewichtung des Zielsystems werden die betriebsspezifischen Anforderungen des Anwenders berücksichtigt. Hierzu werden alle Gewichtungsfaktoren zweckmäßigerweise von einem Team des Unternehmens bestimmt, so daß eine möglichst repräsentative Wiedergabe der Anforderungen ohne Überbetonung einzelner Interessen gewährleistet ist.

Mehrfache Anwendungen des Auswahlverfahrens für Unternehmen des Maschinenbaus haben die Gültigkeit der erzielten Ergebnisse bestätigt. Das Verfahren soll dabei nicht eine endgültige Entscheidung liefern, sondern die Entscheidung für ein Standardsystem der PPS vorbereiten.

Literatur

(1) Scheer, A.-W.: Stand und Trends der computergestützten Produktionsplanung und -steuerung (PPS) in der Bundesrepublik Deutschland. In: ZfB (1983) 2,S. 138-155.

(2) Brief, U.: Entwicklung eines EDV-gestützten Verfahrens zur Feinauswahl von Standardsystemen der Produktionsplanung und -steuerung im Maschinenbau. Unveröffentlichter Bericht. Aachen t983.

(3) Brief, U., Kittel, Th., Speith, G.: PPS-Systeme auf dem Prüfstand-Aktualisierter und erweiterter Leistungsvergleich von Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen. In: Die Arbeitsverbreitung 20 (1983) 3, S. 67-79.

*) Dipl.-Ing. Ulrich Brief ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen, Dipl.-Ing. Martin Virnich ist Oberingenieur am selben Institut.