Power-PC: IBM gibt NT den Vorzug vor OS/2

30.06.1995

Eine klare Linie in ihrer Desktop-Strategie liess die IBM auch waehrend der diesjaehrigen PC Expo nicht erkennen. Die im Oktober 1991 gemeinsam mit Apple und Motorola beschlossene Offensive gegen Intel und Microsoft steht seitens Big Blues mehr denn je in Frage. Die einen Tag vor Messebeginn in New York vorgestellten 32-Bit- Rechner der Power-PC-Reihe haetten auf OS/2-Basis urspruenglich schon 1994 verfuegbar sein sollen - nun debuetieren die als "Super- Clients" bezeichneten "Power-PC-Series" mit dem Server-Betriebssystem Windows NT des Erzrivalen Gates.

Das Spektrum der auf einem 604-RISC-Prozessor basierenden Desktop- Rechner umfasst die Power-Series-Varianten 830 sowie 850 und laesst dem Anwender die Wahl zwischen 100, 120 beziehungsweise 133 Megahertz Taktfrequenz. Der Preis fuer das 830er Einstiegsmodell samt 16 MB RAM, 540 MB Festplatte und CD-ROM-Laufwerk soll etwa 2800 Dollar betragen.

Die zusammen mit den Desktops vorgestellten Thinkpad-Rechner der Power Series arbeiten auf Basis eines 603e-Chips und takten mit 100 Megahertz. Highlights bei den Portablen sind ein standardmaessig integriertes Mikrofon und Stereolautsprecher. Ein G-10- Grafikadapter fuer Bewegtbilder ist im kleineren Modell optional, im groesseren Rechner kann sich der Kaeufer fuer eine einsteckbare Kamera entscheiden.

Mit der Performance der Power Series wird laut IBM auch der Weg zur sogenannten "Sensory Suite" frei. Die hauseigene Technik nutzt die Floating-Point-Leistung des Prozessors fuer multimediale Zwecke wie Spracherkennung, Audio und Full-Motion-Video, ohne dass die Hardware mit entsprechenden Erweiterungskarten aufgeruestet werden muesste. Die Sensory Suite enthaelt einen Decoder fuer das Standard- Kompressionsverfahren MPEG zum Abspielen von Video- und Audiodateien, einen Video-CD-Player, einen MIDI-Synthesizer sowie IBMs Spracherkennungssystem "Voice Type".

Bei den Betriebssystemen hat der Anwender die Wahl zwischen den Power-PC-Editions des zur Messe vorgestellten Windows NT 3.51 (sofort verfuegbar), der neuen Version AIX 4.1.3 (ab Juli) und den noch nicht terminierten Portierungen von Sunsofts Solaris und OS/2 Warp Connect. Speziell die Auslieferung der OS/2-Version wird sich voraussichtlich noch ueber den Herbst hinausziehen und damit im Schatten der fuer den 24. August geplanten Windows-95-Premiere stehen.

Neben den NT-Server-Anwendungen sind damit keine weiter verbreiteten Applikationen fuer den Power-PC in Sicht. Die schon seit geraumer Zeit angekuendigte Common Hardware Reference Platform, mit der auch Mac-Software auf IBMs Power-PC laufen koennte, laesst noch weit bis ins naechste Jahr hinein auf sich warten.

Ausserdem hat der Branchenriese auf der Messe deutlich gemacht, dass auf den Power-PCs unter OS/2 keine Windows-95-Anwendungen laufen werden. Wo also sehen die Armonker ihre Kunden fuer die neuen Rechner? Die Positionierung erfolgt laut Richard Thoman, der als Senior Vice-President direkt an IBM-Chef Louis Gerstner berichtet, im Bereich von High-end-Clients fuer Finanz- und Grafikanwendungen. Speziell im Hinblick auf die Multimedia-Funktionen der Notebooks war in New York vom anbrechenden MUI-Zeitalter (Multimedia User Interface) die Rede, mit dem die vor fuenf Jahren eingeleitete GUI- Aera (Graphical User Interface) abgeloest werde.

Mit einem groesseren Absatz an Power-PCs rechnet man bei IBM in diesem Jahr allerdings noch nicht. Abwarten heisst die Devise, ob und wo sich die Systeme bei Kunden wie multinationalen Unternehmen etablieren. Notfalls koenne auch die Kompatibilitaet von Windows-95- Programmen fuer OS/2 nachgereicht werden, hiess es am Rande der Praesentation.

Die Power-PC-Szene der New Yorker Messe wurde ausser von IBM auch durch eine Reihe weiterer namhafter Hersteller belebt. Neben Apples "Power Mac 9500 Series" (PCI-Bus, 604-Chip, System 7.5.2) waren dies Canon mit einer Power-Workstation-Familie, die ein Notebook (603e) sowie einen Ein- und Zwei-Prozessor-Desktop mit den 604- Chips enthaelt. Die Rechner laufen vorerst unter Windows NT, kuenftig sollen zudem AIX, Solaris und Apples System 8 (Copeland) unterstuetzt werden. Auch Zenith kuendigte auf der Messe neue Enterprise-Server an, die mit den Prozessoren 601, 603 oder 604 arbeiten.

Das Thema im Gegenlager, der Intel-Gemeinde, war die 133- Megahertz-Variante des Pentium (P5), die bereits seit einigen Wochen ausgeliefert wird. Zahlreiche Hardwarehersteller nutzten die Messe deshalb als Forum, um ihre Desktops und Notebooks mit dem neuen Chip vorzustellen. So erweitert Hewlett-Packard die "Netserver"-Familie im High-end-Bereich mit dem "LS"-Modell, einem auf dem Dual-PCI-Bus basierenden System, das vom Single-Pentium mit 75 Megahertz bis zu SMP-Rechnern (SMP = symmetrisches Multiprocessing) mit vier Prozessoren (jeweils 133 Megahertz) ausgebaut werden kann. Der Preis bewegt sich je nach Modell zwischen 7000 und 18 000 Dollar. Waehrend die kleineren Versionen bereits im August verfuegbar sind, kommt die Pentium-133-Variante Anfang September auf den Markt.

Etwa um diese Zeit wird auch AT&T die Server-Reihe "Globalyst" um Modelle mit 133-Megahertz-Pentiums erweitern: Globalyst S40 erlaubt symmetrisches Multiprocessing mit vier Prozessoren. Weitere Firmen, die auf den neuen P5 setzen, sind AST, Gateway und Zenith. Sowohl HP, AT&T als auch Unisys haben bereits ihre Commitments zum P6 ausgesprochen, der gegen Ende des Jahres verfuegbar sein und Intels Weg in Richtung 200 Megahertz Taktfrequenz freigeben soll.

Intel war die beherrschende Plattform auf der Messe. Fuer viele Hersteller zeichnet sich in der Pentium-Strategie eine relativ preiswerte Alternative ab, um die kuenftige Server-Nachfrage zu bedienen. Beguenstigend kommt das seit einigen Wochen verfuegbare doppelte PCI-Bus-Design von Intel hinzu sowie ein neues Subsystem, bei dem der PCI-basierte RISC-Prozessor "960 RP" auf dem Motherboard integriert wird, um den Pentium-Chip von I/O-Aufgaben zu entlasten. Mit der Verfuegbarkeit dieser Architektur wird jedoch nicht vor dem ersten Quartal 1996 gerechnet.

Fuer Aufsehen sorgte ein in Cary, North Carolina, ansaessiger Branchenneuling: Die Archistrat-Division der Firma Panda Project Inc. hat erste Geraete eines High-end-PCs vorgestellt, die sich mit den CPUs verschiedener Hersteller bestuecken lassen. Das bislang im Bereich von Chipsockeln taetige Unternehmen entwickelte dazu eine Connector-Technik, mit der sich die Bus-Architektur von 64 ueber 128 bis zu 256 Bit ausbauen laesst. Das Herzstueck des Systems besteht aus einer CPU- und einer Bridge-Card zur Kommunikation zwischen Prozessor und I/O-System. Die unter der Bezeichnung "4s Server" und "4b Workstation" angebotenen Maschinen sind bereits als Pentium-Rechner (100 Megahertz) verfuegbar, geplant sind nun DEC-Alpha- und Power-PC-Boards. Will der Anwender die Plattform wechseln, muss er beide Karten austauschen, soll nur ein Upgrade innerhalb der vorhandenen Plattform durchgefuehrt werden, so reicht der Wechsel der Prozessorkarte.

Die Zurueckhaltung der Software-Industrie auf der PC Expo haengt hauptsaechlich mit dem Verzug von Windows 95 zusammen. Der Zeitpunkt dieser Messe sei ungluecklich, da Entwickler derzeit noch an ihren Windows-95-Versionen basteln, so ein Branchenbeobachter in New York. Groessere Produktvorstellungen werden erst wieder zur Herbst-Comdex in Las Vegas erwartet.

Microsoft selbst nutzte die New Yorker Veranstaltung, um erste Eindruecke von den auf Windows 95 portierten Anwendungen der Office-Suite zu vermitteln. Dem Zuschauer wurde ein klares Konzept praesentiert: Auf dem Client laeuft "Office 95", auf dem Server "Back Office", als Integrations-Tools fungieren die Entwicklungswerkzeuge "Visual Basic", "Visual C++" und die neue Version 3.0 von "Visual Foxpro".

Einen Schwerpunkt setzte der Messeveranstalter Blenheim bei der Objekttechnik "Opendoc", dem Konkurrenzverfahren zu Microsofts OLE. Opendoc-Komponentensoftware werde der Schluessel fuer die unternehmensweite DV in einer heterogenen Umgebung mit verschiedenen Betriebssystemen, Netzwerken und Applikationen sein, so die Botschaft, die auf einer Keynote gemeinsam von Novell-CEO Bob Frankenberg, Apple-Chef Michael Spindler und John Thompson, Senior Vice-President von IBM, ausging.

Die mit amerikanischer Professionalitaet in den Show-Effekten offerierte Opendoc-Mischanwendung konnte allerdings wenig zum Verstaendnis dieser Technik beitragen. Wer sich jedoch davon ueberzeugen wollte, dass Opendoc nicht mehr nur eine Vision von flexiblen und einfach zu handhabenden Geschaeftsanwendungen ist, der kam im Opendoc-Pavillon auf seine Kosten. Zahlreiche Firmen, darunter auch zwei deutsche Hersteller, praesentierten dort auf Mac-Rechnern die Opendoc-Unterstuetzung ihrer Produkte.

Wie sich eine Anwendung aus sogenannten Parts verschiedener Anbieter zusammenstellen laesst, zeigten unter anderem die Firmen Theta Group aus Karlsruhe mit der relationalen Datenbank "dtF" und die B&E Software GmbH aus Hilden mit der integrierten Bueroloesung "Ragtime" (beide fuer Mac, DOS, Windows und OS/2). Zu Beginn wird ein Container (leere Seite) mit Layout-Tools in die gewuenschte Form gebracht. Das Dokument entsteht, wenn diese Container- Applikation mit den unterschiedlichen Parts samt den dahinterstehenden Funktionen gefuellt wird. Dies koennen Tabellenkalkulation, Business-Grafik, Editor und Datenbank einschliesslich Browser und SQL-Abfragen sein. Dabei werden die benoetigten Parts per Drag and drop in den Container eingebunden. Die SQL-Statements lassen sich mit Hilfe des Editors modifizieren und als Button darstellen. Entscheidend dabei ist, dass der Anwender die Parts unterschiedlicher Hersteller je nach Bedarf kombinieren kann.

Die Vorteile von Opendoc gegenueber der aktuellen Version von OLE liessen sich schnell erkennen:

- Waehrend sich bei Windows nur die einzelnen, rechteckigen Anwendungsfenster ueberlappen koennen, ist dies in Opendoc auch mit unregelmaessig geformten Parts moeglich (Uhr, Text, Balkengrafik).

- Die einzelnen Komponenten lassen sich dynamisch einbinden, es muessen keine kompletten Programme hochgeladen werden.

- Alle Parts laufen parallel, man kann also in der Text- und Tabellenkomponente eines zusammengesetzten Dokuments gleichzeitig editieren.

Als entscheidender Vorteil der Opendoc-Technik gilt auch, dass sich das Developer-Framework fuer den Mac, Windows und OS/2 kaum unterscheidet. Wessen Produkt auf einer dieser Plattformen Opendoc unterstuetzt, wird dies mit geringem Aufwand auch auf den anderen koennen. Als Verfuegbarkeitsdatum fuer die kompletten Final Releases der Opendoc-Toolkits wurden auf der Messe folgende Termine bekanntgegeben: Apple (fuer den Mac) im Herbst dieses Jahres, IBM (fuer OS/2 Warp) in diesem Sommer, Novell (fuer Windows NT und 95) im Dezember 1995 (fuer Windows 3.1 etwa sechs Wochen nach Freigabe von Windows 95).

Wenn es um die Objekttechnik "Opendoc" geht, dann sind sich die Konkurrenten einig: Apple-Chef Michael Spindler, Novell-CEO Robert Frankenberg und IBMs Senior Vice-President John Thompson (von links nach rechts).