POS und EAN-technisches oder organisatorisches Problem?

11.08.1978

"EAN und POS bringen diffizile organisatorische Aufgaben mit sich, bei deren Lösung möglicherweise der Mensch zum Engpaß wird", so Dr. Christian Behrends, Geschäftsführer der Rationalisierungsgesellschaft des Handels in Köln. Er warnt vor einer "Informationslawine", die womöglich nicht bewältigt werden kann. Auch Hans Sternberg, Kaufhalle-Direktor mit praktischen POS-Erfahrungen, sieht den Schwerpunkt der Probleme mehr auf der organisatorischen Seite: "Zu den Kunsststücken gehört vor allem, die neuen Kassier-Methoden in die bestehende Organisation einzugliedern, ohne daß Störungen im Betriebsablauf auftreten." Tenor der Aussagen von drei befragten Spezialisten war, "daß durch POS und EAN endlich auch für den Einzelhandel die Zukunft begonnen hat", wie Karlheinz Hagen, Geschäftsführer der CCG, Köln, resumierte. hö

Dr. Christian Behrends

Geschäftsführer, Rationalisierungsgesellschaft des Handels mbH & Co. KG, Köln

Wenn in der Vergangenheit im Einzelhandel ein Mangel an aktuellen, exakten und hinreichend differenzierten Informationen über die Verkäufe herrschte, läßt sich heute die Gefahr des anderen Extrems erkennen: Eine "Informationslawine", die womöglich nicht bewältigt werden kann.

Für die Lösung dieses Problems ist zunächst bedeutsam, daß sie mit Hilfe der im Balkensymbol verschlüsselten EAN-Nummer automatisierte artikelgenaue Umsatzerfassung an den Kassenplätzen, die der Geschwindigkeit wegen die Verkäufe möglichst hundertprozentig erfassen sollte, keineswegs unabwendbar dazu zwingt, auch die Steuerung der Warenwirtschaft ausnahmslos mit auf den einzelnen Artikel bezogenen Informationen ,vorzunehmen.

Die Frage nach der zu wählenden Differenzierung der Warenwirtschaftsdaten muß vielmehr aufgrund einer kritischen Durchleuchtung des betrieblichen Kontroll- und Entscheidungsfeldes beantwortet werden.

Meist werden die verschiedenen ,Warenbereiche unterschiedliche Anforderungen stellen, mit der Folge einer Spaltung der Informationsmodalitäten, indem nämlich für einzelne Warengruppen artikelgenaue Daten verfügbar sein müssen, für andere die Warengruppen-Betrachtung ausreicht.

Die an den Kassen erfaßten Daten müssen sukzessive bis hin zu Kennzahlen für das Gesamt-Sortiment verdichtet werden, so daß nur bei einer für Kontroll- und Steuerungszwecke erforderlichen Analyse der umgekehrte Weg einer stufenweise differenzierenden Betrachtung vom Gesamt-Sortiment über die einzelnen Warengruppierungen bis hin zum einzelnen Artikel notwendig und möglich ist.

Schließlich wird jeder Betrieb gezwungen sein, in Abstimmung auf seine Informationsbedürfnisse festzulegen, welche Daten welcher Entscheidungsebene zugänglich sein sollen und ob sie regelmäßig in bestimmten Zeitabständen, bei Abweichungen von Sollwerten oder nur auf Abruf verfügbar sein sollen.

EAN und POS bringen diffizile organisatorische Aufgaben mit sich, bei deren Lösung möglicherweise der Mensch zum Engpaß wird. Der Terminus "Datenverarbeitung'' sollte nämlich nicht nur im üblichen Sinne verstanden werden, sondern weitergefaßt sein. Letztlich sind für einen Handelsbetrieb Daten nicht bereits "verarbeitet", wenn sie zu umfangreichen Listen oder ähnlichem aufbereitet wurden, sondern erst dann, wenn sie von den Mitarbeitern für bestimmte Aufgaben konstruktiv verwertet werden können.

Karlheinz Hagen

Geschäftsführer, Centrale für Coorganisation, Köln

Sicherlich ist die Einführung des EAN-Systems in Industrie und Handel - wie jede umwälzende Neuentwicklung - ein organisatorisches und ein technisches Problem: Bei der Industrie im Hinblick auf die Anwendung des Strichcodes auf der Ware mehr ein technisches, in Handelsbetrieben unter dem Aspekt Warenwirtschaftssysteme, mehr ein organisatorisches Problem. Auch die Einführung der Bank- und Postleitzahlen war seinerzeit eine große organisatorische Aufgabe für die Betroffenen.

Mehr als ein organisatorisches und technisches Problem jedoch ist EAN eine technische und organisatorische Chance: Die Technik bietet den Kaufleuten aller Schattierungen heute Möglichkeiten zur Aufbereitung und Weiterleitung von Informationen, die den Markt immer transparenter und den Warenaustausch immer effizienter und ökonomischer machen. Die Fülle der Daten und Informationen verlangt dabei nach einem organisatorischen Konzept, ohne daß das bereitgestellte Wissen im Sande verlaufen würde. EAN, die europäische Artikelnummer ist ein Teil dieses organisatorischen Konzepts, genauso wie die bundeseinheitliche Betriebsnummer (BBN), das bundeseinheitliche Rechnungsformular (BRF), einheitliche Warengruppen-Gliederungen und die von der CCG entwickelten Sedas-Regelungen für 1 einen standardisierten Datenträger-Austausch.

Sie sind die Hilfsmittel, die den Einsatz der modernen Organisationsformen mit Hilfe moderner Technik ermöglichen und wirtschaftlich gestalten. Eine wirtschaftliche Hersteller-Auszeichnung ohne EAN, ohne eine einheitliche Artikel-Numerierung, ist schlechterdings genauso unmöglich, wie ein sinnvoll betriebener Datenträgeraustausch.

EAN ist kein Selbstzweck. Mehr als 2 000 Industrie- und Handelsbetriebe, die inzwischen diesem System beigetreten sind, wissen das nur zu gut. Das Ziel ist vielmehr der Einsatz wirtschaftlicherer und besserer Techniken und Verfahren. EAN bietet die Chance, dieses Ziel in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel zu erreichen.

Auch POS-Systeme sind organisatorische Zielsetzungen, die vom Handel gefordert werden und wobei ihm die Industrie durch das Aufdrucken des Strichcodes hilft. EAN jedoch - und das wird manchmal falsch gesehen - ist nur ein Mittel, um dieses Ziel auf wirtschaftliche Art zu erreichen.

Hans Sternberg

Direktor der Kaufhalle GmbH, Tochtergesellschaft des Kaufhof, Köln

Die Einführung von elektronischen Kassensystemen in einem Kaufhaus ist sowohl ein organisatorisches als auch ein technisches Problem. Beide Seiten sollten nicht unterschätzt werden. Wichtig ist zunächst eine sehr sorgfältige und eingehende Planung, die auch die Entscheidung über das zur Anwendung kommende Kassier-System und das Fabrikat einschließen muß.

Für Betriebe mit mehreren Filialen kommt die Überlegung hinzu, ob man die Einführung horizontal also in Teilbereichen, aber in allen Niederlassungen gleichzeitig - oder vertikal - in einer begrenzten Anzahl von Filialen, dort aber vollständig - vornehmen will.

Es kann nur angeraten werden, bei der Einführung moderner Kassensysteme stufenweise vorzugehen. Dieser Rat trifft für Anwender zu, die bereits EDV-Erfahrungen und einen hohen Investitionsgrad haben. Erst recht aber für Anfänger auf diesem Gebiet. Zu den organisatorischen Kunststücken gehört vor allem, die neuen Kassier-Methoden in die bestehende Organisation einzugliedern, ohne daß Störungen im Betriebsablauf auftreten, dennoch aber die Vorteile des modernen Hilfsmittels - wo immer möglich - zu nutzen.

Nicht deutlich genug kann auf die zwingende Notwendigkeit hingewiesen werden, alle Mitarbeiter zu schulen und zu motivieren, damit eine etwaige Abneigung gegen die einschneidende Neuerung nicht erst auftreten kann. Bei der Einweisung muß unterschieden werden zwischen der Neueröffnung eines Kaufhauses oder einer Umrüstung von alten auf neue Kassen. Die Unterrichtung muß sich selbstverständlich auch auf die leitenden Mitarbeiter erstrecken, die lernen müssen, die jetzt verfügbaren Informationen abzurufen und auszuwerten. Sehr schnell wird erkannt, daß die Handhabung "per Knopfdruck" lediglich ein Werbespruch der Hersteller-Firmen ist und handfeste Kenntnisse nötig sind, um die Systeme betriebsbereit zu halten.

Bei anspruchsvollen Verbundsystemen mit Preisabruf, Datenfernübertragung oder optischer Etiketten-Lesung wird ein völlig neuer Typ von Betreuer benötigt, Dieser muß sich nicht nur mit einem reibungslos funktionierenden System auskennen, sondern auch alle Störfaktoren einschätzen können. Dazu gehört eine wiederholte Übung mit den unterschiedlichen Ausfallsicherungen. Gerade weil technische Störungen selten vorkommen, muß für den Notfall ausreichend vorgesorgt sein. Nichts ist erschreckender als die Vision, daß ein Kunde zwar gekauft hat, aber der Kaufmann nicht in der Lage ist, ihm das Geld für die Ware abzunehmen. Die Technik bringt uns nun erstmals in die Nähe dieser Situation.

Trotzdem hat die Zukunft auch im Kaufhaus begonnen: Ein Prozeß, zeichnet sich jedoch ab, daß es noch ungeahnte Möglichkeiten gibt, die Rationalisierung im Handel mit den die Industrie inzwischen erfolgreich bewältigt hat, erfaßt nun auch den Handel. Darüber brauchen wir jedoch nicht besorgt zu sein. Wesentlich ist eine funktionsfähige Technik und eine gute, sich ständig verfeinernde Organisation. Sie sind Voraussetzung für die weitere Verbreitung moderner Kassensysteme auf der ganzen Welt. Inzwischen dürfte niemand mehr bereit sein, die Vorteile dieser neuen Geräte zu missen, hat er sie erst einmal erkannt. Wir sind ja noch ganz am Anfang. Schon heute diesen neuen Hilfsmitteln voranzutreiben und den Dienst am Kunden immer weiter zu verbessern. Allerdings geschieht auch hier nichts von selbst, sondern bedarf des engagierten Einsatzes aller Beteiligten.

Die europäische Artikel-Numerierung (EAN) ist ein ganz großes Rationalisierungsvorhaben der nächsten Jahre. Hierbei handelt es sich ,erstmals nicht um Rationalisierungsmaßnahmen auf Kosten anderer, sondern eine partnerschaftliche Rationalisierung, die beiden Seiten - der Konsumgüter-Industrie und dem Handel - zugute kommt. Die EAN-Nummer kann allerdings nur dann nutzbringend angewendet werden, wenn ein bestimmtes Kassensystem mit Preisabruf-Möglichkeit und optischen Lesegeräten eingesetzt ist. Dies ist jedoch heute noch außerordentlich kostspielig. Die Einführung und weite Verbreitung im Handel wird erst dann möglich, wenn auch sichergestellt ist, daß die Industrie die Voraussetzung dazu schafft: das Anbringen einer Herstellerkennzeichnung gemäß der EAN-Nummer an jedem Einzelstück. Die Vorarbeiten sind inzwischen abgeschlossen: Es gibt bereits an die 600 Produkte, die mit diesem Code versehen sind.