Polizei kämpft mit IT-Projekt ComVor

11.10.2007
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Nach Fehlschlägen in Niedersachsen, Berlin und Bayern versickert auch in Baden-Württemberg viel Geld für die so dringend erforderliche Erneuerung der Polizei-IT.

"Die Modernisierung der Polizei in Baden-Württemberg ist zu einem finanziellen Fehlschlag enormen Ausmaßes geworden", kritisiert der Bund der Steuerzahler in der aktuellen Ausgabe seines Schwarzbuchs und beruft sich dabei auf ein Gutachten des Landesrechnungshofes in Baden-Württemberg. In ihrer Denkschrift 2007 prangern die Prüfer die gesamte Strategie der vergangenen Jahre an. Seit 1999 hätten die Landesbehörden Hunderte Millionen Euro in den Sand gesetzt, ohne verwertbare Ergebnisse vorlegen zu können.

IT-Vorhaben der Polizei – eine Leidensgeschichte

In den vergangenen Jahren stand eine ganze Reihe von IT-Projekten der Polizei im Kreuzfeuer der Kritik:

Inpol-neu: Das bundesweit einheitliche Informationssystem ging erst 2003 mit zweijähriger Verspätung an den Start. Die mangelhafte Abstimmung zwischen Bund und Ländern kostete den Steuerzahler rund 50 Millionen Euro (CW-Quicklink: 1071475).

Nivadis: 2003 wollte Niedersachsen mehr als 11 600 Linux-Rechner für das Niedersächsische Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informationssystem (Nivadis) in Betrieb nehmen. Doch das 82 Millionen Euro teure Vorhaben verzögerte sich immer weiter. Noch im Frühjahr 2007 kritisierten Beamte die mangelhafte Leistung sowie System- und Funktionsfehler (CW-Quicklinks: 1059669, 588402).

Poliks: Das "Polizeiliche Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung" (Poliks) kämpfte 2005 in Berlin mit erheblichen Startschwierigkeiten. Nach fünf Jahren Entwicklung und Kosten von 73 Millionen Euro klagten die Beamten über mangelhafte Leistung und nicht akzeptable Antwortzeiten (CW-Quicklink: 1051216).

Diplaz: Im April dieses Jahres kippte die bayerische Polizei das neue "Dienstplanungs und Zeitwirtschaftssystem" (Diplaz). Die Software, die schon 2005 eingeführt werden sollte und rund zwei Millionen Euro kostete, habe sich als untauglich erwiesen, hieß es (CW-Quicklinks: 590741, 584626, 1207697).

Dabei hätte die Polizei in Baden-Württemberg neue Technik dringend nötig, mahnen die Rechnungsprüfer. Wegen fehlender Vorgaben werde auf den Dienststellen unterschiedliche Hardware eingesetzt. Dazu kämen veraltete Fachverfahren sowie nicht zeitgemäße Geräte. "Die gesamten DV-Systeme entsprachen nicht mehr den polizeilichen Anforderungen", hieß es in dem Bericht. Um diesen Missstand zu beheben, standen den Behörden im Ländle zwischen 1999 und 2002 rund 71,7 Millionen Euro zur Verfügung. Der erste Anlauf sei jedoch gescheitert. Nach Einschätzung des Rechnungshofes seien Finanzmittel in Millionenhöhe ausgegeben worden, ohne ein akzeptables Ergebnis zu erzielen.

ComVor- fünf Jahre zu spät

Doch auch nachdem die Verantwortlichen 2003 die Strategie neu ausgerichtet hatten, seien viele Modernisierungsprojekte nicht fristgerecht abgeschlossen worden – teilweise bis heute nicht. Beispielsweise hätte bereits Mitte 2004 das neue Vorgangsbearbeitungssystem "ComVor" auf Basis einer modernisierten Infrastruktur in Betrieb gehen sollen. Beide Vorhaben würden vermutlich erst Mitte 2009 abgeschlossen. Am fehlenden Geld habe es aus Sicht der Prüfer nicht gelegen. Bis 2007 hätten die Verantwortlichen einen Bedarf von 127 Millionen Euro angemeldet, wovon 73,3 Millionen Euro genehmigt wurden. Für die Jahre 2007 bis 2011 seien weitere Mittel in Höhe von 128,2 Millionen Euro beantragt worden.

Die Prüfer machen in erster Linie Organisationsfehler für die IT-Misere verantwortlich. Demnach sei der verantwortliche Projektleiter nicht befugt gewesen, Entscheidungen zu treffen. Er hätte lediglich Vorhaben initiieren und koordinieren dürfen. Vor dem Hintergrund dieses Kompetenzvakuums hätten einzelne Projektteams bei der Polizei und dem für den IT-Betrieb zuständigen Informatikzentrum des Landes Baden-Württemberg (IZLBW) untereinander konkurriert und damit den Projektfortschritt behindert.

Gerhard Klotter, Gesamtprojektverantwortlicher für die IT-Modernisierung der Polizei in Baden-Württemberg, weist diese Kritik zurück. Der Rechnungshof würde in seinem Bericht eine Gesamtsituation beleuchten, die sich vom Ende der 80er-Jahre bis heute erstreckt. Außerdem hätten die Prüfer verschiedene Summen addiert und auch die Laufzeit unterschiedlicher Projekte zusammengefasst. Dadurch entstehe der Eindruck, dass sich das Vorhaben immer weiter verzögere und die Kosten explodierten.

Derzeit steht für Klotter der Umstieg auf ComVor im Fokus. "Wir migrieren Regierungsbezirk für Regierungsbezirk." Aktuell werde das Polizeipräsidium Stuttgart auf das neue Vorgangsbearbeitungssystem umgestellt. Die Regierungsbezirke Tübingen und Karlsruhe sollen im kommenden Jahr folgen. Mit der Migration von Freiburg 2009 soll das Projekt abgeschlossen werden.

Allerdings sei nicht immer alles rund gelaufen, räumt Klotter ein. Ein Grundproblem der Vergangenheit sei die dezentrale Organisation der Polizei-IT gewesen. Es habe viel Zeit gekostet, diese verteilten Strukturen einzufangen. Zunächst sei es notwendig gewesen, jede Dienststelle zu inventarisieren. Dann sei es darum gegangen, Individuallösungen in das Zentralsystem einzubinden und Ersatz für Applikationen anzubieten, die im System künftig nicht mehr unterstützt würden.

In den Reihen der Beamten stößt der Umstieg zunächst einmal auf Skepsis. "Wir steigen in eine völlig neue IT-Welt ein", meint beispielsweise Joachim Lautensack, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Baden-Württemberg. Zwar attestiert Lautensack der Projektleitung, sie sei durchaus kompetent und bemühe sich um das Vorhaben. Gleichwohl gebe es Probleme, die dem Beamten zufolge auch auf die dezentralen Strukturen der Vergangenheit zurückzuführen sind. Jeder Arbeitsplatz sei individuell mit spezifischen Anwendungen ausgestattet, die zum Teil in der neuen Welt keinen Platz mehr hätten. Die Polizisten müssten sich daher mit einem reduzierten Anwendungsspektrum beziehungsweise neuen Applikationen anfreunden. "Das führt immer wieder zu Kritik."

Darüber hinaus hätten die Nutzer im Zuge der Einführung von ComVor mit den typischen Kinderkrankheiten und Umstellungsschwierigkeiten zu kämpfen, berichtet Lautensack. Dazu zählten beispielsweise lange Zugriffszeiten und Performance-Probleme. Zudem seien benötigte Funktionen nicht vorhanden beziehungsweise ließen sich vorhandene Funktionen nicht deaktivieren. "Es ärgert die Beamten, wenn beim Drucken von Anzeigen leere Formularseiten mit ausgedruckt werden" (weitere Hintergründe finden Sie unter www.computerwoche.de/555181). (ba)