Politische Rahmenbedingungen unzulaenglich Telearbeit: Ein weites Feld fuer internationale Kooperationen

31.03.1995

Von Axel Kolb*

Telearbeit in einem grossen Ausmass wird es in Deutschland nur geben, wenn die Arbeitszeit flexibilisiert wird. Dann aber bietet sie oekonomische, oekologische und soziale Chancen. Wichtige Impulse fuer die Umsetzung dieses neuen Kommunikationspotentials muessen von Forschung und Entwicklung sowie last, but not least von der Politik ausgehen.

Es ist zu ueberlegen, ob "flexible Arbeit" anstelle der gar als deren Synonym derzeit in der Literatur verwendeten Begriffe "Telearbeit" oder "Telework" zu gebrauchen waere. Flexible Arbeit bedeutet weitgehende Unabhaengigkeit von Buerozeiten und Standorten. Natuerlich handelt es sich hier um eine allgemeine Erklaerung des Begriffs, die auf viele Buerotaetigkeiten zutrifft.

Die Schwierigkeiten und Probleme der flexiblen Arbeit sind im organisatorischen und menschlichen Bereich angesiedelt sowie in konkreten Arbeitsinhalten. Sie verlangt Fuehrung durch Zielvorstellungen, Selbstdisziplin und eine neue Einstellung zur Aufsicht. Unter diesen Voraussetzungen koennte man Telework als flexible, auf Telekommunikation gestuetzte Arbeit definieren, was eine sehr naheliegende Kombination darstellt.

Kleinere gesetzliche Schranken ueberwindbar

Aus technischer Sicht scheint es hier keine groesseren Hindernisse mehr zu geben. Die Kompatibilitaet, insbesondere bei rechnergestuetzten Multimedia-Anwendungen, bedarf zwar noch der Verbesserung, und auch Bandbreite und Qualitaet unterliegen dynamischen technischen Fortschritten. Doch ist eine Vielzahl wirtschaftlicher Loesungen fuer Telework bereits gefunden. Es gibt noch kleinere gesetzliche Schranken, doch sind auch sie ueberwindbar.

Welche Argumente fuehren nun die Verfechter von Telearbeit hauptsaechlich ins Feld?

- Flexibel Beschaeftigte moechten ihre Arbeitszeit selbst einteilen sowie Fahrtzeiten und -kosten sparen. Die Flexibilitaet ihrer beruflichen Situation verspricht ein hoeheres Mass an Selbstbestimmung und Zufriedenheit.

- Unternehmen beziehungsweise Arbeitgeber lassen sich vor allem von wirtschaftlichen Erwaegungen leiten. Sie erhoffen sich von zufriedeneren Mitarbeitern eine hoehere Produktivitaet und sehen hier Moeglichkeiten, die Buerokosten zu reduzieren.

- Die Betreiber von Telekommunikationsnetzen moechten natuerlich den Verkehr in ihren Netzen steigern.

- Die Gewerkschaften versuchen, Beschaeftigte in Fragen der Versicherung, des Beschaeftigungsstatus sowie der sozialen Aspekte ihres beruflichen Umfelds zu schuetzen.

- Politiker wollen neue Arbeitsplaetze schaffen, die Wettbewerbsfaehigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaft staerken. Ausserdem hoffen sie, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren, wie es dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable development) entspricht.

Ungluecklicherweise stehen diese Argumente, die sich den drei Kategorien "oekologisch", "oekonomisch" und "sozial" zuordnen lassen, teilweise im Widerspruch zueinander. Denn natuerlich hegen die verschiedenen Seiten unterschiedliche wirtschaftliche Interessen. Der flexibel Beschaeftigte erzielt Einsparungen bei den Fahrtkosten, waehrend der Arbeitgeber die Kosten fuer die Telekommunikation zu tragen hat.

Daher versuchen die Unternehmen, diese Ausgaben gering zu halten, waehrend Netzbetreiber am liebsten hochwertige und moeglichst breitbandige Dienstleistungen verkaufen wuerden.

Ausserdem koennten Konflikte zwischen kurzfristigen geschaeftlichen Erwaegungen und langfristigen oekonomischen, oekologischen und sozialen Perspektiven auftreten.

Umweltvertraeglichkeit ist in erster Linie ein Thema fuer Politiker. Ihre Aufgabe waere es, einen fairen und tragbaren Kompromiss zwischen den widerspruechlichen Zielen herbeizufuehren. Die Vernachlaessigung nur eines dieser Ziele koennte Motivation und Akzeptanz der flexiblen Arbeit ernsthaft unterminieren. Nur konzertierte Aktionen und Strategien mit interdisziplinaerem Ansatz unter Einbeziehung der Interessen aller Beteiligten lassen nachhaltige, ausgewogene Resultate erwarten.

Immense Potentiale tatsaechlich umsetzen

Insbesondere durch Verordnungen zum Umweltschutz und finanzielle Neuregelungen, zum Beispiel durch Schaffung von Anreizen fuer Arbeitgeber, die Pendelverkehr und Geschaeftsreisen eindaemmen sollen, koennen politische Entscheider der Idee der flexiblen Arbeit zum Durchbruch verhelfen. Ein Vergleich zwischen den USA und Europa offenbart die massgebliche Rolle der politischen Rahmenbedingungen, wenn es darum geht, die vermuteten immensen Potentiale der Telearbeit tatsaechlich umzusetzen. Der amerikanische Clean Air Act ist das wohl bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang.

Die Erforschung der praktischen Einfuehrungsbedingungen und Anwendungsmoeglichkeiten ist ein weiteres Gebiet, auf dem die Politik Anreize geben kann. Noch immer besteht dringender Bedarf an ausgereiften und detaillierten Informationen dazu, wie sich flexible Arbeit und Telekommunikation so realisieren lassen, dass sich daraus moeglichst grosse oekonomische, oekologische und soziale Vorteile ergeben. Anstatt sich auf Schaetzungen und Lobeshymnen bezueglich des Potentials der Telearbeit und der sich daraus ergebenden Vorteile fuer das Verkehrwesen zu beschraenken, gilt es, den Schwerpunkt der Forschung und der politischen Aktivitaeten auf die Realisierung, auf anwendungsorientierte Innovationen und die Entwicklung neuer Taetigkeitsprofile zu verlagern. Auch hier erschliessen sich durch das Konzept der flexiblen Arbeit vielfaeltige Moeglichkeiten.

Benoetigt wird ferner ein wirklich gutes Handbuch fuer die Implementierung der flexiblen Arbeit. Darin sollten die Schritte aufgezeigt sein, die fuer verschiedene Organisationen unter Beruecksichtigung ihrer jeweiligen Branche, Groesse, Strukturen, Taetigkeitsprofile etc. notwendig sind.

Es sollte Richtlinien aehnlich Rezepten enthalten, die so spezifisch wie moeglich und so allgemein wie noetig Bereiche wie

- technische Informationen,

- die Auswahl der Anwendungen und Mitarbeiter,

- ihre Einarbeitung und Schulung,

- den Umsetzungsprozess,

- gesetzliche Bestimmungen sowie

- die wirtschaftliche Effizienz behandeln.

Ausfuehrlich dokumentierte, erfolgreiche Modellbeispiele sollten Anregungen zur Nachahmung geben. Die jeweils erfolgversprechendsten Anwendungen und Strategien fuer spezifische Konstellationen aufzuzeigen und zu entwickeln ist eine gleichermassen wichtige wie anspruchsvolle Aufgabe. Ein innovatives Beispiel waere ein Netzwerkbetreiber, der ein Zentrum fuer Anwendungsentwicklung unterhaelt, in dem die Kunden aktiv am Entwicklungsprozess beteiligt sind.

Neben den Pendlerfahrten liessen sich auch Geschaefts- und Dienstreisen zwischen verschiedenen Niederlassungen von Unternehmen oder Verwaltungsbehoerden sowie ganz allgemein Routinereisen gut ersetzen. In Deutschland zum Beispiel, wo grosse Ministerien bald teils in Bonn und teils in der neuen Bundeshauptstadt Berlin angesiedelt sein werden, wird man auf Telekooperation angewiesen sein.

Im Forschungszentrum der Deutschen Telekom befasst man sich im Rahmen eines breit angelegten Forschungsprojekts ueber "Telekommunikation als Ersatz fuer physischen Verkehr" mit Aspekten wie

- neue Lebensstile,

- Lebensqualitaet,

- flexible Arbeit und

- Vorteile fuer das Transportwesen.

Die oekologischen Vorteile nicht ueberschaetzen

Neue Telematik-Anwendungen, die zur Reduktion des Verkehrs beitragen koennten, werden auch in Bereichen wie Verlagswesen, Medien, Sicherheit etc. diskutiert. Die Identifikation und Schaffung neuer, oekonomisch wie oekologisch vorteilhafter Anwendungsmoeglichkeiten der Telekommunikation eroeffnen Wettbewerbsvorteile in unternehmerischer wie volkswirtschaftlicher Sicht. Also ist die Foerderung innovativer Ideen und benutzerorientierter Kreativitaet, die die Beduerfnisse von Benutzern aufspuert und fruehzeitig einbezieht, ein aeusserst vielversprechender Ansatz. Einmal mehr muss hier auf den Nutzen eines Handbuchs fuer die Realisierung solcher Konzepte hingewiesen werden.

Die Forschungsaktivitaeten sind jedoch nicht auf den beruflichen Sektor beschraenkt. Neue - und derzeit vieldiskutierte - Dienstleistungen fuer Privatkunden, wie Video on demand, Telelearning und Teleshopping, muessen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Gesellschaft und Verkehr gruendlich untersucht werden. Insbesondere ergibt sich aus der Tatsache, dass sich diese Dienstleistungen noch im Ausgestaltungsprozess befinden, die Gelegenheit zur Auswertung und Beeinflussung ihrer Entwicklung gemaess der Idee der antizipativen, gestaltenden Technologiebewertung.

Bis dato liegen keine hinreichenden Informationen insbesondere darueber vor, wie sich Verkehrsminderung und Verbesserungen der Lebensqualitaet am besten erzielen lassen. Wie zuvor bereits angesprochen, werden diese Ziele nicht automatisch durch eine intensivere Nutzung der Telekommunikation und flexible Arbeit erreicht.

Dass Telekommunikations-gestuetzte Anwendungen verkehrserzeugend wirken koennen, belegen beispielsweise die Just-in-time-Produktion sowie der weltweite Einkauf von Guetern und Zwischenprodukten (Global sourcing). Auch hier ergeben sich fuer die Politik Moeglichkeiten, die Entwicklung beispielsweise durch Verteuerung des physischen Verkehrs und Anheben der Energiekosten zu beeinflussen. In der Terminologie der "nachhaltigen Entwicklung", wo der Unterstuetzung realisierbarer Alternativen eine Schluesselrolle zukommt, heisst dies "Internalisierung der Umweltkosten".

Die oekologischen Vorteile der Telekommunikation als Ersatz fuer physischen Verkehr duerfen indes nicht ueberschaetzt werden. Wie schon erwaehnt, kann sie zusaetzlichen Verkehr sowie viele weitere schwer einschaetzbare Effekte etwa im Hinblick auf die Raumstruktur und das Siedlungsverhalten mit sich bringen. Daher stellen Telekommunikation und flexible Arbeit keine Loesung fuer den drohenden Verkehrsinfarkt in den Staedten und das rasant wachsende generelle Verkehrsaufkommen dar.

Doch kann die Telekommunikation, ueberlegt eingesetzt, einen sehr wichtigen Beitrag leisten, der keineswegs vernachlaessigt werden darf. Hierbei ist die Nutzung der politischen und wirtschaftlichen Moeglichkeiten zur Schaffung eines geeigneten Rahmens fuer erfolgreiche, vorteilhafte und benutzerfreundliche Anwendungen von allergroesster Bedeutung.

Grossartige Gelegenheit, voneinander zu lernen

Die hier dargelegten Gedanken und Ideen sind Teil des Konzepts der diesbezueglichen Forschungstaetigkeiten der Deutschen Telekom AG. Hierbei spielen interdisziplinaere empirische Untersuchungen zur umfassenden Auswertung von Anwendungen, ihrer Akzeptanz, organisatorischen Auswirkungen, Folgen fuer die Verkehrsentwicklung und wirtschaftlichen Rentabilitaet eine zentrale Rolle. Allerdings sind diese Untersuchungen alles andere als einfach angesichts der Breite des Anwendungsfelds, der Unterschiedlichkeit der Konstellationen, die dabei abgedeckt werden sollten, und der enormen Differenzierungen, die dabei vorzunehmen sind.

Auch in anderen Laendern sind diese Forschungen von Bedeutung. Aufgrund der kulturellen Unterschiede von Land zu Land lassen sich zwar nicht alle Resultate ohne weiteres uebertragen. Aber es bietet sich hier dennoch eine grossartige Gelegenheit, voneinander zu lernen, so dass sich eine enge Zusammenarbeit und Koordination lohnt.

"Sustainable development" (zu deutsch: nachhaltige oder dauerhafte oder auch langfristig tragfaehige Entwicklung) wurde 1987 allgemein bekannt durch den Bericht der von der UNO eingesetzten Weltkommission fuer Umwelt und Entwicklung. Diese Kommission hatte unter dem Vorsitz der norwegischen Ministerpraesidentin Gro Harlem Brundtland drei Jahre lang die globalen Umwelt- und Entwicklungsprobleme in ihren Zusammenhaengen analysiert und langfristige Strategien erarbeitet. Die Kommission definierte "nachhaltige Entwicklung" als "Entwicklung, die die Beduerfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass kuenftige Generationen ihre eigenen Beduerfnisse nicht befriedigen koennen".

Der vage, unverbindliche Charakter dieser Formulierung ermoeglichte eine breite Zustimmung und Akzeptanz, so dass "Sustainable development" als Leitmotto der "UN-Konferenz ueber Umwelt und Entwicklung" (UNCED), die im Juni 1992 als "Erdgipfel" in Rio de Janeiro stattfand, dienen konnte. Im Kern geht es dabei um den ueberaus schwierigen Ausgleich zwischen oekologischen und oekonomischen Interessen unter Einbeziehung sozialer und gesellschaftlicher Aspekte und damit auch um das Verhaeltnis zwischen Industrie- und Entwicklungslaendern.

Dieser Artikel basiert auf Ausfuehrungen des Autors waehrend des Kongresses Telework '94 in der Panel-Diskussion ueber Lebensstile am 3. und 4. November in Berlin.

* Axel Kolb ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Telekom AG, Forschungs- und Technologiezentrum in Darmstadt.