Interview

"Politiker, laßt die Finger vom E-Commerce"

25.06.1999
Mit Stefan Röver, dem Vorstandssprecher der Brokat Infosystems AG, sprach Johannes Fritsche im Auftrag der COMPUTERWOCHE

CW: Ist das Rennen um den international besten E-Commerce-Standort nicht längst zugunsten der USA entschieden?

Röver: Für einige Marktbereiche mag das zutreffen, aber nicht für alle. Bei den Finanzdienstleistungen sind die Europäer den USA zum Beispiel voraus. Die europäischen Banken haben ein sehr gut funktionierendes elektronisches Interbanking-System, während in den Vereinigten Staaten der Zahlungsverkehr unter den Finanzinstituten immer noch per Scheckversand läuft. Ferner werden in Europa digitale Telefone und Smartcards wesentlich häufiger für die Bezahlung genutzt als in Amerika. Auch ist die Authentifizierung viel weiter verbreitet. Keine Frage, Europa hat hier einen Vorsprung.

CW: Im Zusammenhang mit der Standortfrage wird immer wieder das Kriterium der Verschlüsselung diskutiert.

Röver: Eine Zahlung im Internet ist heute bereits sicherer als eine konventionelle Kreditkartenzahlung an der Tankstelle. Technisch ist das Problem längst gelöst, weil Methoden und Werkzeuge entwickelt wurden, die so gut funktionieren, daß sie Regierungen beziehungsweise Geheimdiensten in einigen Ländern sogar zu perfekt waren. Dadurch ist in der öffentlichen Diskussion eine Unsicherheit entstanden, die jetzt durch sachliche Aufklärung ausgeräumt werden muß.

CW: Welchen Einfluß hat die staatliche Regulierung auf den Standort Deutschland?

Röver: Wir müssen uns von dem traditionellen Modell lösen, daß der Staat im Daten- und Verbraucherschutz weitgehende Regulierungsbefugnisse hat. Das ist nicht mehr zeitgemäß, weil jedes Unternehmen sich durch das Medium Internet den Standort mit den attraktivsten wirtschaftlichen und rechtlichen Randbedingungen selbst aussuchen kann. Es ist egal, ob der Server in Ungarn oder auf den Kanalinseln beheimatet ist und von Deutschland aus mit Angeboten gefüllt wird. Das Geld fließt dorthin, wo der Server steht, und dort werden auch die Steuern gezahlt. Die Regierungen verlieren damit ein Stück Souveränität.

CW: Was soll die deutsche Regierung hinsichtlich der Regulierung tun oder lassen?

Röver: Der E-Commerce profitiert davon, daß er in einem sehr freien Markt stattfindet, in dem es die traditionellen bürokratischen Hemmnisse noch nicht gibt. Deshalb sage ich zu den Politikern: Laßt die Finger davon, faßt keine Knöpfe an.

CW: Aber ohne ausreichenden Daten- und Verbraucherschutz wird der Kunde kein Vertrauen zum neuen Medium aufbauen.

Röver: Natürlich geht es nicht ohne Grundregeln. Diese müssen zum Beispiel sicherstellen, daß Konsumenten, egal wo sie im Internet einkaufen, im Streitfall weltweit Rechtsschutz haben, idealerweise sogar elektronisch. Dafür benötigen wir aber kein Regelungsmonopol des Staates mehr, ein effektiver Verbraucher- und Datenschutz ist auch privatwirtschaftlich zu realisieren. Denkbar sind elektronische Siegel oder Zertifikate, die Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaften für die Web-Seiten der Anbieter ausstellen. Sie garantieren dann, daß dort die Daten- und Verbraucherschutzbedingungen auch erfüllt werden.

CW: Analog dem VDE- oder CE-Stempel?

Röver: Ja, genau. Der Grundschutz ist das entscheidende Kriterium für die Auswahl des Standorts. Es wird also einen Wettbewerb unter den entsprechenden Kandidaten geben. Wenn sich einmal gewisse Standortmarken mit vernünftigem Verbraucherschutz und attraktiven Angeboten etabliert haben, dann wird es für neue Standorte sehr schwer, noch ins Geschäft zu kommen. Das Rennen wird jetzt entschieden. Da die Steuern nur da fließen, wo die Angebote stehen, geht es für den Standort Deutschland um viel.

CW: Die Regierung täte also gut daran, nur die nötigen Regeln aufzustellen und alles zu unterlassen, was behindert.

Röver: Die Grünen haben diesen Gedanken teilweise besser verinnerlicht als die SPD. Deren Staatssekretär im BMWi, Siegmar Mosdorf, ist dem neuen Medium gegenüber sehr aufgeschlossen, doch die Stahl-Kohle-Fraktion der alten Genossen-Garde, die immer noch Deutschland mit Investitionen in die Kohle retten will, verhindert, daß diese Regierung mit ganzer Kraft nach vorne schauen kann.