Politik der kleinen Schritte

12.09.1980

Magister Reinhard Göbl. Wien, aus einem Vortrag des Internationalen Seminars "Praktische Einführung in rechnergestütztes Konstruieren und Fertigen im Bauwesen."

Das wohl schwierigste Problem stellt die Integration des Rechners in den Alltag von Konstruktion und Fertigung dar (samt Verflechtung dieser beiden Gebiete). Rechnereinsatz im Fertigungsbereich ist für mehrere Unternehmen in Österreich bereits Realität.

Ein Überblick über existierende CAD-Systeme im Stahlbau zeigt die Bedeutung der Beschreibungsmethoden und Eingabeverfahren mit daraus eventuell folgenden Einschränkungen für den Konstruktionsbereich auf:

- Textförmige Beschreibung und Eingabe technischer Objekte,

- Abruf vorgegebener, eventuell parametrisierbarer Konstruktionselemente über Menüs in interaktiver Arbeitsweise, was Probleme bei der exakten Plazierung und Parametrisierung bringen kann, daher wieder Annäherung an textförmige Darstellung,

- Frage der korrigierenden Eingriffsmöglichkeiten für den Ingenieur und "Wiederaufsetzmöglichkeiten" während des Konstruktionsprozesses,

- Möglichkeiten von Kombinationen verschiedener Beschreibungsmethoden.

Man ist derzeit einfach (noch?) nicht so weit, genügend effiziente Beschreibungs- und damit Eingabeverfahren für alle Konstruktionsbereiche anbieten zu können; wie die Fachdiskussion zeigt, ist dies jedoch für einige Gebiete gegeben (leichter bis mittelschwerer Stahlbau, zum Beispiel Hallen). Wie das Beispiel eines Wärmetauschers zeigt, dürften textförmige Beschreibungen durchaus leistungsfähig sein, zumal ja beispielsweise Parameter üblicherweise aus Konstruktionsskizzen direkt übernommen werden können. Es ist Aufgabe der Anwender, die Einsatzfähigkeit solcher Methoden zu prüfen, sie eventuell abzuändern oder - eventuell in Zusammenarbeit mit Informatikern - neue zu entwerfen.

Interdisziplinärer Charakter des CAD/CAM

Wiederholt wurde der interdisziplinäre Charakter des CAD/CAM spürbar. Ergebnisse beteiligter Disziplinen (Informatik, Ingenieurwissenschaften) sollten verstärkt ausgetauscht werden, was zum Beispiel im beruflichen Weiterbildungsbereich eine beachtliche Aufgabe darstellt. Auch die Universitäten müssen endlich verstärkt in diesem Bereich Ausbildung anbieten (Systematisches Konstruieren, numerische und nichtnumerische Datenverarbeitung samt Anwendungen in Ingenieurdisziplinen) und auch die hierfür nötigen Ausrüstungen erhalten. Ein noch so guter Zentralrechner nützt wenig, wenn man bei 300 oder gnadenhalber 1200 Baud am Grafikterminal einzuschlafen droht, oder wenn 20 bis 30 Studenten an einem Terminal arbeiten sollen. Auch die - an sich sehr erfreuliche - CALMA-Anlage der TU Wien ist hier leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ein qualifizierter Ingenieur wird künftig ohne profunde Kenntnisse über Rechneranwendung kaum bestehen können. Für Universitäten bietet sich hier also in Forschung und Lehre ein weites Betätigungsfeld. Großes Problem: Geld für nötige Anlagen.

In engem Zusammenhang mit Beschreibungsmethoden steht die Erfaßbarkeit von Konstruktionsvorgängen, also die Beschreibbarkeit jenes Prozesses, der die eigentliche Konstruktionsinformmation liefert. Eine kürzlich vom CAD-Spezialisten Pegels vorgestellte Software gestattet die Formulierung von Konstruktionsalgorithmen, mittels "Makros" in programmiersprachenähnlicher Form, die von jedem Unternehmen weitgehend selbst zu erstellen ist. Diese "Kochbücher" stellen das eigentliche, firmenspezifische Know-how dar.

Die Erstellbarkeit dieser Konstruktionsalgorithmen sind das eigentliche Zentralproblem des CAD/CAM: Man ist heute einfach auf wichtigen Gebieten noch nicht so weit, Konstruktionsarbeit befriedigend fassen zu können. Man sollte sich nicht auf die vollständige automatische Konstruktion fixieren - die Erfahrung des Ingenieurs muß nutzbar bleiben. Große Bedeutung kommt daher der Abstimmung der Eingriffsmöglichkeiten des Konstrukteurs mit "autonomen" Arbeitsabschnitten der Software zu.

So führt Pegels beispielsweise die Bemessung nicht nach der statischen Berechnung durch, sondern bezieht bewußt die Erfahrung des Ingenieurs ein, indem er eine Vorbemessung durch den Ingenieur - der für viele Standardfälle die Bemessung mit großer Trefferwahrscheinlichkeit aus Erfahrung angeben kann - für die statische Berechnung heranzieht. Die einzelnen Anwendungsgebiete sind aufgefordert, ihren Bestand an Konstruktionsvorgängen zu durchforsten, um Teile daraus auf den Rechner übertragen zu können.

Ein weiterer Einwand taucht immer wieder auf: Die österreichische Stahlindustrie scheint auf dem Markt als "Spezialist für Spezialanfertigungen" zu figurieren; die großen Serien machen andere. Dies ist auf den ersten Blick ein Hemmschuh für die Einführung von CAD. Auf den zweiten Blick sieht man allerdings, daß sich auch einzelne Komponenten, die ja immer wieder kehren, mit CAD-Methoden bearbeiten lassen. Außerdem unterschätzt man vermutlich, welche Variabilität durch schon verfügbare Systeme (Parametrisierung, "Kochbücher" für Details) bereits erreicht werden kann und daß auch reine ("dumme") Zeichensysteme sich allein durch Beschleunigungen im Zeichenbereich rentieren. In meinen Augen das wichtigste Argument: Vermutlich wird man in einigen Jahren aus Konkurrenzgründen um den Einsatz solcher Methoden nicht herumkommen. Es dürfte Illusion sein zu glauben, daß die Einführung einer "komplexen" CAD-Lösung dann mit einem Schlag gelingt. Auch hier empfiehlt sich also die Politik der kleinen Schritte, die ein gewisses Wachsen des gesamten Betriebs mit solchen Systemen zuläßt.

Ein Hindernis stellt in manchen Betrieben die Organisationsstruktur im EDV-Bereich dar. Die technische DV hängt mitunter als Anhängsel an der kommerziellen DV, was bisher eventuell ausreichte. Die im CAD-Bereich zu erwartenden Entwicklungen setzen nicht nur eine autonome Verfügbarkeit von Rechnerkapazität im technischen Bereich voraus, sondern bedingen auch andere spezifische Leistungen des Rechners wie hohe Interaktivität, Grafik, technische Datenbanken, virtuelle Betriebssysteme, Robustheit, Ausbaubarkeit, Kommunikation etc. mit daraus folgenden Konsequenzen für Auslegung und Architektur von Betriebssystemen und Hardware. Herkömmliche Mainframes können als Hintergrundrechner für große Batchjobs dienen, für CAD sind sie eventuell zu schwerfällig und auch zu teuer. Einige der heute verfügbaren "Minirechner" bieten hier schon sehr viel und in diskutablem wirtschaftlichen Rahmen.

Ein weiteres Problemfeld: Personal, Schulung, Gewerkschaften, Vorbereitung des Einsatzes von CAD. Die präsentierte Software wird in einigen deutschen mittelständischen Stahlbauunternehmen zum Teil direkte Konkurrenten österreichischer Betriebe, eingesetzt. Erfahrungsgemäß bedarf die Einführung von CAD sorgfältiger Vorbereitung, ganz besonders im Personalbereich (Jobkiller, Wegrationalisierung etc.).

Jedenfalls empfiehlt sich eine frühzeitige Auseinandersetzung aller Beteiligten. Möglichst umfassende und sachlich einwandfreie Information aller läßt manche Mißverständnisse erst gar nicht aufkommen. Weitere Konsequenzen: Die Einführung von CAD ist Sache der Unternehmensführung und nicht irgendeiner untergeordneten Hierarchie: "Machen's das halt" als Strategie ist ein sicheres Rezept für Unruhe und Nichtrentabilität.