Projekt-Management/Die Projekt-Management-Software wurde überwiegend selbst entwickelt

PM im Schiffbau: Karibikträume beginnen am Computer

03.10.1997

Mit allen Eventualitäten ist zu rechnen, wenn ein Kreuzfahrer auf Kiel gelegt wird. Urlaub auf See erfordert so von den Schiffbauern intensives Vordenken und präzises Projekt-Management bei der Fertigung. "Kein Schiff gleicht dem anderen", weiß DV-Leiter Erwin Santen von der Meyer Werft in Papenburg, die sich als Privatunternehmen (1795 gegründet) in dem Metier weltweit erfolgreich behauptet. Exakt zugeschnittene DV-Unterstützung ist Dreh- und Angelpunkt bei der Fertigung.

Die Meyer Werft arbeitet in einer Konfiguration aus Mainframe (IBM ES/9000 Mod. 96/2), Datenbankrechner (AS/400), Workstations (RS/6000) und PCs. Das Planungssystem läuft auf der ES/9000 (unter anderem Arbeits- und Kapazitätsplanung); auf der AS/400 liegen die Daten für das Material.

In großem Umfang kommt selbsterstellte Software zum Einsatz. "Insgesamt versuchen wir zwar, Standardsoftware anzuwenden", erklärt DV-Leiter Santen, "aber wir haben festgestellt, daß es im Projekt-Management und der Planung keine standardisierte Software gibt, die unsere Anforderungen abdeckt." Santen streicht dazu generell heraus: "Wir werden nur dann glücklich, wenn wir die DV an unsere Organisation und Bedürfnisse anpassen. Und das heißt bei der Meyer Werft ganz unmißverständlich: die DV muß unserer Organisation Hilfestellung leisten und nicht umgekehrt."

Der Bau eines Kreuzliners gleicht dem einer Stadt mit allem Drum und Dran für 3000 Menschen. Um sich eine Vorstellung über den Umfang der Aufgaben für ein Projekt-Management in diesem Bereich zu machen, sind Zahlen über ein Schiff dieser Größenordnung hilfreich: Auf knapp 264 Metern Länge erfreuen sich Kreuzfahrer am Luxus in den Kabinen, Restaurants, Bars, Geschäften und an einem Theater mit neuester Bühnentechnik.

Elf Pools lassen Urlaubs- Feeling aufkommen. 1350 Fernseher und 2100 Telefone stehen für die Kommunikation an und von Bord zur Verfügung. Wasseraufbereitung, Energieversorgung und Recycling finden an Bord statt.

Für Daten-Freaks: Laut Datenblatt eines neueren Cruise-Liners wurden 1685 Kilometer Kabel verlegt. An Farbe wurden 220 Tonnen verbraucht.

Die Antriebsleistung der unlängst ausgelieferten "Mercury" beträgt 53556 PS. Die Bauzeit liegt bei rund 2,5 Jahren. Von der Projektplanung her verwaltet die DV der Papenburger Werft bei einem Kreuzfahrtschiff rund 6000 bis 7000 Vorgänge mit über 1100 Verknüpfungen. Diese Zahl variiert jedoch von Auftrag zu Auftrag.

Der Bau eines Schiffes heutzutage läßt sich in etwa mit einem "Lego-System" vergleichen. Aus 50 Blöcken, die wiederum aus einzelnen Sektionen - kleineren Blöcken - gefertigt werden, setzt sich das Schiff sukzessive zusammen. Eine Sektion umfaßt eine Deckshöhe, eine Schiffsbreite und hat eine Länge von etwa zehn bis elf Metern. Auch die Sektionen, aus denen dann die endgültigen Blöcke entstehen, werden im überdachten Teil des Geländes erstellt. Die Installation möglichst vieler Ausrüstungsteile, vor allem aber größere wie Kabel- und Klimaschächte oder Rohre, erfolgt bereits in diesem Fertigungsabschnitt. "Zentraler Ansatzpunkt für die Planung ist, wann welcher Block von der Blockfertigung ins Baudock zu hieven ist, um das Schiff sinnvoll wachsen zu lassen", erklärt Günter Bahlmann, zuständig für DV-Planung und Konzeption. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Baudock im Normalfall zwei Schiffe in verschiedenen Fertigungsstadien gleichzeitig in Arbeit sind. Aus dieser Simulation ergeben sich Grobtermine. Davon wiederum hängen die Daten für die Materialbedarfsplanung und die Planung der Personalkapazität ab. Zu bestimmten Spitzenzeiten arbeiten bis zu 1000 eigene und ebenso viele fremde Mitarbeiter gleichzeitig an einem Schiff.

Ein wichtiger Teil im Rahmen der umfassenden Planungs-Tools ist ein mit Visual Basic und C++ erstelltes Simulationsprogramm unter Windows NT. Damit läßt sich die Flächenbelegung der Halle verbessern. Die Fertigung der Blöcke, die letztendlich das Schiff ergeben, erfolgt neben dem überdachten Baudock. Aus diesem Grund ist der Baubereich der Blöcke in Abhängigkeit von der Bautätigkeit und Fertigstellung für den späteren Zusammenbau bestmöglich zu nutzen. Aber auch die Bauhöhe und der Schwenkbereich des Krans spielen hier eine wichtige Rolle. Zusätzlich werden Transportwege verkürzt.

Je näher ein bestimmter Termin rückt, desto detaillierter wird der Plan, der auf den tatsächlichen Werten aufbaut, erstellt und durchgesprochen. Diese Daten ergeben sich aus den "Auftrag-fertig-Meldungen". Bewährt hat sich die Planung in Gruppen und in Gruppenaufträgen. Von jeder Arbeitsstelle gehen im Fertigungsprozeß Statusmeldungen über den Arbeitsauftrag jeder Gruppe vom zuständigen Meister per DV zurück an die Zentralplanung. Auf diese Weise ist der aktuelle Stand der Arbeiten jederzeit abrufbar. Diese Fertigmeldungen werden auf der AS/400 erfaßt und an das Planungssystem der ES/9000 übergeben.

Das Datenvolumen für ein Schiff wie die Mercury ist immens. Deshalb ist der Austausch der Daten zwischen den Programmen ein wichtiges Thema. Da die Software zum Großteil selbst erstellt wurde, sind auch die Schnittstellen präzise und problemfrei definiert.

Ein Schiff ist von der Bedarfsplanung her in rund 500 Baugruppen wie Antrieb, Klimaanlage oder auch Bugstrahlruder eingeteilt. Für neue oder modifizierte Komponenten starten die Papenburger Anfragen bei den Zulieferern.

Insbesondere bei neuen Anlagen sind intensive Abstimmungen mit den Zulieferern schon im Vorfeld nötig; zum Beispiel richtet sich die Art der Antriebsmaschine unter anderem nach der gewünschten Geschwindigkeit und Schiffsgröße.

Materialplanung und -terminierung nehmen beim Schiffbau breiten Raum ein, da die meisten Teile speziell zu ordern sind. "Logistik ist das A und O beim Schiffbau", so DV-Leiter Santen. Der Einkäufer erhält über das benötigte Material eine Bedarfsmeldung - zum Beispiel über Wasserhähne mit aufgeprägtem Wappen der Auftragsreederei. In dieser Bedarfsplanung sind vor allem die Termine klar festgelegt, an denen die Teile vorrätig sein sollen. Jedes einzubauende Teil erhält direkt bei seiner Bedarfsmeldung eine Zuordnung.

Und das ist eine Besonderheit bei der Meyer Werft. Die Teile bekommen eine Nummer und Koordinaten, wo sie eingebaut werden müssen. Dies bewährt sich bei großen Systemen wie Maschinenanlagen, die im Schiffsbauch untergebracht sind, deren Steuerung aber auf der Brücke vorgesehen ist. Die terminliche Anlieferung der Teile ist also auch abhängig vom Ort des Einbaus.

Die Planung des Bedarfs, der Kapazitäten und der Fertigung ist bis ins kleinste Detail ausgetüftelt. So existiert zum Beispiel auch ein Spezialprogramm für die Kabelverlegung. Der Kabelplaner gibt seinen Bedarf mit Anfangs- und Endpunkt an das CAD-System. Errechnet wird die Kabellänge unter Berücksichtigung des Kabelwegs, der Belegung des Kabelkanals und verbotener Überschneidungen. "Das mit einer Nummer versehene Kabel wird konfektioniert und später so an Bord gebracht", erklären die Schiffbauer.

Auch wenn eine Planung noch so gut ist, Verschiebungen kann es bei jedem Projekt geben. Je frühzeitiger sie allerdings erkannt werden, desto einfacher sind sie zu beheben. Bei der Meyer Werft kommt hier der Arbeitsvorbereitung eine wichtige Rolle zu. Sie erhält Zeichnungen und Materialpläne und kann anhand dieser Daten schon frühzeitig feststellen, ob alle Teile vorrätig sind.

Zeichnen sich hier oder in der Fertigung Schwierigkeiten ab, stellen Simulations- und Planungs-Tools Alternativen bereit.

Konsequent wird am Projekt-Management gefeilt, um Wünsche und Anregungen der Benutzer möglichst gut und rasch einzubringen. "Uns liegt an einer engen Beteiligung der Enduser", betont Santen. Nur so ergibt sich eine möglichst große Akzeptanz, denn "Schiffbau ist Teamwork", so das übereinstimmende Credo in der Meyer Werft.

ANGEKLICKT

DV-gestütztes Projekt-Management begleitet den kompletten Bau eines Schiffes von der Planung bis zum "Stapellauf". Produktionsort der Meyer Werft ist ein überdachtes Baudock mit 370 Meter Länge, über 100 Meter Breite und 60 Meter Höhe. Der Schiffbau basiert auf einem Generalplan, der alle Werte und Daten umfaßt und sich entfernt mit dem Grundriß eines Hauses vergleichen läßt. Für diesen, dank CAD in wenigen Tagen erstellten Generalplan setzen die Papenburger das CAD-System "Catia" ein.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in Hamburg.