Konstruktion und Fertigung/PPS-Einsatz bei der Zweckform Bueroprodukte GmbH

Plattformunabhaengige Loesung ebnet den Weg zum Downsizing

02.06.1995

Individuell konfigurierbare PPS-Software stellte bei Zweckform, einem Druckunternehmen mit auftragsorientierter Fertigung und entsprechender Produktvielfalt, eine Alternative zu Standardloesungen dar. Das im Sourcecode ausgelieferte Programm erlaubte eine bedarfsgerechte Anpassung an die einzelnen Prozessketten und einen sukzessiven Austausch existierender Inselloesungen.

Zweckform mit Hauptsitz in Holzkirchen bei Muenchen beschaeftigt rund 950 Mitarbeiter, die mit der Herstellung von Buerobedarfsprodukten einen jaehrlichen Umsatz von rund 230 Millionen Mark erwirtschaften.

In zwei Werken stellt das Unternehmen Formularbuecher sowie Etiketten fuer Industrie und Handel in Papier- und Folienausfuehrung als Lagerware und Akzidenzfertigung her. Die Haftetiketten werden unter anderem fuer die Kennzeichnung und Beschriftung von Joghurtbechern, Eisverpackungen, Batterien und Kosmetika verwendet. Produziert wird mit Druckmaschinen, Anlagen fuer das Auftragen von Lacken und Klebern, Extrudern fuer Kunststoffbeschichtungen, Lackier-, Kaschier- und Schneidemaschinen, Praegekalandern und Stanzen.

Ein auf Basis der Datenbank DL/1 eigenentwickeltes PPS-System war bereits seit 1980 im Einsatz. Die Pflege und Anpassung der in PL/1 entwickelten Altanwendungen ist auf Dauer wirtschaftlich nicht tragbar. Produkt- und vertriebsbedingt ist die Vorkalkulation eine wichtige Anwendung, bei der es immer wieder zu Aenderungen kommt. In einem nicht arbeitsplanorientierten System ist dies sehr aufwendig. Auch die Brutto- und Nettobedarfsermittlung sowie die Stuecklistenaufloesung waren mit dem Altsystem nur schwer oder gar nicht realisierbar, so dass die Verantwortlichen nach wirkungsvolleren Alternativen suchten.

Mainframe-Ressourcen sollten nicht wachsen

Zugekaufte Standardsoftware gab es bis zur PPS-Neueinfuehrung nur im Finanzbereich. Bei den uebrigen Programmen handelte es sich ausschliesslich um Eigenentwicklungen. "Durch die Anschaffung des neuen Systems sollten die mit gutem betriebswirtschaftlichem und firmen-spezifischem Know-how ausgestatteten Programmierer nicht zu blossen Tabellenknechten avancieren", formuliert Frieder Spiess, Leiter der Informationsverarbeitung bei Zweckform, seinen fuehrungspsychologi-schen Anspruch. "Es galt, ein System zu finden, das die kreativen Beduerfnisse der Programmierer befriedigt sowie eine wirtschaftliche Produktionsplanung und -steuerung erlaubt." Durch die Neueinfuehrung sollte weder Personal entlassen, noch zusaetzliche Mitarbeiter notwendig werden.

Fuer Spiess stand fest, dass die Mainframe-Ressourcen durch den PPS- Einsatz nicht weiter wachsen sollten. "Anfang der 90er Jahre gab es aber noch keine Garantie fuer einen sicheren Produktionsbetrieb unter Unix", erinnert sich der IV-Leiter. "Speziell fuer AS/400 und Unix entwickelte Loesungen kamen aus strategischen Gruenden nicht in Betracht, so dass nur Mainframe-Software uebrigblieb, die auf die vorhandenen Ressourcen zugeschnitten war, aber auch einen Migrationsweg fuer den spaeteren Umstieg auf eine andere Plattform offenliess." Die neue Software sollte ausserdem mit der seit 1987 eingesetzten Adabas-Datenbank der Software AG kooperieren.

Um zwei Datenbestaende mit getrennten Nummernsystemen sowie doppeltem Erfassungs- und Pflegeaufwand zu vermeiden, stellte die Realisierung der neuen Loesung auf Basis einer gemeinsamen Datenbank eine Randbedingung dar. Das Projekt zur PPS-Auswahl und Systemeinfuehrung startete Mitte 1990. Die Geschaeftsfuehrung beauftragte das Beratungs-unternehmen IDS Prof. Scheer mit der Evaluierung und Erstellung einer Marktstudie. Im ersten Anlauf wurden 90 Firmen zur Angebotsabgabe aufgefordert. Von dieser zunaechst grossen Gruppe kamen am Ende drei Softwarehaeuser in die engere Auswahl. Nach Abwaegen aller Vor- und Nachteile entschied sich das Management fuer die Loesung "Prodis" von der Software AG.

Sourcecode zur Anpassung mitliefern

Der DV-Leiter ging davon aus, dass marktgaengige Software die individuellen Beduerfnisse der Druckindustrie nur bedingt abdeckt und ohnehin Zweckform-Spezifika hinzugefuegt werden muessten. Ein wesentlicher Vertragsbestandteil war daher die Auslieferung der PPS-Software im Sourcecode. "Die Anpassungen sollten in einer Programmiersprache erfolgen, die wir beherrschen." Zweckform- Programmierern war der Umgang mit "Natural" von der Entwicklung der Produktionsanwendungen her gelaeufig. Da auch Prodis mit der 4GL Natural entwickelt wurde, ging es lediglich um das Erlernen zusaetzlicher Programmregeln, die bei Aenderungen, Erweiterungen oder Neuentwicklungen eingehalten werden muessen.

Weitere Argumente fuer das Produkt waren die mit Adabas als DBMS- Basis gegebene Kompatibilitaet zu den zentralen Datenbestaenden des Unternehmens und die Portierbarkeit auf andere Plattformen. "Durch Auslieferung des Sourcecodes entfaellt auch das Versionsproblem", erklaert Spiess. "Ein neues Release braucht man nur bei Bedarf zusaetzlicher Funktionen. Wir erreichen 70 Prozent der Funktionalitaet bereits mit der Basisversion, fehlende Leistungsmerkmale entwickeln wir selbst. Ungenutzte Module werden gar nicht erst geladen, Rechnerressourcen somit nicht ueberstrapaziert." Ist trotzdem ein Release-Wechsel faellig, werden nur die individuellen Adabas-Dateien an die neue Version angekoppelt. Zweckform ist sowohl Auftrags- als auch Serienfertiger. Das Angebot umfasst mehrere hundert Artikel, die von ihrer Art und Groesse sowie vom Material vielfach gleich sind, aber durch unterschiedliche Druckbilder eine hohe Variantenvielfalt und komplexe Preisgestaltung mit sich bringen. Besonders die DV-unterstuetzte Preisfindung stellt fuer den Buerobedarfsproduzenten ein wichtiges Thema dar. Man will Kunden Vorteile durch produktbezogene Rabatt- und Bonusfaehigkeit verschaffen und legt dazu Preise jaehrlich neu fest. Auf der anderen Seite will man den Gewinn nicht verlieren und braucht daher eine detaillierte Deckungsbeitragsrechnung, die nicht nur die Anteile pro Auftrag, sondern auch pro Maschine widerspiegeln. "Diese vielfaeltigen Ansprueche sind nur mit individuellen Programmanpassungen zu befriedigen", betont der IV-Leiter.

Drucker kennt keine Stueckliste

Er vertritt ferner die Ansicht, dass die Funktionalitaet der Stueckliste auch fuer die Arbeitsablaeufe in der Druckindustrie nuetzlich ist. Da aber der typische Drucker keine Stuecklisten kennt, mussten entweder die Mitarbeiter zusaetzlich geschult oder das neue System geaendert werden. "Wir entschieden uns fuer die Systemmodifikation als wirkungsvollere Alternative, da die Schulungsproblematik mit jedem neu hinzukommenden Mitarbeiter erneut auftauchen wuerde", so Spiess. Programmierer entwickelten eine Schicht zwischen Benutzeroberflaeche und System, mit der die Stuecklistenstruktur vor den Anwendern "versteckt" wird.

Das Zweckform-Rechenzentrum arbeitet mit einem Comparex-Mainframe (8830) unter VSE/ ESA und CICS, an den 350 Bildschirmarbeitsplaetze ueber Token Ring angeschlossen sind. Davon sind 100 mit alphanumerischen Terminals ausgestattet. Die uebrigen 250 Anwender arbeiten mit PCs, die neben dem Terminalbetrieb auch fuer PC- typische Aufgaben (Tabellenkalkulation, Textverarbeitung, Datenbankanwendung) zur Verfuegung stehen.

18 Mitarbeiter sind fuer den reibungslosen DV-Betrieb verantwortlich. Das Team besteht aus sieben Anwendungsentwicklern, drei Betreuern des Benutzerservice, einer fuenfkoepfigen Produktionsmannschaft und zwei Administratoren. 50 Aussendienstmitarbeiter betreuen den Fachhandel und zehn den Industriebereich. Das Fachhandelsteam arbeitet mit stiftbasierten Notebooks (Compaq Concerto). Alle vom Aussendienst mit diesen transportablen PCs erfassten Auftraege werden per Modem und Waehlleitung an den Rechner in der Hauptverwaltung uebertragen und ohne manuelle Eingriffe im PPS-System weiterverarbeitet.

Die Betriebsdatenerfassung (BDE) laeuft auf einem PC als Vorrechner und Datenkonzentrator. Die Daten werden kontinuierlich von den an jeder Maschine angebrachten BDE-Terminals, die ueber Novell Netware mit dem PC vernetzt sind, an die PC-Datenbank (Gupta) uebertragen. Filterprogramme sorgen dafuer, dass nur die PPS-relevanten Daten zweimal pro Tag zur auftragsbezogenen Nachkalkulation zum System uebermittelt werden. Aufstellungen ueber laufende, geplante und fertiggestellte Auftraege sind jederzeit abrufbar ebenso wie Auswertungen ueber auftragsbezogene Stoerfaelle. Die bestehende BDE- Applikation wird nach Anschalten der neuen PPS-Software unveraendert weiterbetrieben.

Via LAN gelangen auch die Informationen ueber Materialdatenbestaende und Bestellvorschlaege an das Zentralsystem. Zweckform- Programmierer haben die benoetigten Zusaetze fuer die EDI-Anbindung entwickelt. Grosskunden mit Rahmenauftraegen koennen von ihren Rechnern aus Teile des auftragsbezogenen Lieferumfangs bedarfsgerecht abrufen. Es gibt Kunden, die hohe Liefersicherheiten mit ihnen fest zugeordneten Konsignationslagern verlangen, um bei etwaigen Lieferengpaessen einen Stillstand ihres Betriebs zu vermeiden. "Fuer die zusaetzliche Installation derartiger Funktionen braucht man flexible Programme. Festverdrahtete Standardsoftware ist hier nur wenig anpassungsfaehig", so der Zweckform-Manager.

Das Projekt ist in vier Abschnitte unterteilt. Im ersten Anlauf ging es um die Neukonzeption der Beschaffung. Als naechstes lagen die Bereiche Vorkalkulation und Angebotsbeschreibung an. Das dritte Unterprojekt beschaeftigte sich mit der Auftragsbearbeitung. Im vierten Teil wird die Produktionsplanung realisiert. Fertiggestellt sind die Bereiche Beschaffung und Auftragsbearbeitung. Die Vorkalkulation befindet sich derzeit in der Realisierung, die Fertigungsplanung wird vorbereitet. Die Reihenfolge der Teilprojekte entspricht ihrer Komplexitaet.

Projektverzug hat organisatorische Gruende

Im ersten Abschnitt programmierten Zweckform- und Software-AG- Mitarbeiter noch Seite an Seite, um einen groesstmoeglichen Know-how- Transfer zu erzielen. Das zweite Teilprojekt erfolgte bereits ohne Herstellerunterstuetzung. Der Projektverzug liegt bis dato bei sechs Monaten, was allerdings nicht mit den Programmen, sondern mit organisatorischen Aspekten zu tun hat. Derzeit arbeiten Alt- und Neusystem parallel. Sobald die neue Fertigungsplanung betriebsbereit ist, fliessen Auftraege, die noch mit dem alten Programm geplant wurden, in das neue System.

Auf die Kostenseite angesprochen, sieht Spiess eine 1-zu-10- Relation zwischen Kaufpreis sowie den Einfuehrungs- und Betriebskosten als realistisch an. In diesem Punkt gibt es nach seiner Ansicht keine Vorteile gegenueber anderen Systemen. "PPS- Programme sind in der Regel zehn bis 15 Jahre im Einsatz. Da spielen die Kaufpreise nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Einfuehrungs- und Betriebskosten. Es kommt vielmehr darauf an, das System so aktuell wie moeglich zu halten und einen reibungslosen Betrieb zu gewaehrleisten."

* Juergen Koch ist freier Fachjournalist in Muenchen