Warum das Videokonferenz-Geschäft immer schwieriger wird

Picturetel-Verluste deuten auf eine Marktkrise hin

20.03.1998

Im Oktober vergangenen Jahres wurden Experten erstmals hellhörig: Die Picturetel Corp. bilanzierte für das zweite Quartal 1997 einen Verlust von drei Millionen Dollar. Gleichzeitig mußte CEO Norman Gaut seinen Hut nehmen. Was zunächst noch als typische "Quartalskrise" einer US-Company dargestellt wurde, ließ sich jedoch knapp sechs Monate später nicht mehr verheimlichen: Der weltweite Marktführer für Videokonferenz-Equipment ist arg ins Straucheln geraten. Für das gesamte Geschäftsjahr 1997 mußte das in Andover/Massachussetts beheimatete Unternehmen bei einem Umsatz von 466,4 Millionen Dollar ein Minus von 39,4 Millionen Dollar bilanzieren. Das Ausmaß der Misere macht der Vergleich zum Vorjahr deutlich: 1996 hatte Picturetel nicht nur höhere Einahmen (490,2 Millionen Dollar) zu verzeichnen, sondern mit einem Nettoertrag von 32,2 Millionen Dollar auch noch ordentlich verdient. Nicht wesentlich besser sieht es bei der texanischen Vtel Corp. aus: 42,8 Millionen Dollar Umsatz standen im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 1998 ein Nettogewinn von 268000 Dollar gegenüber - nur geringfügig mehr als die vielzitierte "Schwarze Null" also. Und auch die letzten Quartalsergebnisse des Picturetel-Wettbewerbers lesen sich nicht besser. Die Umsätze stagnierten oder fielen leicht; die Gewinne bewegten sich auf dem Niveau der jüngsten Drei-Monats-Bilanz.

Die Situation bei Picturetel ist für den Videokonferenzmarkt "nicht unbedingt hilfreich", meint denn auch Roger Huckerby, Director of International Marketing bei Vtel, zu den Schwierigkeiten des Marktführers. Wobei sein Unternehmen eigentlich Anlaß genug hätte, vor der eigenen Haustüre zu kehren.

Schließlich hatten die Texaner Mitte vergangenen Jahres den bisherigen Branchenzweiten CLI übernommen, um Picturetel endlich Paroli bieten zu können. Doch aus der erhofften Inititialzündung wurde bis dato nichts: Man müsse den Merger "bilanziell noch verkraften", versucht Huckerby, die enttäuschende Umsatz- und Kostenentwicklung seiner Company schönzureden.

Was sind nun aber die Ursachen für den Stimmungsumschwung bei der Kundschaft? Der Videokonferenzmarkt befindet sich in einer "Verschnaufspause" urteilt ein Gartner-Group-Analyst, der lieber anonym bleiben möchte, weil die offizielle Lesart so gut wie aller Marktforschungsunternehmen noch eine andere ist. Knapp 800 Millionen Dollar wurden 1997 weltweit mit entsprechendem Equipment umgesetzt; bis 2001 dürfte das Volumen auf über 1,3 Milliarden Dollar ansteigen, schätzt Dataquest in einer aktuellen Studie (siehe Abbildung Seite 71). Die Auguren von Frost & Sullivan gehen bis 2003 sogar von Einnahmen für die einschlägigen Hersteller von 2,3 Milliarden Dollar aus.

Vieles spricht jedoch dafür, daß selbst diese Erwartungen noch nach unten korrigiert werden müssen. Zum Beispiel die Tatsache, daß die Marktkrise nicht Picturetel und Vtel, sondern längst auch den Rest der Branche erfaßt hat. Zu selbigem gehören, neben einer Vielzahl kleinerer und letzlich unbedeutender Hersteller Namen wie British Telecom (BT), Deutsche Telekom (BT), Sony und vor allem Intel. Der Prozessorgigant hat(te) Picturetel nach Schätzung von Branchenkennern mit seiner "Proshare"-Familie seit Jahren heftig zugesetzt, veröffentlicht aber keine Zahlen über seine Einkünfte aus dem Videokonferenzgeschäft. Offiziell ist man, wie ein Intel-Sprecher gegenüber der CW betonte, damit "zufrieden"; Insider wollen jedoch davon wissen, daß die Mannen um Intel-Chef Andrew Grove diesen Markt längst als "allenfalls noch lukratives Nischengeschäft" einstufen.

Telekom schweigt sich über Verkaufszahlen aus

Und damit auch die Deutsche Telekom AG, einer der größten "Proshare"-Wiederverkäufer in Deutschland, wo man gegenüber der CW jedoch keine Angaben machen wollte. Die vor kurzem veröffentlichten Zahlen für das Geschäftsjahr 1997, die besagen, daß die Bonner nur bei der Festnetz-Telefonie schwarze Zahlen schrieben, sprechen jedoch Bände. Unter der Hand wird denn auch bestätigt, was Fachleute immer schon wußten: Für die Ron-Sommer-Company waren und sind Videokonferenzprodukte lediglich ein Tool zur Vermarktung von ISDN.

Doch zurück zum kränkelnden Videokonferenzmarkt: Die Hersteller werden in Zukunft "kleinere Brötchen backen müssen", meint besagter Gartner-Group-Analyst. Viele der potentiellen Kunden, vor allem Unternehmen in der Automobilbranche oder Pharmaindustrie, hätten längst in entsprechende Lösungen investiert. Das Vordringen in andere Branchen oder etwa in den Mittelstand sei schwierig. Überdies lasse sich vieles von dem, was eine Videokonferenz-Lösung abdecken könne, etwa der standortübergreifende Informationsaustausch zwischen diversen Entwickler-Teams, heute auch mit Web-Technologien realisieren.

Zumindest bei Picturetel scheint man indes die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Die Company hat unter anderem ihr Europageschäft neu strukturiert und dabei die bis dato einflußreichen Landesgesellschaften an die kurze Leine genommen. Einzelne, für große Vertriebspartner wie die Deutsche Telekom zuständige Account-Manager sollen, so der ab sofort für ganz Nordeuropa zuständige Picturetel-Geschäftsführer Mark Wells, dafür sorgen, daß man "näher am Kunden ist". Vor allem den Mittelstand wolle man jetzt "besser betreuen", womit Wells zumindest indirekt die These einer weitgehenden Marktsättigung bei Großunternehmen bestätigte.