Oberlandesgericht Stuttgart geht über bisherige Rechtsprechung hinaus

Pflegepflicht des Lieferanten bei Standardprogrammen bejaht

06.02.1987

Das OLG Stuttgart hat das erste Urteil zu dem Fragenkomplex gesprochen, in welchem Umfang der Lieferant eines Standardproduktes dieses zu pflegen hat. Das OLG Stuttgart bejaht eine weitgehende Pflegepflicht des Lieferanten.

Nach allgemeiner Rechtsprechung ist ein Lieferant nur dann zur Wartung (von Hardware) verpflichtet, wenn er ein technisches Monopol auf diese Leistungen hat und der Anwender also auf die Wartung durch ihn angewiesen ist. Dementsprechend ist der Anspruch auf Pflege von Standardprogrammen auf jeden Fall dann zu bejahen, wenn der Lieferant nur Objektcode ausliefert (vgl. Zahrnt, Rechtsfragen zu Pflege von Standardprogrammen, Informatik und Recht 1986, S. 155 ff). Das OLG Stuttgart ist in seinem Urteil vom 3. Januar 1986 (2 U 70/85) weitergegangen.

Tatbestand

Die beklagte Lieferantin hatte dem Anwender einen Computer für sein Architekturbüro samt Anwendungssoftware verkauft. Die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültige Preisliste der Lieferantin sah den Abschluß eines Software-Wartungsvertrages (in meinem Sprachgebrauch: Software-Pflegevertrages) vor, der die Lieferung der neuesten Versionen und aller Programmerweiterungen beinhalten sollte.

Nach Ablauf der Gewährleistungsfrist übersandte die Lieferantin dem Anwender einen Vertragsentwurf für die Wartung (Pflege).

Nach dem Vertragsentwurf sollte dem Kläger bei nicht rechtzeitiger Zahlung der Wartungsgebühren die Nutzung der Programme nicht gestattet sein. Beide Seiten sollten das Recht haben, den Vertrag mit zwölfmonatiger Frist zum Ende eines Kalenderjahres zu kündigen, mit der Folge, daß dann auch die Hauptlizenz erlöschen sollte. Nach Ablauf der Vertragsdauer von 48 Monaten sollte der Kläger das Recht erhalten mit der gleichen Kündigungsfrist eine Sonderkündigung auszusprechen ohne die Folge des Erlöschens der Hauptlizenz.

Der Kläger übersandte mit Schreiben vom 9. Februar 1984 einen Gegenentwurf, der sich vom Entwurf der Beklagten im wesentlichen dadurch unterschied, daß er vorbehaltlich der Urheberrechte der Beklagten den uneingeschränkten Übergang der Programme ins Eigentum des Klägers und die Kündigung mit einmonatiger Frist zum Ende eines Kalenderhalbjahres ohne die Folge des Erlöschens der Hauptlizenz vorsah. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 17.7.1984, durch das sie den Kläger vor die Wahl stellte, entweder den ursprünglichen Vertragsentwurf der Beklagten oder die dem Schreiben vom 17.7.1984 beigefügte Vereinbarung zu unterschreiben, die vorsah, daß beide Seiten auf den Abschluß eines Software-Wartungsvertrages verzichten und die Beklagte diejenigen Leistungen, die normalerweise Bestandteil eines Softwarewartungsvertrages sind, nur auf Anforderung des Klägers gegen Bezahlung erbringt. Am Ende des Schreibens vom 17.7.1984 hieß es:

'Wir bitten Sie, sich möglichst umgehend für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden, da das Programm ab 31.7.1984 aus Programmschutzgründen langsamer und mit der Zeit unbrauchbar wird. An der nochmaligen Modifizierung des Vertragstextes sind wir nicht interessiert.'

Der Kläger nahm das Schreiben der Beklagten vom 17.7 1984 zum Anlaß, mit Anwaltsschreiben vom 14. 11.1984 die Wandlung erklären zu lassen und die Rückzahlung des Kaufpreises . . . zu verlangen, da die Löschautomatik im Programm einen wesentlichen Mangel darstelle, den die Beklagte arglistig verschwiegen habe.

Der Anwender klagte daraufhin auf Rückzahlung des Kaufpreises für Software und für Hardware. Er bekam von Landgericht und Oberlandesgericht Recht.

Entscheidungsgründe

Das Oberlandesgericht ließ es dahingestellt, ob die Sperre einen Mangel darstelle. Der Anwender könne die Rückgängigmachung des Vertrages auf jeden Fall wegen des Verhaltens der Beklagten verlangen:

"Die Beklagte hat jedenfalls dadurch in schwerer Weise ihre Vertragspflichten verletzt, daß sie dem Kläger das Vorhandensein der Sperre zunächst verschwiegen und dann dazu mißbraucht hat, den Kläger zu einem für ihn nicht akzeptablen Softwarewartungsvertrag zu zwingen.

Der Kläger war auf den Abschluß eines Wartungsvertrages angewiesen, da eine sinnvolle Nutzung des Programms nur mit Hilfe der ständigen, begleitenden Betreuung des Herstellers möglich gewesen wäre. Darüber sind die Parteien einig. Der Kläger konnte auf den Abschluß eines Wartungsvertrages insbesondere auch deshalb nicht verzichten, weil er ohne einen solchen Vertrag keinen Anspruch auf die kostenlose Lieferung der neuesten Programmversionen hatte. Die von der Beklagten als Alternative vorgeschlagene Vereinbarung über den Verzicht auf den Abschluß eines Software-Wartungsvertrages sah nicht vor, zu welchen Bedingungen der Kläger die neuesten Programmversionen hätte erhalten können. Der Kläger mußte daher befürchten, daß die Beklagte gegebenenfalls die für die Erstlieferung vorgesehenen Preise verlangen werde, die eklatant höher sind als die Wartungsgebühren, die vierteljährlich nur zwei Prozent des Neupreises ausmachen.

Aber auch der von der Beklagten vorgeschlagene Wartungsvertrag war für den Kläger nicht akzeptabel, weil er die Nutzung auch des Grundprogramms von der rechtzeitigen Zahlung der Wartungsgebühren abhängig machte und für den Fall der Kündigung - mit Ausnahme einer einzigen Sonderkündigung nach 48 Monaten - das Erlöschen der Hauptlizenz vorsah. Nachdem der Kläger für das Grundprogramm bereits 56 000 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer bezahlt hatte, brauchte er sich nicht darauf einzulassen, die Nutzungsmöglichkeiten für dieses Programm durch den Abschluß des Wartungsvertrages zu gefährden. Unangemessen war aus demselben Grund auch das Ansinnen der Beklagten, die Hauptlizenz im Fall der Kündigung erlöschen zu lassen, zumal das Kündigungsrecht nicht nur dem Kläger, sondern auch der Beklagten zustehen sollte.

Dagegen hat der Kläger einen Vertragsentwurf unterbreitet, den anzunehmen der Beklagten zuzumuten war. Der Kläger verlangte mit seinem Entwurf ausdrücklich nicht das Recht, die von der Beklagten gelieferten Programme Dritten zur Benutzung überlassen zu dürfen . . .", sondern eine uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit für sich selbst (sowie) lediglich noch eine Abkürzung der von der Beklagten vorgeschlagenen Kündigungsfristen. Im übrigen war er bereit, den Vertragsentwurf der Beklagten zu übernehmen. Die Beklagte hätte ohne Gefährdung ihrer berechtigten Belange darauf eingehen können.

Die überzogene Reaktion der Beklagten war eine schwere Verletzung der aus der geschäftlichen Beziehung der Parteien resultierenden vertraglichen Pflicht, mit dem Kläger vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Da die von der Beklagten vorgelegten Vorschläge für den Kläger nicht akzeptabel waren, hätte die Beklagte die Beseitung der Sperre ohne Vorbedingung anbieten und sich zu weiteren Verhandlungen bereit erklären müssen. Statt dessen hat sie den Kläger unter Hinweis auf die ihm bis dahin nicht bekannte Sperre vor die Wahl gestellt, einen der beiden ihm ungünstigen Vorschläge anzunehmen, und ihn wissen lassen, daß sie zu weiteren Verhandlungen nicht bereit sei. Nach diesem Vorfall befürchtet der Kläger mit Recht, daß die Beklagte auch bei der künftigen Zusammenarbeit der Parteien die in das Programm eingebaute Sperre dazu ausnützen könnte, einseitig ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Da der Kläger, wie unstreitig ist bei der Nutzung der ihm gelieferten Software auf eine dauernde vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Beklagten angewiesen ist, kann ihm ein weiteres Festhalten an dem Vertrag über die Software nicht zugemutet werden. Um das Vertragsziel zu erreichen, muß der Kläger sich einen anderen Vertragspartner suchen. Die Beklagte muß daher die Software zurücknehmen und den dafür bezahlten Preis zurückzahlen.

Koppelung von Hardware und Software

Der Wegfall des Lizenzvertrags über die Software hat zur Folge, daß dem Kläger auch ein Festhalten am Kaufvertrag über die Hardware nicht mehr zugemutet werden kann. Zwar ist davon auszugehen, daß der Kläger die ihm gelieferte Hardware mit der Software eines anderen Herstellers speisen könnte. Der Kläger hat aber in der Berufungsverhandlung unwidersprochen vorgetragen, daß er die Hardware gerade deshalb bei der Beklagten gekauft habe, weil er die von der Beklagten angebotene Software wollte. Es entspricht auch der Lebenserfahrung, daß die Software zu erheblich günstigeren Bedingungen erworben und auf dem laufenden gehalten werden kann, wenn man die Hardware beim selben Hersteller kauft. So ist es auch bei der Beklagten: Nach ihrer Preisliste liegen die Preise für Software ohne Hardwarekauf durchweg um die Hälfte über den Preisen mit Hardwarekauf. Dem Kläger ist daher nicht zuzumuten, für die von der Beklagten gelieferte Hardware von einem anderen Hersteller die erforderliche Software zu beziehen. Die Beklagte muß daher auch die Hardware zurücknehmen und den dafür bezahlten Kaufpreis zurückzahlen."

Anmerkung

Die Ausführungen dazu, ob das Vertragsangebot des Lieferanten für die Pflege (Wartung) akzeptabel war, haben grundlegende Bedeutung. Das Gericht läßt es nämlich dahingestellt, ob der Anwender diese - in der Tat unanständigen - Bedingungen von vornherein kannte. Das heißt der Sache nach, daß es diese Bedingungen im Sinne der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz für unwirksam hielt. Es habe aber nicht über Paragraph 9 AGB-Gesetz entschieden, sondern darüber, daß der Anwender keine andere Wahl hatte, als diese Bedingungen anzunehmen. Da grundsätzlich Vertragsfreiheit besteht, muß das Gericht irgendwo die Pflicht des Lieferanten hernehmen, einen Pflegevertrag zu angemessenen Bedingungen anzubieten. Das hätte es aus dem Überlassungsvertrag selber ableiten können. Es hat das aber anscheinend nicht getan, sondern hat schlechthin die Pflicht des Lieferanten angenommen, einen angemessenen Pflegevertrag anzubieten: Der Anwender sei von den Leistungen des Lieferanten, nämlich von der Beratung und von der Lieferung weiterentwickelter Versionen abhängig. Das OLG bejaht anscheinend eine Pflegepflicht des Lieferanten weitgehend. Das ist ein mutiger Schritt, der aber genauerer Begründung bedarf. Wie kommt ein Anwender, der die Version anno 1983 kauft, zum Anspruch, gegen eine Pflegevergütung in typischer Höhe 1984 die Version anno 1984 verlangen zu können?

Das Gericht hält es für unanständig, daß der Anwender erst nach 18 Monaten den Pflegevertrag kündigen durfte, ohne sein Benutzungsrecht zu verlieren. Das paßt in dieser Kürze der Begründung nicht zu der vorhergehenden Aussage, daß der Lieferant zur Pflege verpflichtet sei, weil der Anwender diese für neue Programmversionen, also für eine beträchtliche Zeit, benötige. Wenn der Lieferant den Anwender bedienen muß, muß er auch in gewissem Umfang sich hinsichtlich der Einnahmen absichern können: Er braucht einen sicheren finanziellen Topf, aus dem er Jahr für Jahr unterschiedlich für Verbesserungsinvestitionen schöpfen kann. Man kann allerdings über eine Mindestlaufzeit von vier Jahren geteilter Auffassung sein.

Diplom-Volkswirt Dr. Christoph Zahrnt ist Rechtsanwalt in Neckarsgmünd.